Kelche und Kerzenleuchter: Die Frage nach der Heiligkeit von Inventar
Der Stuhl, auf dem jahrzehntelang der Priester saß, steht zur Disposition. "Wir gestalten den Altarbereich unserer Kirche neu, da passt er nicht mehr rein und wird ersetzt", sagt Pfarrer Martin Beisler aus dem Pastoralverbund Salzkotten. Denn im neuen Raumkonzept für die Kirche St. Johannes Enthauptung ist für einige Stücke wie Sedilien, also Sitze für Priester und Ministranten, sowie Kerzenleuchter kein Platz mehr. Aber wohin damit? Diese Frage beschäftigt Gemeinden deutschlandweit und führt Fragen nach der Bedeutung dieser Gegenstände mit sich.
Mal ist es eine Renovierung wie in Salzkotten, oft ist es aber auch die Aufgabe eines Gebäudes, die dazu führt, dass Gegenstände, auf und mit denen oft jahrzehntelang die Eucharistie als "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens" (Lumen gentium 11) gefeiert wurde, überzählig sind. Nicht selten veranstalten die Gemeinden dann Flohmärkte, wo zwischen Kerzenhaltern, Vasen, Bildern, Bänken und Stühlen vieles für kleines Geld unter die Leute kam, was nicht direkt im Dunstkreis der Eucharistie eingesetzt wurde. So etwa im sauerländischen Nachrodt-Wiblingwerde, wo im Februar ein Flohmarkt in der entwidmeten Kirche St. Josef aufgebaut wurde – abgegeben wurde neben viel Geschirr und Alltäglichem auch die Krippe der Kirche. Bei der ehemaligen Kirche St. Monika in Ingolstadt geht es sogar um ganze Gebäudeteile, die verwertet werden sollen. Denn das Gebäude wird abgerissen. "Wir versuchen zusammen mit allen Beteiligten wirklich alle Elemente aus der Kirche nach besten Möglichkeiten an anderer Stelle einsetzen zu können", sagt der Leiter der Abteilung Bau- und Stiftungswesen im Bistum Eichstätt, Josef Heinl, in einer Mitteilung der Diözese. An der deutsch-niederländischen Grenze gibt es mit dem "Relimarkt" sogar ein ganzes Format, das sich ausschließlich mit dem Verkauf von Kircheninventar beschäftigt. Jesusfiguren, Tabernakel, Altäre und vieles weitere mehr wechselt dort Woche für Woche den Besitzer.
So etwas wollte Beisler unbedingt vermeiden. "Wir haben uns bemüht, dass die Gegenstände möglichst an Leute gehen, die wir kennen", sagt er. Denn der ehemalige Priestersitz als Partygag beim nächsten Grillabend auf der heimischen Terrasse – diese Vorstellung findet er befremdlich. "Diese Bedenken haben wir durchaus." Die Lösung: Die Stücke gehen in erster Linie an Leute, die der Pfarrei persönlich bekannt sind – gegen eine Spende. Und: Altar, Ambo, Heiligenfiguren und so weiter kommen direkt in das Bistumsdepot. Was abgegeben wurde, war "Kleinkram, der weder künstlerisch noch materiell wirklich großen Wert hat", es geht um Katalogware. Aber dennoch ist er auch bei diesen Einrichtungsgegenständen vorsichtig: "Diese Dinge haben eine spirituelle Dimension. Darum ist es uns ein Anliegen, dass wir die nicht verscherbeln."
Nicht "verscherbeln"
Was mit Kirchengegenständen in einem "zweiten Leben" passieren soll, ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. In der Kirche gibt es einige Bestimmungen, die allerdings nur einen allgemeinen Leitfaden dazu geben. Die Konstitution "Sacrosanctum concilium" des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) zur Liturgie schreibt etwa: "Sorgfältig sollen die Ordinarien darüber wachen, dass nicht etwa heiliges Gerät und Paramente oder kostbare Kunstwerke veräußert werden oder verkommen, sind sie doch Zierde des Hauses Gottes." (SC 126) Dazu passt der entsprechende Satz des Kirchenrechts, wonach bestraft werden soll, wer "ohne die vorgeschriebene Beratung, Zustimmung oder Erlaubnis oder eine andere vom Recht für die gültige und erlaubte Veräußerung von Kirchengütern festgelegte Voraussetzung diese veräußert oder im Hinblick auf sie einen Akt der Verwaltung setzt". (Can. 1376 CIC) Beides wird laut einhelliger Meinung von Diözesankonservatoren so ausgelegt, dass sogenannte sakrale Gegenstände wie etwa Vasa sacra, also Kelche und Hostienschale, oder Paramente, also Gewänder, nicht in den Handel kommen sollen. Entsprechende Suchen bei Online-Auktionshäusern bestätigen jedoch, dass Papier geduldig ist. Von anderen Gegenständen aus der "zweiten Reihe", wie Kerzenständern ist hier nicht die Rede.
Wie "heilig" sind solche Gegenstände? Der Frankfurter Liturgiewissenschaftler Andreas Bieringer sieht hier eine Lücke. "Die Kirche hat sich nie wirklich Gedanken gemacht, was es denn bedeutet, wenn man eine Sache segnet." Denn neben einem Altar, der gezielt bei einer Kirchweihe (die eigentlich eine Altarweihe ist) mit Chrisamöl gesalbt wird, sind die restlichen Gegenstände einfach da und werden genutzt, ohne dass deren Status genau reflektiert wird. "Es gibt da schon unterschiedliche Stufen der Dichte der Realpräsenz, die mit dem Gebrauch des Öls ausgedrückt werden." Doch was, wenn etwas lediglich gesegnet wird? Dazu gehörten dann auch Kelche und Hostienschalen. In dieser Diskussion gebe es immer wieder den Vorwurf eines quasi magischen Verständnisses eines Segens auf einer Sache, sagt er. "Wenn man das so sieht, hat man natürlich ein Problem, wenn so eine Sache aus dem Gebrauch fällt." Er sieht dagegen die Tradition seit dem Konzil, nicht in erster Linie Dinge zu segnen, "sondern auch immer den Gebrauch und die Menschen dazu – gerade wegen dieser Unsicherheit zu den Folgen des Segens". Das Materielle spiele in der katholischen Tradition eine große Rolle, so Bieringer. "Die Segnung von Dingen ist möglich, aber nur in Zusammenhang mit deren Gebrauch." Falle der Gebrauch weg, falle auch der Segen weg. "Wenn ein Priestersitz nicht als solcher genutzt wird, ist das einfach nur ein Stuhl. Gleiches gilt für Heiligenfiguren, Kreuze und alles andere. Ein Segen fügt einem Gegenstand nichts Grundsätzliches hinzu." Zwar findet auch er es befremdlich, wenn eine Kanzel zum Kneipeninventar wird – "aber dann wäre die Lösung nur, alles nach Gebrauch zu zerstören". Er spricht sich deshalb für eine pragmatische Lösung aus: Wenn etwas nicht mehr im ursprünglichen Sinne verwendet wird, ist es ein normaler Gegenstand – "auch wenn das manchmal schwerfällt".
Ausnahme: Der Altar
Ausnahme: Wenn etwas mit Chrisam gesalbt wird, wie etwa der Altar. "Dafür gibt es deshalb bewusst ein 'Entsegnungs-Ritual'. Für andere Gegenstände ist das aus gutem Grund jedoch nicht vorgesehen." Eine Zwischenposition nehmen noch Glocken ein, die ebenfalls mit Chrisam gesegnet werden können. Hier stellt sich jedoch die Frage nach der Weiterverwertung weniger, da Glocken entweder genutzt werden, als Skulptur fungieren oder eingeschmolzen werden.
"Generell ist das Problem, dass die Kirche sich nie mit der Frage beschäftigt hat, was mit kirchlichem Inventar passiert, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Für diesen Fall ist nicht vorgesorgt", so Bieringer. Es bleibt also weiter in der Hand der Menschen vor Ort, für die aussortierten Inventare eine neue Zukunft zu finden, irgendwo zwischen spiritueller und emotionaler Bindung und Pragmatismus wie Nachhaltigkeit. Denn die Heiligkeit findet vor allem in der Gemeinschaft der Gläubigen statt.
In Salzkotten ist die St.-Johanneskirche mittlerweile leer, die Renovierungsarbeiten können beginnen. Die allermeisten Stücke werden in den Kirchenraum zurückkehren, die neuen Akzente gezielt gesetzt. Hier wird in nicht allzu ferner Zeit wieder Glaubensleben stattfinden – unabhängig von Gegenständen, aber von ihnen unterstützt.