Benedikt XVI.: Zweifel an Versöhnung von Tätern und Opfern im Jenseits
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hielt eine Versöhnung von Opfern und Tätern im Jenseits nicht für wahrscheinlich. Die Frage der Allversöhnung bleibe für ihn "mehr als problematisch", schrieb er 2015 in einem Briefwechsel mit dem Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück, der nun von der Zeitschrift "Communio" in Auszügen veröffentlicht wurde. "Dass wir dennoch für alle hoffen dürfen, wie unser Herr für alle gelitten hat, bleibt davon unberührt", so Benedikt XVI. Vergebung sei zwar Gnade, dazu gehöre aber auch ein Prozess im Vergebenden wie in dem Vergebung Empfangenden, der die ganze Tiefe der Person einfordere. "Deswegen halte ich das Gerede von der bedingungslosen Vergebung, bei der letztlich nichts geschieht, für irreführend und gefährlich", so der emeritierte Papst weiter.
Das Problem einer universalen Versöhnung liege nicht so sehr auf Seiten der Opfer, sondern auf Seiten der Täter: "Die Opfer sind in die Hingabe des gekreuzigten Herrn einbezogen und werden von ihr nicht nur in einem äußeren Sinn versöhnt, sondern es wird ihnen alles geschenkt, was sie verloren hatten, das ganze verlorene Leben wird ihnen zurückgegeben. Ob aber in den Tätern die Fähigkeit der Verwandlung und inneren Reinigung und Umgestaltung da ist oder wachsen kann, ist schwer zu sehen." Benedikt XVI. verweist dabei auf die Erfahrung der Nürnberger Prozesse, in denen die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher mit einer Ausnahme keine Reue zeigten. In den Tätern müsse aber "die Lüge ausgebrannt werden, die Wahrheit aufgehen". Wenn das ganze Leben mit der Lüge identifiziert sei, sehe man nicht, was bei ihrer Beseitigung bleibe. "Dies ist für mich die eigentliche Frage, die wir nicht beantworten können: Gibt es in den eigentlichen Häuptern des Bösen jenen Rest von Wahrheit und Liebe, der sie verwandlungsfähig macht oder nicht?", fragt Benedikt XVI.
Tück hatte sich im Dezember 2014 an den emeritierten Papst gewandt und ihn nach seiner Position zu einer möglichen Allversöhnung gefragt. In Joseph Ratzingers 1977 erschienenen Eschatologie "Tod und ewiges Leben" sei die intersubjektive Dimension der Versöhnung nicht thematisiert worden. Diese Frage hat laut Benedikt XVI. in den Siebzigerjahren noch keine Rolle gespielt, die Debatte um den Leib-Seele-Dualismus und die Kritik politischer Utopien seien vordringlich gewesen. Als Papst hat Benedikt XVI. die Frage in seiner zweiten Enzyklika "Spe salvi" (2007) aufgegriffen: "Die Gnade löscht die Gerechtigkeit nicht aus. Sie macht das Unrecht nicht zu Recht. Sie ist nicht ein Schwamm, der alles wegwischt, so daß am Ende dann eben doch alles gleich gültig wird, was einer auf Erden getan hat." Die Missetäter würden am Ende nicht neben den Opfern in gleicher Weise an der Tafel des ewigen Hochzeitsmahls sitzen, "als ob nichts gewesen wäre". (fxn)