Religion im digitalen Klassenraum
Frage: Herr Bischof Neymeyr, wie sieht das Konzept des neuen Religionsunterrichts aus?
Ulrich Neymeyr: Das Modell richtet sich an Schüler der gymnasialen Oberstufe und ist zweigeteilt: Ein Teil des Unterrichtsstoffs wird als eLearning via Internet vermittelt, der andere Teil sind "Offline-Treffen" mit dem Lehrer und den anderen Schülern. Durch diese Mischung müssen die gemeinsamen Treffen nicht mehr jede Woche stattfinden. Das ist nämlich zunehmend ein Problem.
Frage: Inwiefern?
Neymeyr: In den ländlichen Diasporagebieten müssen die katholischen Schüler oft ganz schöne Entfernungen in Kauf nehmen, um am Religionsunterricht teilzunehmen. Denn nicht an jeder Schule gibt es ausreichend Schüler für den katholischen Unterricht. Gerade in der Oberstufe verschärft sich das, wenn die Schüler eh eingespannter sind und nicht bereit sind, noch 20 Kilometer in den nächsten Ort zum Reliunterricht zu fahren.
Frage: Das heißt, viele wählen das Fach dann einfach ab?
Neymeyr: Ja, wenn sie denn am Religionsunterricht überhaupt aufgrund der organisatorischen Schwierigkeiten teilnehmen. Oder sie gehen in den evangelischen Religionsunterricht oder besuchen den Ethikunterricht an der Schule. Ich bin aber der Meinung, gerade in der Oberstufe ist es wichtig, dass die Schüler Religion auch aus katholischer Perspektive kennenlernen.
Frage: Das Ganze ist also nur auf die Oberstufe ausgerichtet?
Neymeyr: Ja. Je nachdem, welche Erfahrungen wir mit dem Oberstufenmodell machen, kann man aber später eventuell über eine Ausweitung auf jüngere Klassenstufen nachdenken.
Frage: Ab wann könnte das katholische eLearning denn praktiziert werden?
Neymeyr: Da gibt es noch keinen konkreten Zeitplan. Das nächste Schuljahr wird sicherlich noch benötigt, um am Konzept zu feilen.
Vielleicht kann es danach losgehen. Unsere Schulabteilung hat das Modell mit Fachlehrerinnen und dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien vorgedacht. Nun haben wir es dem Kultusministerium vorgestellt und dort sofort grünes Licht für die praxistaugliche Weiterentwicklung erhalten - in Zusammenarbeit mit dem Ministerium.
Frage: Das Land muss dem Modell zustimmen, damit es als ordentlicher Unterricht anerkannt wird und die Note auf dem Zeugnis erscheint?
Neymeyr: Genau.
Frage: Was passiert denn jetzt ganz praktisch?
Neymeyr: Zum einen müssen ganz neue Materialen entwickelt werden, die dem zweigeteilten Modell Rechnung tragen. Welche Inhalte eignen sich für den Online-Unterricht, welche für die "Offline-Treffen"? Zum anderen müssen dann die Lehrer geschult werden. Diese neue Form des Unterrichtens stellt sicherlich eine Herausforderung dar.
Frage: Gibt es Vorbilder für dieses Modell?
Neymeyr: Nein, direkte Vorbilder gibt es nicht. Das ist schon eine bundesweit neue Form des katholischen Religionsunterrichts. Die Idee an sich ist schon in den skandinavischen Diasporagebieten entwickelt worden. Auch in Deutschland wurde bereits darüber nachgedacht, aber es wird meines Wissens noch nirgendwo praktiziert.
Frage: Ist es ein Modellprojekt mit Vorbildcharakter oder letzter Rettungsanker für die Diaspora?
Neymeyr: Ich sehe es als wichtiges und interessantes Modell, um Schülern in der Diaspora katholischen Religionsunterricht zu ermöglichen. Zugleich erleichtert es auch nichtkonfessionellen Schülern die Möglichkeit, ohne größeren Aufwand katholischen Religionsunterricht kennenzulernen. Insofern hat das Modell das Zeug zum Vorbild.