"Ich brauche auf jeden Fall Geduld"

Zehn Jahre Bischof von Passau: Stefan Oster zieht Bilanz

Veröffentlicht am 24.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Renzikowski (KNA) – Lesedauer: 

Passau ‐ 2014 wurde Stefan Oster neuer Bischof von Passau. Anlass für einen Rück- und einen Ausblick auf zu stürmische Anfänge und künftige Herausforderungen für die Kirche. Im Interview äußert sich Oster auch zum Leben in seiner WG.

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Seit zehn Jahren ist der Salesianerpater Stefan Oster (58) Bischof von Passau. Im Interview zieht der Ordensmann eine Zwischenbilanz seiner Amtszeit. Und legt offen, dass es in seiner WG sein Job ist, den Müll rauszutragen.

Frage: Herr Bischof, Sie leben in einer Wohngemeinschaft. Aus meiner Studentenzeit weiß ich, da gibt es schon mal Streit um den Putzplan. Wie ist das bei Ihnen?

Oster: Streit gibt es Gott sei Dank nicht. Die Dinge sind bei uns ziemlich klar aufgeteilt. Meine beiden Aufgaben: Ich bin der Müllbeauftragte und der Mesner für unsere Hauskapelle. Für meinen persönlichen Haushalt, für die Wäsche und sowas, kommt jemand einmal die Woche von außen und macht das für mich.

Frage: Sie vertreten Ihre Standpunkte auch in sozialen Medien offensiv und laden dort zugleich zu Diskussionen ein. Zuletzt etwa über den "Marsch für das Leben". Tragen die Rückmeldungen zu Ihrer Meinungsbildung bei?

Oster: Durchaus. Zum "Marsch für das Leben" habe ich sehr viele substanzielle Reaktionen bekommen. Ich bin da hin- und hergerissen. Das Thema Abtreibung und Lebensschutz polarisiert ja stark, auch geht es um die Abgrenzung zu bestimmten Positionen, deshalb ist das Format des Marsches umstritten. Aber die Leute, die ich dort erlebt habe, sind in der Regel mit einem echten Herzensanliegen unterwegs. Die sind gläubig und kommen aus der Mitte der Kirchen – die dann als Bischof alleinzulassen, das ist auch so eine Sache. Daher neige ich dazu, auch wieder mitzugehen.

Frage: Glaubensvertiefung und Evangelisierung sind Ihnen wichtig. Wie gut ist es gelungen, Ihr Bistum dabei mitzunehmen?

Oster: Gute Frage. Zu Beginn meiner Amtszeit in Passau habe ich bestimmte Themen schon ein wenig stürmisch platziert und dafür auch bei manchen fragende Blicke geerntet. Also ich brauche da auf jeden Fall Geduld. Eine schöne Erfahrung war zum Beispiel, als viele Ordinariatsangestellten dazu eingeladen wurden, einen Alphakurs zu machen.

Frage: Sie meinen einen Glaubenskurs?

Oster: Ja. Da haben viele gern und freiwillig mitgemacht. Auch wenn das sicher nicht immer so leicht war, in Gegenwart von Vorgesetzten über den eigenen Glauben zu reden. Wir spüren Rückgänge und Abbrüche und ringen vor allem im Westen darum, was Erneuerung für die Kirche bedeutet. Ich glaube, die Kirche hat immer davon gelebt, dass einige aus der Tiefe des Evangeliums überzeugend gewirkt haben und so andere mitnehmen konnten. Denn natürlich will ich auch die Breite erreichen.

Bischof Stefan Oster vor dem Passauer Dom.
Bild: ©picture alliance / Armin Weigel/dpa (Archivbild)

Bischof Stefan Oster vor seiner Bischofskirche, dem Passauer Dom.

Frage: Sie machen nicht mit bei der Fortsetzung des Synodalen Wegs. Aber der Papst will eine synodalere Kirche. Wie stellen Sie sich dieser Aufgabe in Passau?

Oster: Wir haben schon einiges umgestellt. Das Hauptleitungsgremium nennen wir seit einiger Zeit Bistumsrat. Traditionell gehören dazu Domkapitulare, Ordinariatsrätinnen und -räte sowie Dekane. Da haben wir jetzt Mitglieder des Diözesanrates dazu genommen. Wir kommen dreimal im Jahr zusammen, einmal für eine ganze Arbeitswoche. Mit dem Vorstand und einigen Mitgliedern des Diözesanrats spreche ich intensiv über all die Themen aus dem Synodalen Weg in Deutschland und andererseits vom synodalen Weltprozess aus Rom. Schnittmenge und größtes Lernfeld zugleich ist die Frage nach der Leitung.

Frage: Haben Sie schon Antworten?

Oster: Im lateinischen Wort Autorität steckt ein Tätigkeitswort: vermehren und wachsen lassen. Meine Überzeugung ist: Leitung gelingt, wenn ich Menschen, die neben und mit mir unterwegs sind, helfen kann, das Beste aus ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten für die Gemeinschaft zu machen.

Frage: Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals haben Sie sich entschlossen, einen verstorbenen mutmaßlichen Intensivtäter öffentlich beim Namen zu nennen, obwohl er nie verurteilt wurde. War das richtig?

Oster: Ganz klar ja. Der Mann war 20 Jahre tot, aber als Diözesanmusikdirektor auch eine Instanz in der Kirche von Passau. Ein Charismatiker, dem viele so einiges verdanken. Die gesagt haben, durch ihn habe ich die Schönheit der Musik für mich entdeckt. Nach der Veröffentlichung seines Namens mussten wir uns deshalb einige Beschimpfungen anhören: Wie könnt ihr dieses Denkmal so beschädigen? Aber wir hatten eine sehr große Gewissheit, dass es weitere Betroffene gibt als die fünf Fälle, von denen wir schon wussten. Inzwischen haben wir mehr als 20. Das Ausmaß der Übergriffe ist dramatisch und reicht bis zur Vergewaltigung – und jetzt verstehen die meisten unser Vorgehen.

Frage: Der Kirche in Deutschland gehen langsam, aber sicher die Mittel aus. Finanziell und personell. Wagen Sie einen Blick in die Zukunft. Wird es noch während Ihrer Bischofszeit nebenamtliche Priester ohne Theologiestudium geben?

Oster: Das glaube ich nicht. Aber dass die Kirche hierzulande in der größten Transformation seit Jahrhunderten steckt, ist klar. Und sie wird zum Ende meiner Amtszeit, wenn es normal läuft in 17 Jahren, eine deutlich andere Gestalt haben als jetzt. Sie wird eine Gemeinschaft von Gemeinschaften sein, aber nicht mehr flächendeckend präsent.

Von Christoph Renzikowski (KNA)