Papst Franziskus ernannte ihn zum Patron des Barmherzigkeitsjahres

Kleiner großer Heiliger: Ein Ökumene-Kapuziner zwischen Ost und West

Veröffentlicht am 12.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Herceg Novi ‐ Er war kränklich und nur 1,38 Meter "groß". Trotzdem hatte Leopold Mandić einen Traum, der ihn ins italienische Padua führte. Als unermüdlicher Beichtvater machte er sich dort einen Namen – und sogar Papst Johannes Paul I. besuchte ihn. Heute inspiriert er auch dessen Nachfolger Franziskus.

  • Teilen:

Von Statur kleinwüchsig, kränklich und mit seiner leisen, lispelnden Stimme nur schwer zu verstehen: Das Auftreten des Kapuziners Leopold Mandić war alles andere als spektakulär – und doch hatte er schon als Kind große Träume. Während andere Kinder heute etwa davon träumen, als Astronaut ins Weltall zu fliegen, träumte "Padre Leopoldo" – wie ihn Papst Franziskus nannte – davon, die christlichen Kirchen in Ost und West zu versöhnen. Schon früh wusste er um die Spaltung zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche, zumal sein Umfeld vom orthodoxen Glauben geprägt war. Ob er aber schon als Kind ein klares Bild davon hatte, sei jedoch fraglich, sagt Robert Tonsati, Kanzler und Leiter des Kulturbüros in der kroatischen Diözese Kotor, auf dessen Gebiet Mandićs Geburtsort liegt. "Zu seiner Zeit waren die Trennlinien zwischen den beiden Kirchen viel schärfer als heute, auch die offizielle Rhetorik war deutlich anders, viel weniger vom Geist der Gemeinschaft geprägt", fährt er fort. "Viele Kirchenvertreter betonten deutlich die Überlegenheit 'ihrer' Kirche gegenüber der anderen und vertieften damit die Kluft zwischen ihnen".

Leopold Mandić wurde am 12. Mai 1866 im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Castelnuovo, heute Herceg Novi in Montenegro, geboren und fand als jüngstes von sechzehn Kindern durch seine Eltern zum katholischen Glauben. Neben den Kirchenspaltungen erlebte er unter anderem auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen auf dem Balkan – vor allem zwischen den kroatischen (meist katholischen) und den serbischen (meist orthodoxen) Christen. Was aber das Zusammenleben mit Christen anderer Konfessionen betrifft, so kannte der spätere Kapuziner die Ökumene schon lange, bevor sie sich als Fachbegriff in theologischen Kreisen etablierte. "Leopold Mandić gilt allgemein als Pionier der Ökumene. Er sah seine Aufgabe gerade darin, an der Versöhnung der gespaltenen Kirchen, insbesondere der östlichen (orthodoxen) und westlichen (katholischen), zu arbeiten", sagt Tonsati. In Kotor wurde die Kirchentrennung allgemein nicht so streng gesehen. So gab es laut Tonsati viele Mischehen und katholische Geistliche gaben den orthodoxen Kindern in Gemeinden, in denen es keinen orthodoxen Geistlichen gab, gesonderten Religionsunterricht.

Robert Tonsati, Leiter des Kulturbüros im Bistum Kotor
Bild: ©privat

Robert Tonsati, Leiter des Kulturbüros im Bistum Kotor: "Zu seiner Zeit waren die Trennlinien zwischen den beiden Kirchen viel schärfer als heute, auch die offizielle Rhetorik war deutlich anders, viel weniger vom Geist der Gemeinschaft geprägt."

Mit 18 Jahren trat Leopold in Venedig in den Kapuzinerorden ein und wurde 1890 zum Priester geweiht. Sein eigentlicher Wunsch, die Ost- und die Westkirche zu versöhnen, verzögerte sich damit zunächst. Denn die Ordensoberen teilten seine Vision von Ökumene nicht. So nahm er die ihm übertragenen seelsorgerischen Aufgaben an und erfüllte sie mit großer Hingabe – oft auf Kosten seiner damals schon angeschlagenen Gesundheit und ohne Pause. Als Beichtvater wirkte er zunächst in Venedig und später in Padua, wo er mehr als 30 Jahre seines Lebens verbrachte. Von dem großen Wunsch, Brückenbauer zwischen den beiden Kirchen zu sein, blieb nicht viel – nur die kleine, fensterlose Zelle, die im Winter kalt und im Sommer heiß war. Oft saß der kleine Kapuziner mehr als 15 Stunden am Tag im Sessel seiner Zelle, Menschen aus ganz Europa warteten stundenlang, um mit ihm über ihre alltäglichen Probleme zu sprechen. Unter ihnen waren auch Priester und Bischöfe, darunter sogar Albino Luciani, der später als 30-Tage-Papst bekannte Johannes Paul I. Wenn nicht so viel Andrang herrschte, vertrieb sich der Ordensmann die Zeit mit theologischer Literatur.

Als unermüdlicher Beichtvater hatte der kleine Kapuziner schon zu Lebzeiten eine große Wirkung. Während andere Seelsorger seiner Zeit Angst und die Androhung der ewigen Höllenstrafe als Anreiz nutzten, habe Leopold immer nur von Barmherzigkeit gesprochen, so Tonsati. Papst Franziskus habe ihn deshalb zum Patron des Jahres der Barmherzigkeit (2015-2016) gemacht, um das Thema Barmherzigkeit noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Diese Haltung spielt im Pontifikat von Franziskus in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle, sei es in der Frage der Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete, im Umgang mit Homosexuellen, Migranten oder auch in der Umstrukturierung des lange Zeit für seine inquisitorischen Methoden bekannten Glaubensdikasteriums. Franziskus ließ sich von dem kleinen Kapuziner inspirieren. "Ein großer Barmherziger", nannte der Pontifex ihn während einer Ansprache im Jahr 2022 und machte deutlich, dass die Kirche Priester mit demütiger und barmherziger Haltung braucht.

Der offensichtliche Grund für diese Faszination – nicht nur bei Papst Franziskus – war die einfühlsame und verständnisvolle Art, mit Leopold den Menschen begegnete. Unzählige Anekdoten werden über ihn erzählt. Eine davon handelt von einem gesellschaftlich bekannten Paduaner, der sich lange vor dem Sakrament der Versöhnung gedrückt haben soll. Der Kapuziner konnte ihn jedoch überreden, für einen Moment Platz zu nehmen. Der Paduaner sei von der Art und Weise, wie der Kapuziner mit ihm umgegangen sei, im positiven Sinne verwirrt gewesen und habe sich dadurch auf den Platz des Beichtvaters statt auf den des "Sünders" gesetzt. Leopold konnte die Situation jedoch retten, indem er sich auf die Kniebank drückte. Aus der skurrilen und für beide Seiten zum Teil peinlichen Situation entwickelte sich ein tiefes Gespräch, ja fast eine Freundschaft. Andere Geschichten sprechen von Brieffreundschaften, die nach Begegnungen mit dem Kapuziner entstanden.

St-Leopold-Kirche in Herceg Novi
Bild: ©Robert Tonsati

Kirche des Heiligen Leopold Mandic in seinem Geburtsort Herceg Novi.

Als Leopold 1942 starb, verbreitete sich die Nachricht, dass ein Heiliger gestorben sei – jeder soll sofort gewusst haben, wer gemeint war. Wie das heute in seinem Geburtsort Herceg Novi, einer kleinen Stadt an der Bucht von Kotor, aussieht, sei schwer zu sagen, meint Tonsati. "Ältere Generationen, egal welcher Religion sie angehörten, wussten, dass in ihrer Stadt ein Heiliger geboren wurde", sagt er. Heute sei das etwas anders. In Kotor gebe es auf relativ kleinem Raum so viele Heilige und Selige, dass die Stadt zu Recht "Bucht der Heiligen" genannt werde. Neben dem Kapuziner sind auch Heilige wie Tripun, dessen Reliquien aus Konstantinopel nach Kotor gebracht wurden oder Selige wie den Augustinermönch Gratian oder die Dominikanerin Ozana von Kotor mit der Stadt verbunden.

Auch wenn die katholische Kirche in Kroatien ihren 1983 von Johannes Paul II. heiliggesprochenen Kapuziner nicht vergessen hat, so scheint man doch mehr den seligen Kardinal Aloysius Stepinac in den Vordergrund stellen zu wollen. An seiner Person scheiden sich jedoch die Geister, das Heiligsprechungsverfahren ruht derzeit. Papst Franziskus hatte eine Kommission aus serbischen und kroatischen Historikern sowie Vertretern der katholischen und serbisch-orthodoxen Kirche einberufen, die 2017 zu dem Schluss kam, dass im Fall Stepinac "die vorherrschenden Interpretationen der katholischen Kroaten und der orthodoxen Serben nach wie vor unterschiedlich sind". Tonsati versteht zwar die Notwendigkeit, Vorurteile über den seligen Kardinal zu überwinden, aber es scheint, dass Stepinac der einzige Bezugspunkt ist, obwohl es "wirklich tiefe und inspirierende Gedanken von so vielen anderen Heiligen gibt" – wie die des barmherzigen Kapuziners Leopold.

Dennoch erfreut sich der Heilige Leopold in der kleinen Kirche des ehemaligen Kapuzinerklosters in Herceg Novi, die ihm geweiht ist, einer ständigen, wenn auch bescheidenen Verehrung. Das ist nicht verwunderlich, denn die Zahl der Katholiken in Herceg Novi ist heute sehr gering. Auch im öffentlichen Raum gibt es wenig, was den neugierigen Pilger auf Leopold aufmerksam macht, abgesehen von einem kleinen Park, den die Diözese der Stadt schenkte. Dieser trägt den Namen des Heiligen und hat einen eher bescheidenen Charakter. "Auch in Bezug auf die katholische Kultur und die Vergangenheit hat es in den letzten Jahrzehnten starke Tendenzen gegeben, die Erinnerung zu unterdrücken", betont Tonsati. Aus kultureller Sicht hält er das für eine große Ungerechtigkeit gegenüber dem Heiligen. Als gläubiger Christ sieht er darin aber keinen Widerspruch: Denn der kleine Kapuziner wollte nie "groß" sein, er wollte in dieser Welt unbemerkt bleiben – und so Großes vollbringen.

Von Mario Trifunovic