Manja Schaar über Krimis und Glaubenswelten

Drehbuchautorin über Kirche: "Andere Welt - faszinierendes Setting"

Veröffentlicht am 09.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Katharina Zeckau (KNA) – Lesedauer: 

Wien ‐ Anderthalb Jahre spielte Manja Schaar in der Kult-Serie "Lindenstraße" mit. Inzwischen schreibt sie Drehbücher – zuletzt für einen Krimi im Priesterseminar. Im Interview verrät sie, warum Soutanen im Fernsehen manchmal wichtiger als die Realität sind.

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Ein Priesterseminarist wurde ermordet. Die Spur führt den blinden Wiener Sonderermittler Alex Haller zur vermögenden, einst adligen Familie Brohnstein. Die ist mit dem Leiter des Seminars, Regens Wimmer, gut bekannt. Das Buch zum neuen "Wien-Krimi", der am Donnerstag im Ersten zu sehen ist, stammt von Manja Schaar. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die 44-Jährige über die Faszination von Glaubenswelten, darüber, warum sie das Schauspielern aufgab und inwiefern Daily Soaps eine gute Schreibschule sind.

Frage: Frau Schaar, was ist das Besondere an dem blinden "Sonderermittler" Haller?

Manja Schaar: Es gibt zwei Dinge, die anders sind in dieser Krimi-Reihe. Die beiden Hauptfiguren sind keine offiziellen Polizisten: Haller ist der ehemalige Chefinspektor der Mordkommission, und sein Kompagnon, sein "Watson", ein Berliner Taxifahrer. Als Autorin hat man da schöne Freiheiten, weil die beiden mehr oder weniger machen dürfen, was sie wollen. Die müssen nicht wie in einem klassischen Krimi nur von A nach B gehen und Fragen stellen. Die dürfen auch mal irgendwo einbrechen und Dinge tun, die nicht ganz gesetzeskonform sind.

Und dann die Tatsache, dass er blind ist. Wie verschafft sich eine Person durch die anderen Sinne – Riechen, Hören, Fühlen – Vorteile? Sich das zu überlegen im Schreibprozess, macht wahnsinnig viel Spaß.

Frage: Wieso ist der Tote ein Priesteranwärter? Ist das inhaltlich wichtig - oder dient das Priesterseminar eher als interessantes Setting?

Schaar: Ich bin tatsächlich eine Freundin von spannenden Kulissen. Ich schreibe immer aus der Sicht der Zuschauer, und meine erste Überlegung ist: Was möchte ich sehen? Welche Themen und Charaktere sind interessant, was für ein Verbrechen fesselt mich und gibt es Locations, die ich gern bespielen möchte? Ich finde Kirche generell ein sehr faszinierendes Setting. Und dann bin ich aufs Priesterseminar gekommen, weil ich die Idee eines Betrügers hatte und überlegt habe: Wo könnte ein Betrüger Unterschlupf finden, ohne gleich erkannt zu werden?

Frage: Worin besteht die Faszination von Glaubenswelten und Frömmigkeit?

Schaar: Generell sind Welten interessant, die wir nicht gut kennen. Alles, was hinter verschlossenen Türen passiert, macht uns, die Zuschauer, neugierig. Ein Priesterseminar zum Beispiel habe ich noch nicht oft gesehen. Ich finde, wenn man eine Kirche betritt, hat das etwas sehr Erhabenes und oft eine unglaublich tolle Atmosphäre, die man nur schwer beschreiben kann. Eben eine andere Welt. Was ich aber auch spannend finde, ist diese vermeintliche Unantastbarkeit, was Vertreter der Kirche angeht.

Frage: Spielt Glauben für Sie persönlich eine Rolle?

Schaar: Tatsächlich gar nicht, ich bin nicht gläubig. Ich bin in der DDR geboren, bin Atheistin. Ich halte Religion sogar für etwas nicht Gutes, bin da sehr skeptisch und in vielerlei Hinsicht kritisch. Aber gerade die Dinge, die man nicht kennt oder vielleicht sogar ablehnt, sind ja eine Herausforderung und aufschlussreich, wenn man sich damit beschäftigt. Und interessanterweise arbeite ich gerade schon wieder an einem neuen Projekt, in dem Religion eine große Rolle spielt: Also irgendetwas zieht mich schon dahin.

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Frage: Wie haben Sie recherchiert?

Schaar: Ich habe mich über Monate mit den Themen des Films beschäftigt, mit einem Priesterseminaristen gesprochen, einem Pfarrer, jemandem, der seine Priester-Ausbildung abgebrochen hat … Ich wollte genau wissen, wie ist der Alltag im Seminar, was für einen Ausweis trägt man bei sich, wie heißt das Gewand, das die Priester tragen: Solch scheinbar kleine Dinge sind wichtig, um es möglichst korrekt zu machen.

In der Fiktion gilt allerdings der Satz: Wirkung vor Wahrheit. Das bedeutet zum Beispiel: Ich weiß natürlich, dass Priesterseminaristen privat keine Talare tragen, eigentlich laufen die im Seminar mit Hoodie, Jeans und Sneakers rum. In dem Fall hat sich die Regisseurin Sibylle Tafel aber zu Recht entschieden, die Studenten immer im Talar zu zeigen, damit der Zuschauer schlussfolgern kann: Ah, wir befinden uns jetzt im Priesterseminar. Manchmal müssen Dinge ein bisschen verschoben werden, damit es für die Geschichte funktioniert.

Frage: Sie haben Anfang der 2000er Jahre zunächst als Schauspielerin gearbeitet, unter anderem in der "Lindenstraße". Wieso haben Sie zum Drehbuch gewechselt?

Schaar: Der Grund ist, dass ich zu gerne arbeite und nicht mehr neben dem Telefon sitzen und darauf warten wollte, dass die Agentur anruft und sagt: Wir haben ein Casting. Bei dem ich dann mit 30 anderen blonden Schauspielerinnen vorspreche. Man ist sehr abhängig, und wird als Schauspieler und vor allem Schauspielerin stark aufs Äußere reduziert. Nicht nur, aber auch. Und das fand ich ganz schlimm. Schreiben kann ich auch noch, wenn ich alt und grau bin (lacht).

Außerdem habe ich Literatur und Journalismus studiert, war also immer dem Schreiben verbunden. Aber ich habe die Arbeit am Set geliebt, und die fehlt mir tatsächlich. Ich bin ein Team-Mensch und sitze jetzt allein vorm Computer, das ist nicht immer einfach. Zum Glück lernt man immer wieder tolle KollegInnen kennen und schreibt ja auch mal in Zweier-Teams oder im Writers' Room.

Frage: Zunächst haben Sie vor allem für Daily Soaps geschrieben …

Schaar: Ja, ich habe mit "Alles was zählt" angefangen. Was interessant ist: Damals war es sehr verschrien, für eine Daily Soap zu arbeiten. Das ist heute überhaupt nicht mehr der Fall. Die ProduzentInnen wissen: Ich hab Daily gemacht, das bedeutet, ich kann meine Deadlines einhalten, schnell und effizient arbeiten, mit kurzfristigen Änderungen gut umgehen. Die Daily war eine hervorragende Schule. Viele großartige KollegInnen machen mittlerweile auch keinen Hehl mehr daraus.

Frage: Inwiefern hilft Ihnen Ihre Schauspielerfahrung beim Schreiben?

Schaar: Ich achte bei den Dialogen sehr stark darauf, dass sie gut sind, flüssig, knackig. Es ist ein großer Vorteil, wenn man selbst gespielt hat. Und dann beim Schreiben laut spricht: Passt das oder passt das nicht?

Frage: Die Aufträge in der deutschen Film- und Fernsehbranche sind seit dem vergangenen Jahr eingebrochen …

Schaar: Es ist aktuell wahnsinnig schwierig, seine Stoffe unterzubringen. Es wird wenig entwickelt, ProduzentInnen geben nicht mehr viel in Auftrag. Weil sie selbst nicht wissen, wo sie ihre Konzepte einreichen sollen, weil es so viele Budget-Cuts gibt. Dieses goldene Zeitalter – wann war denn das, ist ja erst drei, vier Jahre her! -, diese Aufbruchstimmung mit vielen neuen Serien, Amazon hier, Netflix da: Da sind wir schon eine ganze Weile nicht mehr.

Frage: Was würden Sie sich wünschen für Ihren Berufsstand?

Schaar: Ich würde mir wünschen, dass finanziell mehr investiert wird auf Pitch- und Exposé-Ebene. Viele Pitches schreiben wir umsonst. Das heißt, wir stellen zum Beispiel einen Kriminalfall auf für eine öffentlich-rechtliche Vorabendserie. Das ist unfassbar viel Arbeit: Fünf Verdächtige, die alle ein Motiv haben müssen – das aufzubauen, dauert. Geld bekommt man dafür nicht, aber Miete zahlen muss ich trotzdem. Erst später gibt es einen Vertrag – wenn man Glück hat.

Aber auch einfach mehr Wertschätzung und Vertrauen wären schön: Denn wir sind die Ideengeber, die Urheber. Ich hatte bei "Blind ermittelt" großes Glück mit der Monafilm, der Degeto- und ORF-Redaktion. Aber häufig wird später noch viel am Buch geändert, und wir haben keinen Einfluss darauf. In Amerika wäre das undenkbar, da haben die AutorInnen einen anderen Stellenwert. Es heißt ja immer "ein Film von", und dann wird die Regie genannt, die vielleicht zwei Monate vor Drehbeginn dazukommt, nachdem man selbst sich bereits ein halbes Jahr mit dem Stoff beschäftigt hat. Dass AutorInnen sichtbar gemacht und genannt werden, ist ganz wichtig. Schließlich gilt: Kein Drehbuch, kein Film.

Von Katharina Zeckau (KNA)

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