Theologe Tiefensee: Kirche muss radikal umdenken
Der Leipziger Theologe und Philosoph Eberhard Tiefensee sieht die Kirchen in Deutschland inmitten eines epochalen Umbruchs, der mit der Reformation vergleichbar ist. "Die Kirchen müssen sich erstmals in ihrer Geschichte in einer weitgehend religionsfreien Welt zurechtfinden. Die Vielfalt der Lebensentwürfe wird immer größer", sagte Tiefensee am Dienstagabend in Karlsruhe. Nostalgie sei fehl am Platz. "Es gibt keinen Weg zurück in die vermeintlich guten alten Zeiten."
"Anerkennen, dass es sich auch ohne Gott gut leben lässt"
Tiefensee sieht Christinnen und Christen daher zu einem radikalen Umdenken aufgefordert. "Wir müssen weg von der Vorstellung, dass Christen die besseren Menschen sind und wir die anderen davon überzeugen müssten." Stattdessen könne der christliche Glaube nur ein Angebot sein. "Was die anderen mit diesem Angebot machen, entscheiden sie selbst." Der in Leipzig lebende Philosoph und Priester betonte, religionsferne Menschen wollten nicht therapiert oder belehrt werden. "Wir sollten stattdessen anerkennen, dass es sich auch ohne Gott gut leben lässt." Zugleich bleibe es christliche Überzeugung, den Glauben an Gott und den christlichen Glauben an eine gute Zukunft immer neu ins Gespräch zu bringen. Kirche müsse eine dienende Rolle übernehmen und fragen, was sich die anderen von ihr erhofften.
Tiefensee sprach beim Jahresempfang des Foyers Kirche und Recht. Das Foyer organisiert in der Stadt von Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof (BGH) und Generalbundesanwaltschaft Veranstaltungen zu rechtlichen, politischen, philosophischen und theologischen Fragen. Höhepunkt der Arbeit ist der Jahresempfang. Getragen wird das Foyer in Absprache mit der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom Erzbistum Freiburg und der Badischen Landeskirche. Unter anderen waren BGH-Chefin Bettina Limperg und Generalbundesanwalt Jens Rommel zu der Veranstaltung gekommen.
Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger sagte in seiner Ansprache, Christinnen und Christen könnten viel zu einem guten gesellschaftlichen Miteinander beitragen. Religion sei nicht nur Privatsache. Vielmehr brauche eine Gesellschaft immer einen "gemeinsamen Schatz an gemeinsamen Überzeugungen, um ihren Weg zu gehen". Zur großen geistlichen Tradition Europas zähle auch das Christentum. Die badische Landesbischöfin Heike Springhart sagte im Blick auf schwindende Religiosität, es komme nicht nur auf die Zahl der Christen an, sondern auch darauf, "ob wir der Gesellschaft etwas zu sagen haben". (KNA)