Studie: Gewalt in früheren Kinderkurheimen der Caritas Mainz
In früheren Ferienheimen der Caritas Mainz sind Kinder vor allem aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Zwang, Druck, Zensur und sexuelle Gewalt gab es in den ehemaligen Kinderkurheimen in Allerheiligen (Schwarzwald) und im hessischen Bad Nauheim, wie aus der Studie "Aufarbeitung und Dokumentation" des Büros für Erinnerungskultur hervorgeht. Am Dienstag wurden die Ergebnisse in Mainz vorgestellt.
"Die meisten Kinder haben in den Einrichtungen keine erholsame Zeit verbracht, im Gegenteil: Sie sind kontrolliert, eingeschüchtert und gedemütigt worden. Manche waren Gewalt ausgeliefert", sagte Caritasdirektorin Nicola Adick. Dieses Unrecht müsse sichtbar gemacht werden. Das Kinderkurheim Allerheiligen war von 1947 bis 1978 und die Kinderheilstätte Sankt Josef von 1926 bis 1964/68 in Trägerschaft der Caritas. Dort sollten sich die jungen Gäste eigentlich erholen.
Der Historiker Holger Köhn recherchierte etwa ein Jahr in verschiedenen Archiven das Schicksal der sogenannten Verschickungskinder. Laut seinen Untersuchungen waren rund 15.000 Mädchen und Jungen in der Kinderheilstätte Bad Nauheim und vermutlich mehr als 20.000 in Allerheiligen, viele von ihnen aus dem Gebiet des Bistums Mainz und der Region Westfalen-Lippe. Auf einen Aufruf hin hatten sich 20 ehemalige Kurkinder aus beiden Einrichtungen gemeldet.
"Sechs Wochen Hiebe"
Die Studie berichtet unter anderem von mutmaßlicher Vergewaltigung, dem Zwang zum Essen, langem Schlafen am Tage sowie von Zensur. So sollten Kinder nur positiv klingende Post nach Hause senden. "Sechs Wochen Hiebe, Schläge, Erniedrigung, unterlassene Hilfe. Ich war so verzweifelt, dass ich mich umbringen wollte", heißt es von einer Person, die 1963 in Allerheiligen war. "Das war ein ganz, ganz schlimmes Erlebnis in meiner Kindheit. Da wurde aber nie darüber gesprochen", so ein anderer Betroffener. Das Kind war 1957 mit sechs Jahren in Allerheiligen. Nach dem Aufenthalt reagierten viele laut Studie mit Schweigen oder entwickelten Traumata.
Eine finanzielle Entschädigung für mutmaßliche Opfer sei nicht vorgesehen, so die Caritas. Es gehe zunächst darum, Räume für Gespräche zu öffnen. "Vielleicht melden sich ja noch mehr Kinder von damals – denn es ist tatsächlich heilsam zu wissen, dass man nicht allein gelitten hat", so eine Person in der Studie, die 1965 mit 6 Jahren in Allerheiligen war. Die Caritas bestärkt weitere ehemalige Kurkinder, sich zu melden. (KNA)