Franziskus' Aufruf gefolgt: Deutscher Diakon auf Lesbos
Aus der kleinen Maria-Himmelfahrtskirche auf der griechischen Insel Lesbos dringen Gebete und Gesang bis auf die Straße. Draußen vor der Kirche stehen zwei Muslime. Beide sind Flüchtlinge aus dem umliegenden Flüchtlingslager. Sie gehen davon aus, dass sie nicht hinein dürfen, möchten aber gerne einmal dabei sein, wenn Gottesdienst gefeiert wird. Denn mehrfach haben beide den meist einzigen katholischen Kirchenmann in der Umgebung aufgesucht und um ein Segensgebet gebeten. Eine typische Szene auf Lesbos, wie er sie beschreibt.
Der Kirchenmann ist ein katholischer Diakon aus Deutschland, er heißt Günther Jäger und kommt aus Oberbuch bei Passau. Kristallklares Wasser, Sandstrände und sehenswerte Bauwerke auf der drittgrößten Insel Griechenlands klingen nach Urlaub, doch wenn das Flugzeug in Richtung Griechenland abhebt, sitzt Diakon Jäger nicht in kurzer Hose und Hawaiihemd darin. Für ihn geht es nicht in den Urlaub, sondern, wie Papst Franziskus immer wieder fordert, "an die Ränder".
Diese Forderung nahm und nimmt sich der heute 68-Jährige zu Herzen. Deshalb fliegt er mehrmals im Jahr für mehrere Wochen nach Lesbos, um im Flüchtlingslager mitanzupacken. Sei es mit gesundem Essen für die Geflüchteten, mit neuen Projekten im landwirtschaftlichen Bereich oder auch in der Seelsorge: Diakon Jäger wollte mehr als nur im liturgischen Gewand beim Sonntagsgottesdienst das Evangelium verkünden.
Mit Hürden zur Weihe
Der Plan, Diakon zu werden, schien zunächst nicht realisierbar. Noch während seiner Münchner Zeit, in der er eine leitende Position in einem internationalen Konzern innehatte, begann er in Würzburg ein Theologiestudium im Fernkurs. Doch dann kam ein schwerer Unfall dazwischen, der zum Abbruch des Studiums führte. Jahre vergingen, doch Jäger fand keine Ruhe und versuchte es erneut. Das Erzbistum München lehnte ihn damals aber wegen seines Alters ab. Doch ein späterer Umzug ermöglichte ihm einen neuen Anlauf und er bewarb sich beim Bistum Passau – mit Erfolg. Auf die Frage des Passauer Bischofs Stefan Oster, was er nach der Diakonenweihe machen wolle, gab Jäger eine nicht alltägliche Antwort: "Ich möchte dem Ruf von Franziskus folgen und an die Ränder gehen."
Der Bischof war überrascht, aber Jäger meinte es ernst. Die Gemeindearbeit interessierte ihn zwar, aber er hatte andere Pläne und Wünsche. Ursprünglich sollte es nach Ghana gehen. Alles war geregelt, seine Familie gab grünes Licht – doch das Coronavirus machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Viele Absagen aus Altersgründen folgten. Doch der heute 68-Jährige ließ sich nicht entmutigen, suchte weiter und wurde schließlich fündig. Er stieß auf die kleine NGO "Home for all" auf Lesbos.
Inspiriert habe ihn die Geschichte des Gründerehepaars der Organisation. Sie entspreche radikal dem Evangelium, erinnert sich Jäger. Für die Flüchtlingsarbeit auf Lesbos haben die beiden 2017 ihr ganzes Leben umgekrempelt und neu ausgerichtet. Seitdem stemmen sie die gesamte Arbeit fast allein. Dazu gehört vor allem die Versorgung von Flüchtlingen mit warmen Mahlzeiten. Denn viele Menschen vertragen das in den Lagern ausgegebene Essen aufgrund von Krankheiten nicht. Zu den vulnerablen Personen gehören auch allein reisende Minderjährige, die außerhalb des Camps in einer sogenannten "Safe Area" untergebracht sind. Dabei handelt es sich um Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren, die allein sind, weil sie ihre Eltern auf der Flucht verloren haben oder allein losgeschickt wurden, um beispielsweise einer Zwangsheirat zu entgehen.
„Ich möchte dem Ruf von Franziskus folgen und an die Ränder gehen.“
Es kommen zwar immer wieder Freiwillige, die mithelfen, aber sie bleiben nicht dauerhaft. Anders Jäger. Mehrmals im Jahr fliegt der Diakon für meist zehn Wochen auf die Insel. Durch seine Präsenz hat er sich nach und nach in die Flüchtlingsarbeit integriert und neue Projekte mit auf den Weg gebracht. Dazu gehören Projekte wie die biologische Landwirtschaft "Home Village" oder Olivenbäume in den Bergen. Dadurch werden Arbeitsplätze für Flüchtlinge geschaffen.
Derzeit haben sechs Flüchtlinge Arbeit, das heißt sechs Familien verdienen Geld, um sich ein eigenes Leben aufbauen zu können. Weitere Arbeitsplätze sollen folgen, doch dafür fehlt noch das Geld. Man wolle aber das Olivenöl verkaufen und nach und nach unabhängig von Spenden werden, um noch mehr Flüchtlingen eine Arbeitsstelle anbieten zu können. Leider könne man nicht allen helfen, so Jäger.
Jeden Tag neue Boote
Nachdem Europas größtes Flüchtlingslager Moria abgebrannt war, wurde ein neues provisorisches errichtet – ausgelegt für rund 2.700 Menschen. Derzeit seien mehr als 5.000 Menschen dort. "Die Regierung hat gute Arbeit geleistet, aber die Lager sind einfach überfüllt", sagt Jäger. Er erinnert sich an viele Gespräche mit Flüchtlingen in den Unterkünften. "Es sind viele Tränen geflossen, es gab viel Trauer und Leid, aber wir konnten immer Unterstützung anbieten", sagt der Diakon. Es vergehe kein Tag, an dem kein Boot an der Küste ankomme.
"Man merkt den Menschen die Angst an, wenn sie ankommen und ins Lager gebracht werden", berichtet Jäger. Viele seien erleichtert, in Freiheit zu sein und keine Angst mehr vor Gewalt oder Tod haben zu müssen. Andere brauchen etwas länger, um Vertrauen zu fassen. Er selbst sucht den Kontakt zu diesen Menschen, da sie meist eine Odyssee hinter sich haben. Schließlich ist neben neuen landwirtschaftlichen Projekten und gesundem Essen die Seelsorge seine Kernkompetenz – oft auch mit Unterstützung seiner Frau, die mehrmals im Jahr mit ihm nach Lesbos fliegt. "Es ist sehr wertvoll, als Ehepaar aufzutreten", sagt er. Und: "Gerade muslimische Familien freuen sich, wenn eine Frau dabei ist."
Für die Zukunft plant Jäger ein größeres Zelt in unmittelbarer Nähe des Flüchtlingslagers, in dem Gottesdienste stattfinden sollen – auch wenn es auf der Insel bereits eine kleine katholische Gemeinde gibt, in der sonntags Gottesdienste auf Englisch und Französisch gefeiert werden. Zur Gemeinde gehören viele Flüchtlinge, ein Pfarrer ist unregelmäßig für die sonntägliche Eucharistiefeier vor Ort, andernfalls werden Wortgottesdienste gefeiert. Gebete, Lieder, Tänze und Umarmungen – für viele sind die Gottesdienste ein Zufluchtsort. Auch die beiden muslimischen Flüchtlinge durften zum Gottesdienst dazu kommen. Schließlich sangen und klatschten sie mit. "Das hat ihnen so gut getan", schwärmt Jäger noch heute.