Können Nonnen als Vorbilder des Wohlbefindens im Alter dienen?
Die französische Ordensfrau Andre Randon wurde 118 Jahre und 340 Tage alt, bis sie als ältester Mensch der Welt am 17. Januar 2023 starb. Schwester Cecilia Gaudette (1902-2017), eine US-amerikanisch-italienische Nonne, wurde 115 Jahre alt. Schwester Esther Boor gab mit 97 das Arbeiten endgültig auf und starb im Alter von 107 Jahren. Mediziner haben herausgefunden, dass Ordensfrauen in den USA ein bemerkenswert langes Leben führen und sich dabei guter Gesundheit erfreuen. Das lässt sich auch auf Gemeinschaften in anderen Ländern übertragen. Können Nonnen ein Vorbild für gelungenes Altern sein?
Die US-amerikanische Altersforscherin Anna Corwin hat 2021 ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht: "Das Alter annehmen. Wie katholische Nonnen zu Vorbildern des Wohlbefindens wurden". Sie stellte bei ihrem Forschungsprojekt fest, dass Nonnen nicht nur erfolgreicher altern als Menschen auf der anderen Seite der Klostermauern; die meisten Nonnen praktizieren demnach auch eine aktive Akzeptanz des Alterns. "In vielen amerikanischen Klöstern ist das Altern ein natürlicher Teil des Lebens und nicht etwas, das man fürchten oder vermeiden muss", so Corwin. "Draußen" sei man dagegen von genau dem Gegenteil überzeugt – das Alter und alle Zeichen des Alterns müssen bekämpft werden.
Konsequente Ernährung, höhere Bildung
Es gibt einige Faktoren, die zur Gesundheit von Nonnen beitragen, hat die Wissenschaftlerin herausgefunden, zum Beispiel eine konsequente Ernährung oder eine höhere Bildung. Aber die Geschichte ihrer bemerkenswerten Gesundheit und ihres Wohlbefindens im Alter ist damit nicht allein erklärt, meint die Altersforscherin. "Wie sie beten, wie sie miteinander sprechen, wie sie soziale Unterstützung anbieten und erhalten und wie sie verstehen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, der älter wird: All diese kulturellen Praktiken prägen die Erfahrungen der Nonnen mit dem Altern, dem Schmerz und dem Ende des Lebens."
So sieht das auch Schwester Kerstin-Marie Berretz. Die Dominikanerin aus Vechta beschreibt in einem Beitrag für die Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), wie Ordensleute gemeinsam alt werden. Ihr Alltag sei seit Jahrzehnten von einer festen Struktur geprägt, zu der auch gehöre, dass Ordensleute pro Tag mehrere Stunden im Gebet verbringen. "Und das bedeutet nicht nur, dass man sich mit Gott verbindet, sondern dass man auch immer wieder zur Ruhe kommt." Der Altersforscher David Snowdon, der in den 1990er Jahren die "Nonnenstudie" zur Erforschung der Alzheimer-Krankheit initiierte, schreibt, dass er versuche, immer wieder schnell zur Ruhe zu kommen, da das Herz und Kreislauf schone.
Corwin und Berretz betonen beide, wie wichtig die Gemeinschaft im Kloster für das Wohlbefinden und das positive Altern sei. Es sei immer jemand da, der auf einen achte. Die Altersforscherin Corwin schildert in ihrer Studie, wie Nonnen beispielsweise abends Karten spielen und dabei auch diejenigen einbeziehen, die schon unter Beeinträchtigungen leiden. Eine andere Nonne geht jeden Tag von Zimmer zu Zimmer und massiert den Mitschwestern die Füße, die bettlägerig sind. Keine wird zurückgelassen.
Viele Nonnen hätten mit Ängsten und Selbstvorwürfen zu kämpfen gehabt, als sie sich aus ihrem Dienst am Nächsten zurückziehen mussten und nicht mehr das Gefühl hatten, in der Welt "Gutes zu tun", sagt die Altersforscherin. Doch die Gemeinschaft im Kloster begegne dieser Herausforderung, indem sie den Schwestern vermittelte, dass es genauso wichtig sei – wenn nicht sogar noch wichtiger –, gut zu sein. Die Schwestern wurden nach Erkenntnis von Corwin ständig darin bestärkt, dass sie wertvolle Menschen waren, auch nach ihrer aktiven Lebensphase. Auf diese Weise lehrten die Schwestern einander, sich selbst in allen Lebensphasen wertzuschätzen, auch im hohen Alter. Außerdem dienten die Nonnen einander als Vorbild. Das Leben in der Gemeinschaft bedeute auch zu lernen, sich aufeinander zu verlassen und Hilfe anzunehmen, führt Corwin aus. Wenn die Schwestern älter werden und bei der täglichen Pflege auf andere angewiesen sind, stellt die Wissenschaftlerin fest, könnten sie die Hilfe annehmen, ohne sich als Versager zu fühlen.
Aber es ist noch Luft nach oben
Gesehen und verstanden werden sind weitere Aspekte, warum Ordensleute sich auch im Alter noch wohlfühlen – und warum sie gut und gerne älter werden können, stellt die Dominikanerin Berretz fest. "Das, was viele Menschen in Wohnprojekten und Mehrgenerationshäusern suchen, erleben Ordensleute also bereits ganz selbstverständlich in ihrem Alltag", sagt Schwester Kerstin-Marie und fügt hinzu: "Das tut allen Beteiligten gut und hält auch in hohem Alter noch fit."
Aber es scheint noch Luft nach oben zu geben. Die Soziologin und Theologin Ruth Mächler leitet das Forschungsprojekt "Die letzte Lebensphase hochbetagter Ordensleute", das an der Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit an der TU München angesiedelt ist. Das Projekt wurde von dem Jesuitenorden und den Sacre-Coeur-Schwestern angeregt. Sie hat mit insgesamt 21 Ordensleuten – 12 Jesuiten und 9 Schwestern – biografische Tiefeninterviews geführt zur Frage, wie sie das Altwerden im Orden erleben und wie ihre Erfahrungen weitergegeben werden können.
Das Projekt dient einmal den beiden Ordensgemeinschaften, um herauszufinden, wie sich aktuell das Altern für die Jesuiten und die Sacre-Coeur-Schwestern darstellt. Für das kommende Jahr plant Mächler ein Buch über diese Gespräche, das allgemein Tipps bietet, wie man das Leben und das Altwerden mit seinen Herausforderungen bewältigen kann.