O'Malleys große Fußstapfen prägen die Kirche in Boston
Mit dem Rücktritt von Kardinal Sean Patrick O'Malley (80) als Erzbischof von Boston geht in den USA ein Stück Kirchengeschichte zu Ende. Papst Franziskus akzeptierte am Montag seinen Wunsch, sich nach 20 Jahren von der Leitungsaufgabe in einem der wichtigsten Erzbistümer Amerikas zurückzuziehen. O'Malley behält seine Rolle als Präsident der Kinderschutz-Kommission des Vatikans, die der Papst in Reaktion auf die Missbrauchskrise im Jahr 2014 eingerichtet hatte.
Kardinal O'Malley verkörpert in vielerlei Hinsicht das Bemühen der Kirche, die Verbrechen an Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten. Als er 2003 in Boston das Amt des Erzbischofs antrat, hatten die Enthüllungen des "Boston Globe" erstmals in den USA offengelegt, wie in einem bedeutenden Bistum über Jahre sexuelle Übergriffe auf Minderjährige verschwiegen, vertuscht und verharmlost worden waren.
Der Bostoner Missbrauchsskandal ging als Watergate der katholischen Kirche in die Geschichte ein. Und er katapultierte den studierten Religionspädagogen und promovierten Literaturwissenschaftler in den Blickpunkt der Weltkirche. Aus seiner früheren Tätigkeit brachte er die Expertise mit, die düstere Geschichte aufarbeiten. Der Kapuziner profilierte sich als kompromissloser Aufklärer, der mit Strenge und Demut versuchte, den Schaden wiedergutzumachen. Er verkaufte den Bischofspalast und stellte den Erlös den Missbrauchsopfern zur Verfügung.
Verbündeter von Papst Franziskus
Berufen hatte O'Malley noch Papst Johannes Paul II. Heute gilt er als enger Verbündeter von Papst Franziskus. Dieser hatte ihn zum Mitglied des einflussreichen Kardinalrats ernannt, der unter anderem die römische Kurienreform ausgearbeitet hat. Beide gelten als Vertreter einer demütigen Kirche, die sich mehr um das Pastorale sorgt als um dogmatische Vorgaben.
Wenngleich das Verhältnis nicht immer spannungsfrei war. O'Malley kritisierte öffentlich die anfängliche Rückendeckung des Papstes für den umstrittenen chilenischen Bischof von Osorno, Juan Barros. Der neu installierte Kinderschutzbeauftragte des Vatikans hatte Franziskus 2015 den Brief eines Missbrauchsopfers übergeben, der detailliert über die Vertuschungsversuche von Barros geklagt hatte.
Dass diese kompromisslose Aufarbeitung dem Verhältnis nicht geschadet hat, lässt sich daran ablesen, dass O'Malley die Arbeit an der Spitze der Kommission fortsetzen wird. Ferner will er in Washington mit hispanischen Einwanderern arbeiten. Ein anderer pastoraler Schwerpunkt, den er mit dem Papst teilt.
Keine Langeweile
"Ich werde mich nicht langweilen", sagte O'Malley bei einem gemeinsamen Auftritt mit seinem Nachfolger Richard G. Henning (59), bislang Bischof von Providence im US-Bundesstaat Rhode Island. Beide hatten am Montag in Boston zu einer gemeinsamen Pressekonferenz eingeladen, um den Wechsel an der Spitze des Erzbistums bekanntzumachen. "Ich werde bestimmt nicht Golf spielen gehen", fügte O'Malley schmunzelnd hinzu.
Henning tritt die Nachfolge zum 31. Oktober an. Er sei "zutiefst schockiert" gewesen, als der päpstliche Nuntius in den USA, Kardinal Christophe Pierre, ihn am Wochenende über seine Berufung informierte. Er habe erst nach drei Minuten antworten können. Ihm seien die Menschen in seiner Diözese in Rhode Island durch den Kopf gegangen. "Das war der härteste Teil für mich."
Gewiss war sich Bischof Henning auch bewusst, welches Erbe er in Boston antreten wird. Kardinal O'Malley versprach vor Reportern, "dem neuen Erzbischof nicht im Weg zu stehen, aber verfügbar zu sein, wenn er etwas benötigt".
Der Erzbischof von New York, Kardinal Timothy Dolan, lobte seinen Amtsbruder in Boston als wichtigen Anführer der Kirche in den USA: "Wir dürfen uns auf seine anhaltende Präsenz unter uns freuen, während er seinen liebenden Dienst an Jesus und seiner Kirche fortsetzt." Der Erzbischof von Washington, Kardinal Wilton Gregory, lobte den "unglaublichen pastoralen Dienst in unserer Kirche und an vielen anderen Orten".
O'Malley zog eine positive Bilanz seiner Jahre in Boston. Er sei zu Beginn einer großen Krise gekommen und scheide mit Hoffnung. Der designierte Erzbischof Henning will in O'Malleys Fußstapfen treten. Er betont wie dieser das Pastorale: "Meine erste Aufgabe wird es sein, ein Zuhörer zu sein, der lernt zu verstehen."