Der neue Straßburger Erzbischof wird unter besonderen Vorzeichen bestimmt

Elsass-Lothringen: Ein staatskirchenrechtlicher Sonderfall

Veröffentlicht am 20.04.2024 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Straßburg ‐ Das Erzbistum Straßburg bekommt mit Pascal Delannoy einen neuen Diözesanbischof. Der wird aber anders bestimmt als fast alle seine Amtsbrüder in Frankreich. Hintergrund ist eine historische Sonderstellung, die einen erhellenden Blick auf die europäische Geschichte erlaubt.

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Wer schon einmal eine Runde durch das Straßburger Münster gedreht hat, kann verstehen, warum es neben der Humanistenbibliothek von Sélestat und dem Isenheimer Altar in Colmar zu den drei Schätzen des Elsass gehört. Das Sonnenlicht fängt sich in den magischen Farben der Kirchenfenster und verteilt sich im ganzen Raum zwischen den zinnoberroten Steinen der Wände, eine fesselnde Vision des himmlischen Jerusalem. In diesen Tagen hat das Münster wieder mal einen großen Auftritt, denn Pascal Delannoy wird als neuer Erzbischof von Straßburg ins Amt eingeführt. Neben der schönen Kulisse hat diese Personalbesetzung auch eine politische Besonderheit: Denn anders als im restlichen Frankreich, wo der Papst Bischöfe nach Belieben einsetzen kann, muss er sich für die Kathedren von Straßburg und Metz das Placet des französischen Staates holen – im französischen Laizismus eigentlich undenkbar. Die Geschichte dahinter ist lang, voller Verwicklungen und großer europäischer Historie.

"Das Elsass und Lothringen haben in Frankreich seit jeher eine Sonderrolle gespielt", sagt die Richterin Anna Imhof, die im Elsass lebt, dort mit einem Pfarrer verheiratet ist und über die staatskirchenrechtlichen Besonderheiten der Region promoviert hat. Bei ihr kommt also alles zusammen. Der Grund für die Sonderstellung liegt in der Geschichte: Das Reichsland Elsass-Lothringen gehörte lange zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Dementsprechend sprach man deutsch und fühlte sich als eines der schier unendlich vielen Teile des Flickenteppichs, in dem die Menschen ebenfalls in den verschiedensten Varianten deutsch sprachen und von denen einige, sogar die Mehrzahl, viele Jahrhunderte später einmal Deutschland bilden sollten.

Doch Elsass-Lothingen nahm eine andere Abzweigung in der Geschichte, als es im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts, maßgeblich nicht zuletzt durch den Westfälischen Frieden 1648, zu Frankreich kam. Schon damals bildete es eine Ausnahme: Denn anders als Innerfrankreich, in dem es beinahe ausschließlich die katholische Konfession gab, waren seit der Reformation etwa ein Drittel der Menschen im Elsass und in Lothringen evangelisch. Für ein Land, das sich im ancien régime als katholisches Land betrachtete, ein Fremdkörper. Es hagelte also Sonderregelungen, die bis heute als "droit local" (Lokalgesetz) bestehen. Als etwa Ludwig XIV. 1685 im Edikt von Fontainbleau das Edikt von Nantes aus dem Jahr 1598 widerrief, das den Protestanten in Frankreich Religionsfreiheit zusicherte, war das Elsass davon ausgenommen. "In Elsass-Lothringen haben es vor allem die Protestanten durch sehr geschickte Politik immer wieder geschafft, diese Sonderrolle auszunutzen und für sich Minderheitenrechte herauszuholen", so Imhof. Dadurch entwickelte sich auch die gesellschaftliche Stellung von Religion anders als im restlichen Frankreich: Während dort im 17. Jahrhundert eine starke Opposition gegen die autoritär mit dem Absolutismus paktierende katholische Kirche aufkam, waren die Verhältnisse durch den Pluralismus im französischen Osten deutlich entspannter und ausgewogener. Antikatholizismus und Antiklerikalismus hatten schlicht keine Grundlage. So gab es auch im Zuge der Französischen Revolution ab 1789 wiederum Sonderregelungen für Elsass-Lothringen, die für die Kirche deutlich sanfter waren. So wurde etwa Kirchenvermögen nicht verstaatlicht (Ausnahme vom Dekret vom 10. Dezember 1790) und die aus dem Heiligen Römischen Reich übernommenen Sonderrechte bewahrt. All dies wurde durch das Konkordat Napoleons mit dem Vatikan im Jahr 1801 gesichert. Dieser Status Quo wurde in der französischen Politik ein wichtiger Marker für den Umgang mit dem Sonderling an der Schwelle zu den deutschen Landen: "Ne pas toucher aux choses de l'Alsace", bloß nicht die Elsass-Regelungen anfassen, war seit seinem Ausspruch durch den damaligen französischen Außenminister Colbert de Croissy (1629-1696) ein geflügeltes Wort – und ist es bis heute.

Fenster in den deutschen Bikonfessionalismus

Denn das französische Fenster in den deutschen Bikonfessionalismus war bald umkämpft. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71, den die "grande nation" verlor, verleibte sich das nun entstandene deutsche Kaiserreich die historisch mit ihm verbundene Region ein – wobei jene zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Jahrhunderte zu Frankreich gehörte. Straßburg und Metz wurden deutsch, was sich noch heute im Stadtbild vor allem Straßburgs erkennen lässt, wo manche Straßenzüge architektonisch gesehen auch in Leipzig oder Berlin stehen könnten.

Die Zugehörigkeit zu Deutschland ist für die Kirchen im Elsass und in Lothringen heute besonders im Zusammenhang mit dem Jahr 1905 von Bedeutung. In diesem Jahr wurde das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat verabschiedet. Denn katholische Kräfte hatten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend laut gegen Republik und Demokratie gestellt. Die innenpolitischen Spannungen zwischen den restaurativen und republikanischen Kräften gipfelten in der Dreyfuß-Affäre (1894-1905). In diesem Zusammenhang gewannen linke Kräfte 1902 die Parlamentswahl und führten 1905 den Bruch mit der Kirche herbei. Die Französische Republik kündigte das Konkordat mit dem Vatikan auf und trennte Staat und Religion unter dem Stichwort der Laizität vollständig voneinander. Seitdem wird in Frankreich keine Religionsgemeinschaft vom Staat anerkannt, er fördert sie nicht, zahlt ihnen kein Geld, es gibt keine offiziellen Verbindungen oder Kontakte. Alle Kirchen, die vor 1905 gebaut wurden, gehören dem Staat und werden den Religionsgemeinschaften lediglich zur Verfügung gestellt.

Bild: ©katholisch.de/cph

Die Laizität bildet einen Grundsatz der Französischen Republik - außer im Elsass und in Lothringen. Die place de la laïcité ist dennoch in der Metzer Innenstadt.

Da damals Elsass-Lothringen nicht zu Frankreich gehörte, machte es diese Entwicklung nicht mit (wie es übrigens auch bis heute Sonderregelungen für die ebenfalls davon ausgenommenen französischen Überseegebiete gibt). Vielmehr wurden dort Priester auch weiterhin vom Staat bezahlt, ganz nach preußischer Manier. Allerdings: Wie in Frankreich auch, spielte Elsass-Lothringen auch in seiner Zeit in Deutschland eine besondere Rolle mit zahlreichen Sonderregelungen. Das wirkte sich auf die Bevölkerung aus: "Hier standen sich nicht reaktionäre und republikanische Kräfte gegenüber, sondern deutsche Nationalisten und eine deutschsprachige Oberschicht, die aber ganz für den französischen Geist der Liberalität stand. Diese setzte sich zudem für den Ausgleich zwischen den Konfessionen ein und wollte im Sinne einer gemeinsamen Identität und Zielsetzung das Beste für die Region herausholen", sagt Imhof. Die Folgen davon zeigten sich bald.

Ein Konkordat als Entscheidung

Nach dem Ersten Weltkrieg, den Deutschland verlor, kehrte Elsass-Lothringen 1918 zu Frankreich zurück. Was nun? Konkordat oder Laizität? Am Ende stand (nicht zuletzt durch den Druck der Bevölkerung in Elsass-Lothringen) eine politische Entscheidung des Staatsrats 1924, die das alte Muster "Ne pas toucher aux choses de l'Alsace" mustergültig umsetzte: Für Elsass-Lothringen galt nun wieder das napoleonische Konkordat von 1801. Dieses hat auch nach der Besetzung durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg und durch zahlreiche politische Umwälzungen des 20. Jahrhunderts seine Gültigkeit behalten.

Dadurch haben die anerkannten Religionsgemeinschaften der Katholiken, Protestanten und Juden eine Sonderstellung. Geld spielt dabei eine besondere Rolle. "Mein Mann bekommt seinen Gehaltsscheck von der französischen Regierung", erzählt Imhof – das gilt für alle Geistlichen der genannten Konfessionen. Zudem gibt es weitere staatliche Zuwendungen für die Kirchen, was sie im französischen Vergleich recht wohlhabend macht. Denn im restlichen Frankreich darf kein staatliches Geld an Religionsgemeinschaften fließen. Wenn das doch geschehen soll, müssen sich die Beteiligten dort Winkelzüge einfallen lassen. Dann gehen die Fördergelder beispielsweise nicht an die katholische Kirchengemeinde, sondern an die von ihr betriebene öffentliche Bücherei. In Elsass-Lothringen, das es so nicht mehr gibt, sondern dessen Departements Moselle (Bistum Metz) und Bas-Rhin sowie Haut-Rhin (Erzbistum Straßburg) zur Region Grand Est (Großer Osten) gehören, gibt es solche Beschränkungen nicht.

Bild: ©katholisch.de/cph

Der Staphansdom bildet den Mittelpunkt des Bistums Metz.

Ebenfalls in Innerfrankreich undenkbar: An den Schulen der drei Departements gibt es konfessionellen Religionsunterricht und theologische Fakultäten an staatlichen Hochschulen. Sonst kommen lediglich religiöse Themen in der Schule vor und wer Theologie studieren möchte, muss an eine private, dann in der Regel kirchliche Hochschule. Zudem gehören in den drei Departements auch die Kirchengebäude unterschiedlichen Ebenen der Kirche, mal ist es die Pfarrei, mal die Diözese. Zuletzt läuft auch die Bischofsbestellung etwas anders ab: Gibt es im restlichen Frankreich dazu keinen Kontakt zwischen Staat und Kirche, muss der Staat bei der Bestellung eines Bischofs für Metz oder Straßburg dessen Einsetzung durch den Papst gutheißen. Dabei geht es aber nur um allgemeine politische Bedenken, nicht um Parteipolitik. "Der Staat setzt sein Recht hier sehr umsichtig ein", sagt Imhof. Streit habe es nur in den 1980er Jahren gegeben, als die Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf mehr Selbstbestimmung pochte. "Da hat der Staat dann schnell klar gemacht, dass alles beim Alten bleiben solle und dann war der Streit auch schnell aus der Welt." Die Sache des Elsass sollte also ein weiteres Mal nicht angefasst werden.

Ein völlig anderes Renommee

All diese Regelungen haben zur Folge, dass die Kirchen in den drei Departements ein völlig anderes Renommee als im restlichen Frankreich haben, so Imhof: "Wenn hier irgendein gesellschaftlicher Anlass ist, stehen neben dem Bürgermeister immer auch die Religionsvertreter." Man ziehe an einem Strang. Das "droit local" wird vor Ort auch mit Verve verteidigt, Initiativen zur Angleichung der Verhältnisse an das restliche Frankreich gibt es kaum und wenn verlaufen sie regelmäßig im Sand. 2013 stellte der Conseil constitutionnel klar, dass das System verfassungsgemäß ist. Seitdem ist einigermaßen Ruhe. Ganz so wie in Deutschland läuft es zwischen Metz und Straßburg aber dennoch nicht: Es gibt keine Kirchensteuer und die in Deutschland so elementare karitative Arbeit obliegt auch in Moselle, Haut-Rhin und Bas-Rhin allein dem Staat.

Doch dieses System steht, man hat es in der Geschichte gesehen, für einen gewissen Stillstand. So kümmern sich etwa islamische Gemeinschaften nicht um eine staatliche Anerkennung. "Sie haben Angst, dass sie das gesamte System gefährden", so Imhof. Man behilft sich mit kleinen Tricks, die man beim Umgang mit Religion aus Innerfrankreich kennt. In Sachen Zukunftsfähigkeit gibt es also Luft nach oben. Nichtsdestoweniger sind die Elsässer und Lothringer weiterhin stolz auf ihre lokalen Eigenheiten, die sie auch in der gesamtfranzösischen Diskussion vertreten, auch wenn die restlichen Franzosen wenig Anstalten machen, ihnen zu folgen. Weiterhin wird wohl am östlichsten Zipfel Frankreichs die Frage nach der Rolle der Religion in der Gesellschaft noch für einige Zeit mit der seit Jahrhunderten bewährten Formel beantwortet: "Ne pas toucher aux choses de l'Alsace!"

Von Christoph Paul Hartmann

Buchtipp

Anna Imhof: "Das staatskirchenrechtliche Regime Elsass-Lothringens in rechtsvergleichender Perspektive", Berlin 2022