Benediktinerin: "Die Entlassung ist oft die letzte Option"
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Seit 2023 gibt es das Institut für Ordensrecht in Dinklage. Zwei Benediktinerinnen der Abtei Sankt Scholastika Burg Dinklage haben es selbst gegründet und arbeiten dort: Schwester Scholastika Häring (56) und Schwester Lydia Schulte-Sutrum (42). Die beiden Ordensfrauen sind studierte Kirchenrechtlerinnen und Expertinnen für das Ordensrecht. Nebenbei sind beide als Ehebandverteidigerinnen am Offizialat in Münster tätig. Durch ihre Arbeit am Institut für Ordensrecht möchten sie anderen Ordensangehörigen zu ihrem Recht verhelfen. Im Interview mit katholisch.de berichten die beiden, mit welchen Anliegen sie sich hauptsächlich beschäftigen.
Frage: Schwester Scholastika, Schwester Lydia, wer meldet sich bei Ihnen, um sich beraten zu lassen?
Schwester Scholastika Häring: Wir beraten Ordensfrauen, die sich mit persönlichen Fragen an uns wenden und auch Ordensgemeinschaften, meist vertreten durch deren Oberen. Wir sind zu zweit im Ordensinstitut und haben regelmäßig Anfragen. Wir haben den Bedarf gesehen und wollten mit unserer Expertise anderen helfen. Natürlich können sich Ordensleute auch an das jeweilige Bistum wenden und den oder die dortigen Kirchenrechtler befragen. Doch oft sind diejenigen in ordensrechtlichen Fragen nicht so nah dran, wie wir es sind. Daher sind wir für viele Ordensfrauen eine große Hilfe, die sich unkompliziert und schnell mit ihren Fragen an uns wenden können. Es gab vorher nichts Vergleichbares in Deutschland.
Frage: Welche Fragen oder Probleme haben Ordensleute, bei denen Sie Unterstützung brauchen?
Schwester Scholastika: Zum Teil geht es um rechtliche Fragen wie zum Beispiel bei der Bildung von Kongregationen. Also wenn sich mehrere Klöster zu größeren Einheiten zusammenschließen und neue Statuten beschließen, muss einiges abgeklärt werden. Das hat unsere Abtei auch betroffen, denn wir sind seit einigen Jahren Teil einer größeren europäischen Kongregation. Die daraus gewonnenen Erfahrungen geben wir gerne weiter. Oft geht es bei den Beratungen auch um das Thema Ordensaustritt.
Frage: Das heißt, Sie beraten Ordensfrauen, die sich überlegen, eine Gemeinschaft zu verlassen?
Schwester Lydia Schulte-Sutrum: Ja, wir beraten Schwestern, die sich von ihrer Gemeinschaft trennen möchten. Meist informieren sie sich bei uns über die Möglichkeiten von Exklaustration und oder einem Austritt und erkundigen sich nach den Folgen von dieser Entscheidung. Was kann jemand erwarten, der so einen Schritt macht? Mit welchen Konsequenzen muss die Ordensperson dann rechnen? Für solche und andere Fragen wollen wir eine Anlaufstelle sein. Manchmal beraten wir einzelne Ordensleute, die eine Verwarnung bekommen haben.
Frage: Wann bekommt eine Ordensfrau oder ein Ordensmann eine Verwarnung?
Schwester Scholastika: Das ist ähnlich wie, wenn jemand von seinem Arbeitgeber eine Abmahnung aus unterschiedlichen Gründen erhält. In einer Ordensgemeinschaft ist das zum Beispiel der Fall, wenn ein Ordensangehöriger ständig die Verpflichtungen des gemeinsamen Lebens vernachlässigt, also grundsätzlich nicht zum Stundengebet kommt oder wenn sich hartnäckig nicht an Absprachen mit den Oberen hält. Häufig wird eine Verwarnung im Zusammenhang mit einem Entlassungsverfahren ausgesprochen. Wichtig ist dabei, dass das betroffene Mitglied der Gemeinschaft Gelegenheit hat, sich zu verteidigen. Ist die Verwarnung jedoch gerechtfertigt und bessert sich das Ordensmitglied nicht, kann eine zweite Verwarnung ausgesprochen werden. Erst wenn auch diese nicht zu einer Besserung führt, kann die betreffende Person entlassen werden.
Frage: Sie beraten in solchen Fällen beide Seiten?
Schwester Lydia: Das ist nicht so einfach. Denn wenn wir einmal die eine Seite gehört und beraten haben, ist es schwer, auch der anderen Seite unbefangen mit Rat zur Seite zu stehen. In anderen, nicht so konfrontativen Fällen, haben wir es bisher so gehandhabt, dass wir die "Gegenseite" jeweils uns gegenseitig zugewiesen haben. Das hat in den ein, zwei Fällen bisher, wie ich meine, ganz gut geklappt. Doch es gibt Konstellationen, in denen sich Ordensmitglieder so verhalten, dass sie aus Sicht der Gemeinschaft als nicht mehr tragbar erscheinen. Die Entlassung ist dann oft die letzte Option, die nach langem Ringen angezielt wird. Doch für alle Beteiligten gilt immer der Rechtschutz. Daher müssen die Rechte der betreffenden Ordensperson gewahrt werden. Im Eigenrecht der Orden lässt sich manches regeln und gestalten, dazu braucht es aber eine gute Rechtskultur.

"Wir geben meist keine konkreten Lösungen vor und ermutigen die Personen, vor Ort mit der Oberin das Gespräch zu suchen und gemeinsam eine Lösung zu suchen", erklärt die Kirchenrechtlerin und Benediktinerin Schwester Scholastika Häring. (Symbolbild)
Frage: Das ist bestimmt eine Herausforderung für Ordensgemeinschaften?
Schwester Scholastika: Ja, es ist immer ein Abwägen des Kirchenrechtes zwischen dem Gut des Einzelnen und dem Gut der Gemeinschaft. Das Kirchenrecht insgesamt hat vor allem die Gemeinschaft im Blick. Daher ist es uns wichtig zu schauen, was für die Einzelne zusätzlich getan werden kann. Wenn zum Beispiel eine Schwester die Exklaustration beantragt, so dass sie für ein paar Jahre außerhalb der Gemeinschaft leben darf, dann schauen wir, welche Rechte und Pflichten damit für die betreffende Person, aber auch für die Oberin verbunden sind. Wir können beiden Seiten mit Rat beistehen. Zunächst erfragen wir die notwendigen Informationen, zum Beispiel ob eine Ordensgemeinschaft päpstlichen oder bischöflichen Rechts ist. Jedoch geben wir meist keine konkreten Lösungen vor. Wir ermutigen die Personen immer, vor Ort mit der Oberin das Gespräch zu suchen, um dort gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Sie können sich aber immer wieder bei uns melden. Dazu sind wir da. Bislang haben wir viele dankbare Rückmeldungen erhalten.
Frage: Wie viele Anfragen haben Sie bislang bekommen?
Schwester Lydia: Wir hatten seit der Eröffnung des Instituts rund 27 Anfragen in persönlichen Angelegenheiten und 31 Anfragen von Ordensgemeinschaften, meist vertreten durch ihre Oberinnen. Bei den Anfragen von Gemeinschaften ging es im weitesten Sinne um die Themen Zusammenschlüsse, Internationalität, Statutenrevisionen, Schließungen und Verhandlungen mit den Bistümern. Daran erkennen wir, welch großes Thema das für die Gemeinschaften ist, weil sie kleiner werden, sich auflösen und ihre Standorte schließen müssen.
Frage: Inwiefern beraten Sie bei Klosterschließungen?
Schwester Scholastika: Viele Gemeinschaften werden kleiner. Dann geht es meist um Fragen wie: Wie kann noch eine Leitung gewählt werden? Brauchen wir andere Leitungsformen oder neue Konstitutionen und Statuten? Welche Formen der Mitgliedschaft könnten eventuell hinzukommen? Oder wie schließen wir uns einer anderen Gemeinschaft an beziehungsweise wie lösen wir uns auf? Das sind häufige Fragen, die an uns herangetragen werden. Viele Ordensgemeinschaften geben ihre sozialen Einrichtungen oder Schulen an Stiftungen ab. In diesen Fragen können wir jeweils nur den kirchenrechtlichen Teil beraten. Denn wir sind keine Juristinnen und kennen uns im zivilen Stiftungsrecht nicht aus.
Frage: Welche Themen sind Ihnen persönlich ein Anliegen?
Schwester Scholastika: Uns geht es um aktuelle Regelungen des Ordensrechts, wie zum Beispiel die bestehenden Ungleichheiten im Ordensrecht zwischen Männer- und Frauengemeinschaften. Auch die Vernetzung innerhalb des Benediktinerordens sowie die Weiterentwicklung des Eigenrechts sind uns gleichfalls ein großes Anliegen. Wir arbeiten auch mit der kirchlichen Anlaufstelle für Frauen und Männer, die im kirchlichen Bereich Gewalt erfahren haben, zusammen. Wir selbst beraten dort hinsichtlich der kirchenrechtlichen Fragen. Die Frage, ob etwa eine bestimmte Ungerechtigkeit, die einer Ordensfrau geschehen ist oder geschieht, im Kontext geistlichen Missbrauchs zu verorten ist, kommt manchmal auf. Generell sollten Frauen und Männer in der Kirche auf Augenhöhe agieren können. Unsere Expertise teilen wir über Ordens- und Ländergrenzen hinweg und unterstützen Ordensfrauen und Ordensgemeinschaften dabei, ihre rechtliche Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.