"Wer ist meine Mutter?": Jesus mittendrin
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
"Und sie ließen ihn herausrufen." Doch er, er bleibt, wo er ist. Drinnen, mittendrin, bei den Menschen, die gerade jetzt um ihn herum sind.
Diese Sequenz spielt sich im heutigen Sonntagsevangelium ab: "Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen." (Mk 3,31) Die Reaktion wirkt schroff: "Wer sind meine Mutter? Und wer sind meine Brüder?" Jesus lässt sich nicht herausrufen. Er bleibt und macht deutlich, wo er seinen Platz sieht: Als Mensch unter Menschen. Nicht als Mitglied einer Familie. Und auch nicht – diese Erweiterung sei hier erlaubt – zuerst als Mitglied einer Religionsgemeinschaft, einer Nation, einer Hautfarbe etwa oder einer politischen Idee. "Er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder."
Beim Katholikentag in Erfurt in der vergangenen Woche wurde in einer Veranstaltung zum Dialog zwischen Christinnen und Zivilgesellschaft die Frage aus dem Publikum gestellt, wie man sich denn sicher sein könne, dass auch Nicht-Getaufte in den Himmel kommen. Die Frage sorgte auf dem Podium für Irritation: Was für einen Gott man sich denn da bitte vorstelle, der an der Himmelspforte nach dem Taufschein frage. So klar die Antwort, so ersichtlich der leise Zweifel in der Frage. Wozu bin ich denn dann getauft? Ich würde doch gerne sicher gehen. Gehöre ich nicht doch ein bisschen mehr dazu?
Wir alle wollen irgendwo dazugehören. Deshalb bilden wir Gruppen. In so einer Gruppe fühlen wir uns sicher, geborgen, kennen uns aus, wissen an wen und was wir uns halten können. Mal ist es der Spielerpass im Fußballverein, mal der Reisepass, der die Mitgliedschaft regelt – und mir dieses gute Gefühl gibt, dazuzugehören, einen Platz zu haben in der Welt. Auch ein Taufschein könnte diesen Zweck erfüllen, doch…
"Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter", legt Jesus nach. Und stellt ein Kriterium für Zugehörigkeit auf, das verunsichert: "Wer den Willen Gottes tut." Weiß Gott, das könnte ja jeder sein. Und ich, gehöre ich da dazu?
Heute wählen 350 Millionen Menschen aus 27 Ländern das europäische Parlament – es ist ein Votum, wie wir in aller Vielheit gemeinsam die Zukunft gestalten. Dass das Evangelium dieses Tages mit dieser Wahl zusammenfällt, kann als Seitenhieb dienen: Schau mal nach links und nach rechts, auf die Menschen, mit denen du jetzt gerade hier gemeinsam lebst, und schau noch zwei Sitzreihen weiter, in die Moscheen und Klimacamps, nach Sylt und nach Lampedusa. Wenn du zu Gott gehören willst, dann riskierst du etwas, dann wird es richtig anstrengend: denn dann sind das womöglich deine Schwestern und deine Brüder.
Oder kannst du beweisen, dass sie – in Gottes Augen – nicht dazugehören?
Evangelium nach Markus (Mk 3, 20–35)
In jener Zeit ging Jesus in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beélzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.
Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben. Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen. Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.
Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften. Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist.
Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich.
Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.
Die Autorin
Schwester Elisabeth Muche gehört zur Kongregation der Helferinnen, ist in der Geistlichen Begleitung tätig und arbeitet als Psychotherapeutin in Ausbildung in München.
Ausgelegt!
Als Vorbereitung auf die Sonntagsmesse oder als anschließender Impuls: Unser Format "Ausgelegt!" versorgt Sie mit dem jeweiligen Evangelium und Denkanstößen von ausgewählten Theologen.