Sonne, Zukunftsdebatten und Gebete
Kulturpessimusmus und katholische Lebensfreude
Bundespräsident Joachim Gauck rief die Bürger dazu auf, nicht in Kulturpessimismus zu verfallen, sondern die eigene Zukunft aktiv zu gestalten. Nie zuvor habe es in Deutschland ein vergleichbares Maß an Freiheit gegeben wie heute. Dabei stehe jeder einzelne in der Pflicht, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und nicht einfach an die Politik zu delegieren. Gaucks Gesprächspartner, der Erfurter Soziologe Hartmut Rosa, warnte indes, die moderne Gesellschaft habe das Wachstum in allen Bereichen zum Selbstzweck erhoben: "Wir leben und handeln auf rutschenden Abhängen. Immer schneller Laufen, um unseren Platz zu halten."
Gauck, ehemaliger protestantischer Pfarrer, attestiert seinen eigenen Glaubensschwestern und -brüdern einen Hang zu Pessimismus. Seine Auffassung, wonach sich die Deutschen besonders wohlfühlen, wenn ihnen unwohl ist, lasse sich gerade auch in protestantischen Milieus festmachen, sagte er. "Ich preise manchmal meinen Schöpfer, dass er die Katholiken erschaffen hat." Diese tendierten eher dazu, sich über das Erreichte zu freuen.
Ökumenischer Gottesdienst im Zeichen der Taufe
Im Zeichen des allen Christen gemeinsamen Sakraments der Taufe stand der zentrale ökumenische Gottesdienst des Kirchentags am Nachmittag auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh erinnerte in seiner Predigt daran, dass die Täuflinge in der alten Kirche ihre alten Gewänder abgelegt hatten, um danach ein neues weißes Kleid anzuziehen. Dieses habe die Chance zu einem neuen Leben symbolisiert und sei zugleich mit dem Auftrag verbunden, "Licht ins Dunkel zu bringen". Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, sagte, Eigenschaften wie Demut oder Milde, die von den Christen erwartet würden, stünden "in unserer Zeit nicht hoch im Kurs". Sanftmütigkeit werde mit Leisetreterei verwechselt und Milde mit der Gleichgültigkeit, den anderen einfach so zu lassen, wie er sei. Jesus sei aber "kein Leisetreter" gewesen, so Fürst.
An dem Gottesdienst nahm auch Erzbischof Julius Hanna Aydin von der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland teil, der den Lesungstext in aramäischer Sprache vortrug. In einem kurzen Statement vor Beginn des Gottesdienstes bekundete er seine Verbundenheit mit dem Kirchentag. "Wir fühlen uns hier zu Hause, es ist auch unser Kirchentag", sagte Aydin. "Wir sind Schwesterkirchen, wir sind eine Familie", fügte er hinzu. In Deutschland leben rund 100.000 Mitglieder der altorientalischen syrisch-orthodoxen Kirche.
Applaus für Käßmann
Viel Applaus fand die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann mit ihrer Kapitalismuskritik. Christen müssten sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen und die "Logik der Welt des Mammon, des Marktes" durchbrechen, so ihr Credo. Im biblischen Gleichnis vom untreuen Verwalter habe dieser die "Logik des Systems" durchbrochen, indem er Gläubigern einen Teil ihrer Schulden erließ. "Das wäre mal eine Vision für Griechenland!", meinte die frühere Landesbischöfin. Zwar heiße es immer, Visionen seien nicht hilfreich und es werde Realpolitik gebraucht. "Aber Durchbrüche schaffen wohl nur die Regelbrüche im System", so Käßmann.
Kreativer Sonnenschutz
Die Sonne brennt in Stuttgart - und Zehntausende Kirchentagsbesucher suchen bei mindestens 27 Grad Abkühlung. Trinkwasser-Stellen sind gefragt. Die Menschen füllen dort ihre Wasserflaschen auf. Andere nutzen alle möglichen Utensilien, um sich vor der Hitze zu schützen: Der Kirchentags-Schal kommt um den Kopf, sogar eine Zeitung muss als Sonnenhut herhalten. Zum Schutz der mehr als 4000 Helfer für den Deutschen Evangelischen Kirchentag sind kurzfristig 500 Flaschen Sonnencreme geordert worden, wie die Organisatoren beim Deutschen Evangelischen Kirchentag zum Start des Treffens mitgeteilt hatten. Auch der Wasservorrat sei aufgestockt worden. Bis zum Sonntag werden rund 100 000 Dauerbesucher zum Kirchentag erwartet.
Positive Zwischenbilanz
Eine erste positive Bilanz zog auch Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne). In Stuttgart seien derzeit viele "Klugheitssuchende" unterwegs. Noch bis Sonntag will der Kirchentag weiter diskutieren, beten und feiern. Das Programm unter dem biblischen Motto "damit wir klug werden" umfasst insgesamt 2.500 Veranstaltungen. An Hunderten Ständen präsentieren sich kirchliche Gruppen und Initiativen. Am Freitag wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Debatten eingreifen, bei einem Podiumsgespräch zur digitalen Revolution. (luk/KNA/dpa)