Kirchenführer warnen vor Tempelbau-Eskalation im Gaza-Krieg

Rote Kühe und ein weißer Altar machen Christen in Israel große Sorgen

Veröffentlicht am 11.04.2024 um 00:01 Uhr – Von Johannes Schidelko (KNA) – Lesedauer: 

Jerusalem ‐ Die ersten beiden jüdischen Tempel Jerusalems wurden zerstört. Die Idee, einen neuen zu errichten, flammt immer wieder auf. Texanische Züchter sollen die nötigen Opfertiere für die Einweihung schon nach Israel gebracht haben. Nun schlagen christliche Führer Alarm.

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Eine rote Kuh, ein weißer Opferaltar, ein dritter Tempel – und der Gaza-Krieg: Was nach einem Szenario aus Indiana Jones klingt, könnte eine neue Eskalation im Nahen Osten auslösen und einen Aufstand von zwei Milliarden Muslimen zwischen Mauretanien und Indonesien entfachen. Hintergrund: Das in Jerusalem ansässige, als extremistisch bezeichnete Temple Institute sowie Christliche Zionisten planen seit geraumer Zeit eine Wieder-Errichtung des jüdischen Tempels – und zwar an seinem ursprünglichen Platz. Dafür müssten die islamischen Stätten, die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom, weichen – versetzt oder gänzlich zerstört.

Der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee liegen benachbart auf dem Jerusalemer Tempelberg, dort wo in altjüdischer Zeit der Tempel König Salomos gestanden haben soll. Seit der muslimischen Eroberung 638 ist dieser Bezirk, arabisch "haram al-scharif", "das edle Heiligtum", nach der Wallfahrtsmoschee in Mekka und der Grabmoschee Mohammeds in Medina die drittwichtigste Kultstätte des Islams.

Eine von hochkarätigen Christenführern nicht nur aus dem Nahen Osten unterzeichnete Petition hat dem Vorgang, den man ansonsten vielleicht eher in der Klamauk-Kiste verortet hätte, Gewicht und Aufmerksamkeit verschafft. In der kürzlich veröffentlichen Erklärung warnen der frühere Patriarch Erzbischof Michel Sabbah, von 1987 bis 2008 zuständig für die römisch-katholischen Christen in der Region, Jerusalems Weihbischof William Shomali, der frühere Weltkirchenratspräsident Olav Fykse Tweit und der aus Jerusalem stammende Ex-Präsident des Lutherischen Weltbundes, Munib Younan, die Fanatiker vor solchen Plänen zur Errichtung eines dritten jüdischen Tempel.

Der Felsendom in Jerusalem.
Bild: ©Ella/Fotolia.com

Ort des Streits: der Jerusalemer Tempelberg.

Der erste war von König Salomon um 950 vor Christus errichtet worden. Den zweiten Tempel des Herodes zerstörten die Römer im Jahr 70 nach Christus. Ein dritter Tempel an seinem alten Platz würde zu einem neuen Flächenbrand führen, der nicht nur weitere Pein über Jerusalem brächte; er würde den israelisch-palästinensischen Konflikt zu einem religiösen Weltkonflikt ausweiten, so der Aufruf. Die Kirchenoberen verurteilen das Bestreben des Temple Institutes und das "zynische Spiel" der christlichen Zionisten, die Jerusalem zu einer apokalyptischen Spielwiese machen wollen, hieß es. Denn nach deren Vorstellungen wird der dritte Tempel von Jerusalem durch den Antichristen entweiht, bevor der Messias kommen kann.

Kultische Voraussetzung für die Wiedererrichtung des jüdischen Tempels ist nach den Visionen des Temple Institutes das Opfer einer "roten Kuh ohne Fehler oder Makel, die nie unter einem Joch gestanden hat" – gemäß den Bestimmungen des 4. Buchs Moses (Numeri 19). Es soll auf einem weißen Opferaltar und mit direktem Blick auf den Tempelberg geschlachtet werden. Mehrfach waren in den vergangenen Jahren solche Tiere gezüchtet oder ausgesucht worden, letztlich entsprachen sie aber nicht rituellen Reinheitsvorschriften.

Gläubige an der Klagemauer in Jerusalem.
Bild: ©picture alliance / Bildagentur Huber

Die Westmauer des Tempelbergs (Klagemauer) ist Teil der westlichen Umfassungsmauer des Plateaus des Herodianischen Tempels.

Jetzt sollen, so meldeten auch US-Quellen, genau solche Tiere in Texas (nicht von jüdischen, sondern von christlichen Bauern) gezüchtet und ins Heilige Land gebracht worden sein. Und dort warteten sie nun auf ihre gesetzeskonforme Opferung, um so einen Priester für einen neuen Tempel zu "reinigen".

Dass es hier um mehr geht als nur um einem absurden Spleen religiöser Fanatiker, machte ausgerechnet die Hamas deutlich, auch wenn deren Hinweis zunächst kaum Beachtung fand. In einer Rede zum 100. Tag des Kriegs nannte Hamas-Sprecher Abu Ubaida unter den Motiven für den Überfall seiner Organisation am 7. Oktober, dass die Juden "rote Kühe" ins Land gebracht hätten – und somit einen jüdischen Tempel auf dem muslimischen Haram al-Scharif (Tempelberg) errichten wollten.

Es war nicht die erste Reihe der Jerusalemer Kirchenführer, die sich jetzt zu Wort meldete. Aber mit ihrer Petition gegen einen dritten jüdischen Tempel haben sie dem Thema Aufmerksamkeit verschafft.

Von Johannes Schidelko (KNA)