Gotteshaus wurde einst für eine Stahl-Siedlung gebaut

Ein Arbeiterstädtchen kämpft für eine ausgemusterte Kirche

Veröffentlicht am 11.08.2024 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Jœuf ‐ Auch in Frankreich werden die Kirchenbesucher weniger. So manche Kirche steht deshalb auf dem Prüfstand – oder in den Verkaufsanzeigen. So auch in einem kleinen Ort im Osten des Landes. Doch die Einwohner sehen dem möglichen Verlust ihres Gotteshauses nicht tatenlos zu.

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Jœuf ist eigentlich ein beschaulicher Ort. Das 6.500-Einwohner-Städtchen im Osten Frankreichs bekam vergangenes Jahr einen Preis für seinen öffentlichen Blumenschmuck. Ansonsten gibt es dort alles, was zu einer französischen Stadt gehört: Ein altes römische Gewölbe und zwei Kirchen etwa - und eine davon hat es jetzt in die Medien schafft.

Es geht um die Kirche Notre-Dame-de-Franchepré. Die hat das zuständige Bistum Nancy-Toul nicht nur geschlossen, sondern auch zum Verkauf angeboten. Denn auch im ländlichen Frankreich gehen wie so oft in Westeuropa die Kirchenbesucherzahlen zum Teil empfindlich zurück. Das macht viele Gebäude überflüssig, wie auch dieses mit seinen 1.500 Plätzen, argumentiert die Diözese. Doch für die Einwohner ist die Kirche mehr als nur ein Haus zum Gottesdienst-Feiern.

Der Ort hat eine lange gemeinsame Geschichte mit der Stahl-Industrie und auch Notre-Dame-de-Franchepré hat damit zu tun. Gestiftet wurde ihr Bau Anfang des 20. Jahrhunderts von der einflussreichen Schmied-Familie De Wendel, passenderweise bestehen die Balken in der Decke der Kirche aus Stahl. Sie dominierte bei ihrer Weihe 1911 das dortige Arbeiterviertel. Aus genau diesem Viertel stammt auch Frankreichs Fußballlegende Michel Platini, der hier Messdiener war. 2017 fand auch der Beerdingungsgottesdienst für seinen Vater Aldo in dem Gotteshaus statt.

Kirche schon jahrelang ungenutzt

Das war aber auch der letzte Gottesdienst in der Kirche. Seitdem steht das Gotteshaus ungenutzt da, im Juni wurde es profaniert. Denn das Umfeld der Kirche hat sich geändert: Die Stahlöfen der Region sind schon seit 1989 erkaltet, die Industrie nur noch Erinnerung.

Aber gerade diese Erinnerung ist es, die die Menschen vor Ort umtreibt, namentlich den "Cercle pour la Promotion de l'Histoire de Jœuf" (Verein zur Förderung der Geschichte von Jœuf). Er macht nun für den Erhalt der Kirche mobil, vor allem dessen Vorsitzender Roger Martinois: "Man kann sich nicht vorstellen, dass sie eines Tages aus der Landschaft verschwindet. Auch wenn sie keine Kultstätte mehr ist, muss sie in der Mitte der Stadt bleiben. Viele Ortsansässige wurden hier getauft und haben geheiratet", sagte er dem Sender "Franceinfo". Es ist nicht das erste Mal, dass die Kirche gerettet werden muss. Schon 2002 fehlte Geld für deren Renovierung. Die Kommune gab damals eine halbe Million Euro, dazu kamen 80.000 Euro Spenden.

„Wir müssen uns mobilisieren, um Notre-Dame-de-Franchepré ein zweites Mal zu retten.“

—  Zitat: André Corzani

Wegen dieser Geschichte redet in Sachen Kirche auch Bürgermeister André Corzani mit. "Wir müssen uns mobilisieren, um Notre-Dame-de-Franchepré ein zweites Mal zu retten. Da die Bevölkerung von Jœuf und sogar Freunde über die Gemeindegrenzen hinaus so viel investiert haben, erscheint es mir logisch, den Bischof um eine Übertragung für einen symbolischen Euro zu bitten", so Corzani gegenüber "Franceinfo". Die beiden scheinen da etwas losgetreten zu haben: Eine Online-Petition bekam innerhalb kurzer Zeit immerhin 800 Unterschriften.

Kulturelle Nutzung angedacht

Ein Gottesdienstort wird das Kirchlein aber wohl nicht bleiben. Denn das Bistum Nancfy-Toul betont, dass es sich nicht lohnt, mehrere Gebäude mit nur kleinen Gottesdienstgemeinschaften zu unterhalten. Vielmehr seien weniger Gebäude mit dann aber mehr Gottesdienstbesuchern sinnvoll. Das scheint auch den Engagierten bewusst zu sein. Martinois beschreibt sein Ziel darin, dass "die Kirche nicht an irgendjemanden verkauft wird, nicht zu irgendetwas wird und ein Gebäude bleibt, das das Gedächtnis und die Geschichte der Gemeinde repräsentiert". Der Stadt schwebt beispielsweise ein Ort für kulturelle Veranstaltungen vor.

Fälle wie den in Jœuf sind keine Solitäre, vor allem nicht im Bistum Nancy. In der 3.000-Einwohner-Gemeinde Chaligny wurde die ebenfalls für Arbeiter gebaute Kapelle Notre-Dame-Du-Fer wie in Jœuf unter Protest der Anwohner zum Verkauf angeboten, auch hier wollte die Kommune sie für einen symbolischen Euro übernehmen. Am Ende wurden daraus 50.000 Euro. In Nancy selbst sollte vor zehn Jahren aus einer Kirche ein Fast-Food-Restaurant werden. Der Verkauf wurde vom Bistum aber in letzter Minute abgesagt.

In Jœuf haben nun die Beteiligten Gespräche angekündigt. Das Kapitel um die alte Arbeiterkirche Notre-Dame-de-Franchepré, Michel Platini und die Gegenwart der ehemaligen Stahlregion in Ostfrankreich ist also noch nicht auserzählt.

Von Christoph Paul Hartmann