Ehemaliges Mitglied wegen Kinderpornographie verurteilt

Taizé arbeitet Missbrauch auf – das erste Urteil überrascht die Brüder

Veröffentlicht am 24.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Taizé ‐ 2019 wurden erste Missbrauchsvorwürfe gegen Brüder der Communauté von Taizé bekannt. Seither hat sich die Gemeinschaft Transparenz und Prävention auf die Fahnen geschrieben. Ein erster Fall wurde nun vor Gericht entschieden – die Brüder haben erst aus dem Urteil von den Vorwürfen erfahren.

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Ein Jahr Haft auf Bewährung. So lautet das Urteil, das das Strafgericht in Tours am 18. Juni gegen einen 53-jährigen Mann gefällt hat. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er kinderpornographische Bilder besessen hat. Als Tatzeitraum gibt das Gericht den Zeitraum vom Juni bis zum Oktober 2019 an – zu diesem Zeitpunkt war der Verurteilte Emmanuel C. noch Bruder der Gemeinschaft von Taizé. Es ist das erste Urteil gegen ein Mitglied der Brüder.

Im Oktober 2019 durchsuchte die Polizei die Räumlichkeiten des damaligen Bruders. Seit er 19 Jahre alt war, war Emmanuel C. Mitglied der Gemeinschaft. Aufmerksam wurden die Behörden auf ihn, nachdem ihn eine Frau wegen sexualisierter Gewalt angezeigt hatte. Aus dem Verfahren ist bislang nur bekannt, was die Zeitung "La Nouvelle Republique" darüber berichtet hat und was die Gemeinschaft von Taizé selbst dazu sagt: Auf der Webseite der Gemeinschaft versuchen die Brüder unter der Überschrift "Unser Bemühen um Wahrhaftigkeit", Transparenz über ihren Umgang mit sexualisierter Gewalt zu schaffen.

Im Sommer 2019 wurden erste Vorwürfe gegen zunächst drei Brüder bekannt, die damals schon Jahrzehnte zurücklagen. Nur ein Beschuldigter lebte zu diesem Zeitpunkt noch. Der damalige Prior, Frère Alois, kündigte sofort Konsequenzen an. Dem noch lebenden Bruder teilte er mit, dass es besser sei, die Communauté zu verlassen: "Er wird außerhalb von Taizé leben", betonte Alois 2020. Aufgrund seines Alters kümmert sich ein weiterer Bruder um ihn. 2022 erneuerte der Prior sein Versprechen zur Aufarbeitung und drückte Bedauern darüber aus, dass "der Mangel an Transparenz und Entschiedenheit im Umgang mit diesen Fällen" den Schmerz Betroffener noch verstärkt habe.

Frère Alois Löser, Prior der Communauté von Taizé, am 30. Oktober 2018 in Taizé.
Bild: ©KNA/Jean-Matthieu Gautier (Archivbild)

Frère Alois Löser war von 2005 bis 2023 Prior der Communauté von Taizé. In seiner Amtszeit wurden die ersten Missbrauchsvorwürfe bekannt. Regelmäßig berichtete er über das "Bemühen um Wahrhaftigkeit" im Umgang mit Missbrauch.

Seit 2019 wurden mindestens fünf Brüder wegen sexualisierter Gewalt beschuldigt. Außer dem Verfahren gegen Emmanuel C. sind in Taizé aktuell aber keine weiteren Gerichtsverfahren gegen gegenwärtige und ehemalige Mitglieder bekannt, hieß es am Dienstag bei den Brüdern auf Anfrage von katholisch.de.

Unter dem Datum "Oktober 2019" findet sich auf der Transparenz-Webseite zum Missbrauch die Schilderung des Falls, der den Prozess des nun verurteilten ehemaligen Bruders ins Rollen brachte. Eine Frau habe sich Frère Alois anvertraut und ihm mitgeteilt, dass ein Bruder sie vor Jahren in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht habe. Sie habe ihn beschuldigt, sie seit 2003 geistlich, psychologisch und sexuell missbraucht zu haben. Der Prior habe daraufhin unverzüglich die Polizei in Kenntnis gesetzt, gegen den Bruder wurde Anklage erhoben, er sei in Untersuchungshaft gekommen.

Kinderpornographie-Prozess auch für die Communauté eine Überraschung

Frère Alois betonte damals den Aufklärungswillen der Gemeinschaft: "Meine Brüder und ich sind schockiert. Wir werden alles tun, um die Aufklärung zu unterstützen. Ein derartiges Verhalten ist mit unserem Leben unvereinbar. Ich stehe an der Seite der betroffenen Person und wir werden alles uns Mögliche tun, um ihr zu helfen." Im Mai 2020 wurde Emmanuel C. aus der Untersuchungshaft entlassen, die Ermittlungen dauerten an. "Unabhängig davon und im gegenseitigen Einvernehmen mit ihm wurde beschlossen, dass er nicht länger der Communauté angehört", heißt es in einer Erklärung vom Juni 2020. Mittlerweile ist er wieder berufstätig, er arbeitet in der Immobilienbranche.

Nach dem Ausscheiden von Emmanuel C. aus der Gemeinschaft scheint sich für die Brüder die Spur ihres ehemaligen Mitbruders verlaufen zu haben. Keines der Updates – das letzte datiert auf den Mai 2023 – geht mehr auf den Fall ein. Was aus der Anzeige wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigung wurde, ist nicht bekannt. Auf Anfrage von katholisch.de sagte der aktuelle Prior von Taizé, Frère Matthew, am Dienstag, dass die Gemeinschaft selbst nicht über alle Einzelheiten des Prozesses im Bilde sei: "Wir waren sehr überrascht, als wir den Grund für diese Verurteilung erfuhren, da wir über diesen Teil der gerichtlichen Untersuchung nicht informiert waren." Er zeigte sich zugleich erleichtert darüber, "dass die zuständigen Behörden Straftaten klar benennen und ein Urteil fällen".

Hunderte Missbrauchsdarstellungen

Aus der Zeitung erfährt man, was im Prozess in Tours verhandelt wurde: Über mehrere Jahre hat der Mann demnach pornographische Bilder und Videos gespeichert – massenhaft, stellte das Gericht fest. Einige Hundert der Dateien zeigen sexualisierte Gewalt an Kindern. Fünf jeweils zwei Terabyte fassende Festplatten haben die Ermittler bei der Durchsuchung mitgenommen. Für den nunmehr Verurteilten war die Verhaftung wie ein Befreiungsschlag: "Als ich verhaftet und von der Gemeinschaft getrennt wurde, trat ich einen Schritt zurück und mir wurde klar, was ich getan hatte", berichtet die Zeitung von seiner Aussage vor Gericht. Mit dem Zölibat sei der Mann, der mit 19 Taizé-Bruder wurde, überfordert gewesen. Der Umgang mit Sexualität sei in der Gemeinschaft tabuisiert gewesen. "Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass man mir aufzwang, was ich glauben und denken sollte", gibt er zu Protokoll. Eine Schutzbehauptung? Die Richterin zeigte sich laut der Zeitung skeptisch angesichts der Missbrauchsdarstellungen, die bei dem ehemaligen Bruder gefunden wurden.

Brüder der Gemeinschaft von Taizé beim Gebet in der Kirche der Versöhnung
Bild: ©Katharina Gebauer/KNA (Archivbild)

Brüder der Gemeinschaft von Taizé beim Gebet in der Kirche der Versöhnung

Während seiner Zeit bei den Brüdern hatte er ein Buch über Gottes Liebe geschrieben. "Frère Emmanuel lädt uns ein, eine göttliche Liebe zu entdecken, die größer ist als gedacht, einen letzten Sinn des Lebens, aus dem jede menschliche Liebe Lust und Kraft schöpfen kann, nach ihrer intensivsten Erfüllung zu streben. So sucht er nach einer neuen Theologie der menschlichen wie auch der göttlichen Liebe", heißt es im Verlagstext: Er wolle "fruchtlose Gegensätze zwischen Wissenschaft und Glaube, Psychologie und Theologie, Sexualität und Spiritualität" überwinden. 2018 ist das Buch erschienen. Mittlerweile hat der Verlag das Buch aus dem Programm genommen.

Seit 2012 habe Emmanuel C. sich pornographische Filme angeschaut, räumte er vor dem Gericht ein. Zunächst aus "Neugier". Das wenige Geld, das er als Bruder als Taschengeld erhält, investierte er in Computerhardware, die er in seiner Mönchszelle aufbewahrt. Zwanghaft habe er pornographisches Material heruntergeladen, sagt er: "zu allen Themen, auch zu den extremsten. Ich habe nicht verstanden, was mit mir passiert ist." Seit seiner Verhaftung ist er in psychiatrischer Behandlung. In der Behandlung habe er seine Beweggründe besser verstanden. "Es wurde mir klar, dass ich mich auf etwas eingelassen habe, was das genaue Gegenteil dessen ist, was man mir in der Gemeinschaft vorgegeben hat." Die psychiatrische Behandlung war für die Richterin auch der Grund, warum sie die Strafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Zu den Auflagen für den Verurteilten gehört es, künftig keine Tätigkeiten mit Kontakt zu Minderjährigen auszuüben, außerdem wird er von den Behörden als Straftäter geführt.

Gemeinschaft baut Schutzkonzept aus und berichtet

Seit der ersten Stellungnahme von Frère Alois im Juni 2019 hat die Gemeinschaft ihr Schutzkonzept ausgebaut. Es gibt Aushänge auf dem Gelände um das Kloster, das Woche für Woche von Tausenden jungen Menschen besucht wird. Betroffene und Hinweisgeber können sich per E-Mail und Telefon melden. Die Brüder bieten auch Gesprächsrunden zum Thema an. "Dieses Angebot wird rege wahrgenommen. Die Teilnehmer wollen wissen, was hier geschehen ist, und die Brüder stehen Rede und Antwort", sagte Frère Alois im vergangenen Dezember in seinem Bilanzinterview bei katholisch.de zum Ende seiner Amtszeit als Prior.

Seit November 2022 gibt es auch bei der unabhängigen "Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung", die als Bindeglied zwischen Betroffenen und Ordensgemeinschaften fungiert, Ansprechpartner, die für Fälle aus dem Bereich der Gemeinschaft für Taizé zuständig sind.

Brüder der Communauté von Taizé und Jugendliche knien vor der Kreuzikone von Taize während der Kreuzanbetung in der Versöhnungskirche
Bild: ©KNA/Jean-Matthieu Gautier (Archivbild)

Brüder der Communauté von Taizé und Jugendliche knien vor der Kreuzikone von Taize während der Kreuzanbetung in der Versöhnungskirche. Jede Woche sind Tausende von Jugendlichen aus der ganzen Welt auf dem Gelände des Klosters im Burgund. Die Brüder stehen auch zu Missbrauch Rede und Antwort.

Ein externes vierköpfiges Untersuchungsteam machte sich erstmals im November 2022 selbst ein Bild von der Lage in Taizé. Zwei Mitglieder der "Kommission für Anerkennung und Wiedergutmachung" und zwei Personen mit juristischer und psychologischer Ausbildung werteten das Schutzkonzept und die Aufarbeitung aus. Die Brüder selbst wollen regelmäßige "Zwischenberichte zum Schutz von Personen in Taizé" veröffentlichen. Der erste erschien Ende 2022. Geplant ist, dass ein externes "Meldeteam" jährlich, immer im Februar, neue Zwischenberichte vorlegen wird. Darin sollen auch aktuelle Fälle besprochen werden.

Laut Frère Francis, dem Sprecher der Brüder, soll es auch bei Zwischenberichten bleiben: "Würden wir von einem Abschlussbericht sprechen, hätten wir nichts verstanden. Es kann keinen Abschluss geben! Wir müssen wachsam bleiben und immer besser versuchen zu verstehen, wie wir Zeichen jeglicher Gewalt früher erkennen können und handeln, um Schlimmes zu vermeiden", sagte er am Dienstag gegenüber katholisch.de. Auf den aktuellen Stand der Aufarbeitung angesprochen, bleibt er allgemein: "Das sind lange Prozesse, bei denen es darauf ankommt, auf Betroffene zu hören, aus dem was sie uns sagen zu lernen und um daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können."

Von Felix Neumann