Ein Anker in stürmischer See
"Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, doch am größten unter ihnen ist die Liebe", schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther (1. Korinther 13,13). Auf ihn geht die Liste der göttlichen Tugenden zurück. Später nahmen Kirchenväter wie Ambrosius, Augustinus und Gregor der Große die aus der antiken Philosophie stammenden Kardinaltugenden hinzu: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Maß.
Glaube, Hoffnung und Liebe werden in der Theologie als Geschenk und Auftrag Gottes zugleich verstanden: Wer dieses Himmelsgeschenk annimmt, zeichnet sich aus durch die Liebe zu seinem Nächsten und durch einen unerschütterlichen Glauben, der auch durch Krisenzeiten trägt. In den göttlichen Tugenden finden die Kardinaltugenden ihre Wurzeln. Im Katechismus der Katholischen Kirche (Artikel 7, Abschnitt II) heißt es dazu: "Die göttlichen Tugenden sind Grundlage, Seele und Kennzeichen sittlichen Handelns des Christen. Sie gestalten und beleben alle sittlichen Tugenden."
Unerschütterlicher Glaube
Wie unerschütterlich Christen aller Zeiten an ihrem Glauben festhielten, davon berichten die vielen Heiligenlegenden und Zeitzeugenberichte aus alter und neuerer Zeit. Der katholische Priester August Froehlich verweigerte sich dem Hitlergruß und kam für seinen Widerstand ins Konzentrationslager Dachau, wo er im Jahr 1942 starb. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer bezog in aller Öffentlichkeit mutig Stellung gegen die Nationalsozialisten, wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. Bonhoeffer beeindruckte seine Mitgefangenen mit seinem tiefen Glauben, der ihm die Gelassenheit gab, sich in sein Schicksal zu fügen. Unvergessen ist das Kirchenlied "Von guten Mächten wunderbar geborgen", das er als Gedicht kurz vor seiner Hinrichtung an seine Verlobte geschickt hatte.
Heute muss in Deutschland niemand mehr wegen seines christlichen Glaubens mit Repressalien rechnen. Und dennoch kehren mehr und mehr Christen ihrer Kirche den Rücken. 1970 gehörten noch 93 Prozent der Deutschen einer christlichen Kirche an. Heute sind es nur noch knapp 60 Prozent. "Es ist deutlich zu spüren, dass Gott heute für viele ein Fremdwort geworden ist, vielleicht ganz in Vergessenheit geraten oder einfach kein Thema mehr", sagt der ehemalige Limburger Bischof Franz Kamphaus. Menschen unserer Zeit seien - nicht weniger als zu Zeiten des Alten Testamentes - in Gefahr, um Goldene Kälber zu tanzen.
Das Gegenprogramm von Kamphaus, dessen Wirken bundesweit starke Beachtung fand, ist der Glaube. "Er ist Halt in der Tiefe, der Menschen auch gegen den Strom des Zeitgeistes verankern kann", sagt er. "Wenn wir uns an Gott halten, sind wir davon befreit, den Wahn eines an Äußerlichkeiten und an materiellen Dingen orientierten Lebens mitzumachen. Wer glaubt, lernt zu unterscheiden und sich abzugrenzen. Er vertraut Gott sein ganzes Leben an und bemüht ihn nicht nur zur Verzierung bestimmter Festanlässe."
Religion als Massenneurose?
Der Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856-1939) bezeichnete Religion als Massenneurose. Der Wiener Neurowissenschaftler Raphael Bonelli (*1968) widerlegte die Freud'schen Aussagen. Das Ergebnis seiner Studie unter Mitwirkung amerikanischer Kollegen der Duke University in Durham, North Carolina: Religion schützt die seelische Gesundheit. Suchtkrankheiten, Suizid und auch Depressionen kommen bei religiösen Menschen seltener vor als bei Atheisten. "Wäre Religion ein Medikament, wäre es mit Sicherheit zugelassen", so Bonelli.
„Zu glauben ist schwer, nichts zu glauben ist unmöglich.“
Doch auch Menschen, die sich nicht als gläubig bezeichnen, zitieren Gott öfter, als ihnen bewusst ist: "Oh Gott!" schon bei kleinen Missgeschicken. "Gott sei Dank!", wenn etwas gut ausgegangen ist. Und nicht selten sehen sich Zweifler in tiefer Not wieder mit ihrem Glauben konfrontiert, den sie eigentlich längst ad acta gelegt hatten. Doch in Krisen und Grenzsituationen klammern sich Menschen gern an eine höhere Instanz. Der Glaube ist wie ein Anker in stürmischer See: Ich darf auf Gott vertrauen, darauf, dass er mir Menschen schickt, die mir beistehen und mit mir meine Probleme schultern. Diese Gewissheit macht gelassener - bis ans Lebensende: Jeder kennt Erzählungen von Menschen, die ihr Leben nach langer Krankheit vertrauensvoll in Gottes Hand geben und friedlich entschlafen - im Glauben an die Auferstehung.
Traditionelle Werte und der Glaube an Gott haben in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung verloren. Doch die Glückseligkeit verheißende Freiheit zeigt allzu oft in erschreckendem Ausmaß ihr verzerrtes Gesicht: Jeder nimmt sich, was er kriegen kann - ohne Rücksicht auf andere, die dabei auf der Strecke bleiben. Viele definieren sich über ihren Erfolg, ihren Wohlstand, ihre Exaltiertheit. Die neuen Vorbilder rekrutieren sich aus TV-Soaps und Casting-Shows.
Glücklich macht das alles nicht. Im Gegenteil. Je mehr Freiheiten und Möglichkeiten das Leben bietet, desto orientierungsloser und haltloser werden Menschen. Ein sinnvolles Gegenprogramm ist Papst Franziskus im Juni 2013 mit seiner ersten Enzyklika "Lumen fidei" ("Licht des Glaubens") gelungen. Er fordert darin dazu auf, den Glauben in den konkreten Dienst der Gerechtigkeit, des Rechts und des Friedens zu stellen. Christen sollten für Menschenwürde, Schutz von Ehe und Familie, Achtung der Schöpfung sowie für Frieden und gerechte Regierungsformen eintreten.
Dazu sei es erforderlich, das "Licht des Glaubens" wiederzugewinnen. Denn der Glaube werde in der modernen Gesellschaft oft als unvernünftig, nutzlos und trügerisch gesehen und drohe zu verdunkeln. Kardinal John Henry Newman (1801-1890) formulierte es so: "Der Glaube muss sich auf Einsicht und Vernunft zurückführen lassen, wenn wir es nicht mit den Phantasten halten wollen."
Alles auf eine Karte setzen
Glauben ohne Wenn und Aber? Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht hin und wieder an seinem Glauben zweifelt. "Zweifel sind ein Grundbestandteil des Glaubens", sagt der Benediktinerpater und Buchautor Anselm Grün. "Während des Gebetes etwa können mir Zweifel kommen, ob ich mir über Gott nicht etwas einrede, ob mein Glaube überhaupt einen Sinn hat. Ich versuche dann, diesen Zweifel zu Ende zu denken und sage mir: Wenn alles Illusion ist, dann wäre alles absurd. Dann taucht in mir plötzlich eine tiefe Erkenntnis auf, dass ich doch der Bibel und dem unerschütterlichen Glauben vieler Heiliger vertraue. Und ich entscheide mich schließlich, alles auf diese Karte zu setzen."
Zweifel dürfen sein, sie sind sogar heilsam, denn sie können davor bewahren, sich von Heilsversprechen aller möglichen selbst ernannten Gurus in die Irre führen zu lassen und Aussagen ungeprüft zu übernehmen. Vom französischen Mathematiker und christlichen Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) stammt die Aussage: "Entweder Gott ist, oder er ist nicht. Worauf wollen Sie setzen? Wägen wir den Verlust dafür ab, dass Sie sich dafür entschieden haben, dass es Gott gibt: Wenn Sie gewinnen, gewinnen Sie alles, wenn Sie verlieren, verlieren Sie nichts."
„Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten.“
Die Autorin Susanne Niemeyer und der evangelische Pastor und Journalist Matthias Lemme schreiben über das Vertrauen in den Glauben: "Worauf man vertrauen kann: dass die Sonne aufgeht. Dass es ergiebiger ist, an Gott zu glauben als nichts zu glauben, denn das Nichts hat nicht viel zu bieten. Dass die Sterne auch dann da sind, wenn man sie nicht sieht. Dass die Erfahrung manchmal eine gute Ratgeberin ist. Dass es keine Garantie gibt. Dass Vertrauen die einzige Alternative ist, wenn man nicht verrückt werden will."
"Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft"
Im Hebräerbrief (11,1) heißt es: "Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht." Dass Naturwissenschaft und Religion sich nicht ausschließen, davon ist der Historiker Klaus-Rüdiger Mai überzeugt. Sein Spezialgebiet sind die religiösen Kulturen Europas gestern und heute. Mit seinem Buch "Lob der Religion" ist ihm ein gelungener Zwischenruf in den Krisendebatten unserer Zeit gelungen. "Der Glaube an die vermeintliche Objektivität und Allgemeingültigkeit der Naturwissenschaft ist das größte Missverständnis unserer Zeit. Ihm aufzusitzen, führt in die Irre. Der Mensch braucht Gott", sagt er.
Und er führt atheistische Dogmen ad absurdum, etwa die des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Dessen Buch "Gotteswahn" sei keines zum Lobe der Wissenschaft, sondern eine atheistische Streitschrift für eine Welt ohne Gott, so Mai. "Es ist eine Welt, in der der Mensch das Göttliche verloren hat und Verfügungsmasse des Profits von Banken und Konzernen ist. Es ist die Welt des kalten Nutzens der Starken." Das höchste Lob, das der Historiker Mai der Religion zollt: "Sie wird mehr denn je gebraucht. Ohne den Glauben an Gott hat Europa keine Zukunft."
Impulse
Wie kann es gelingen, wieder einen neuen Geschmack am Glauben zu finden, ihm einen festen Platz im Alltag einzurichten? Die folgenden Impulse unterstützen bei diesem Vorhaben:
Bibel lesen und verstehen
Jeden Tag ein paar Seiten in der Bibel lesen? Das hält kaum jemand durch. Besser: täglich einen kurzen Abschnitt auswählen und dazu eine Auslegung lesen. Im Buchhandel gibt es entsprechende Bücher, etwa "Mit der Bibel durch das Jahr". Sie enthalten für jeden Tag eine Auslegung zum Bibeltext nach dem ökumenischen Bibelleseplan, dazu ein Morgen- und Abendgebet für jeden Tag der Woche.
Sich begeistern lassen
Jeder Christ hat mit seiner Kirche seine eigenen Erfahrungen gemacht - und trägt zuweilen ein belastendes Päckchen mit sich herum. Gut ist es, sich für neue Impulse zu öffnen - in der eigenen Heimatkirche oder in einer Nachbargemeinde. Oft sind mehrere Anläufe nötig, um die Gottesdienstform zu finden, die einem persönlich am meisten gibt. Seien es gute Predigten, Lieder, die den persönlichen Geschmack treffen, oder das Gefühl, in der Gemeinde gut aufgehoben zu sein.
Ruheinseln schaffen
Zwiesprache mit Gott erfordert regelmäßigen Rückzug aus dem Trubel des Alltags. Solche Orte der Stille könnten ein Platz im Wohnzimmer mit Blick aus dem Fenster sein, eine Bank im Park, eine Kapelle oder Kirche, die tagsüber für Besucher offen stehen. Die Geborgenheit eines solchen Ortes schenkt Kraft für den Alltag. Sie ist Balsam für die Seele, macht ausgeglichen und lässt Belastungen oft in einem anderen Licht erscheinen.
Zeugnis ablegen
Die Dinge beim Namen nennen, Stellung beziehen, auch wenn diese von der Meinung der anderen abweicht: Christen sind aufgefordert, Zeugnis abzulegen, sich nicht mundtot machen zu lassen, wenn es um ihren persönlichen Glauben geht. Dazu gehört Mut, auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Eine gute Unterstützung bieten Geschichten von Menschen, die im öffentlichen Leben stehen und die nach ihren christlichen Wertevorstellungen leben - auch wenn sie dafür spöttisch belächelt werden.