Am 10. April sind Präsidentschaftswahlen

Land der "Kirchen und Satelliten": Religion bei der Wahl in Frankreich

Veröffentlicht am 09.04.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Paris ‐ In Frankreich wird ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Bei der Präsidentschaftswahl spielt auch der Katholizismus eine Rolle. Das ist umso bemerkenswerter, als dass im Land Religion und Staat strikt voneinander getrennt sind. Doch diese Trennung hat Lücken.

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Sie will ein Land "der Kirchen und der Satelliten", sagt Valérie Pécresse. Sie breitet die Arme aus, vor ihr ein Fahnenmeer aus Trikoloren. Kirchen und Satelliten, katholische Tradition und Fortschritt verspricht sie. Valérie Pécresse möchte Präsidentin Frankreichs werden. Die konservative Politikerin umwirbt ihre Landsleute auch mit der Idee eines katholischen Frankreichs – und das, obwohl Politik und Kirche dort eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollten.

Viele Jahrhunderte galt Frankreich als "älteste Tochter der Kirche", Karl der Große war im Jahr 800 der erste, der vom Papst gekrönt wurde. Der Katholizismus hatte durch seine engen Verbindungen mit der Monarchie erheblichen Einfluss auf das Land: Gesundheitsversorgung und Bildung lagen in kirchlicher Hand. So war dann auch eines der Hauptanliegen der Französischen Revolution ab 1789, die Kirche zu entmachten und ihren Einfluss in der Gesellschaft zurückzudrängen. Die Kirchensteuer wurde abgeschafft und Kirchenbesitz enteignet. Zunächst war angedacht, eine französische Kirche nach dem Vorbild der anglikanischen zu schaffen, doch bald tendierten die Abgeordneten eher zu einer Trennung von Staat und Kirche.

Dieser Kurs wurde aber erst nach der napoleonischen Zeit und der zeitweisen Rückkehr der Monarchie in der dritten Republik Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr umgesetzt. 1905 wurde das Gesetz verabschiedet, das das Verhältnis von Staat und Religion regelt. Es besteht aus zwei Komponenten: Einerseits wird jedem Individuum die ungehinderte Ausübung der eigenen Religion garantiert. Andererseits verbietet es dem Staat, Religionsgemeinschaften anzuerkennen, zu finanzieren oder finanziell zu unterstützen. Der Blickpunkt liegt also auf dem Einzelnen: Dieser soll seine Religion ausüben können – sie ist allerdings reine Privatsache. Eine Kirchensteuer, Religionsunterricht an Schulen oder die Eidesformel "So wahr mir Gott helfe" gibt es in Frankreich nicht.

Ein "laizistischer" Staat

Obwohl er im Gesetz nicht vorkommt, hat sich für diese Haltung der Begriff der Laizität durchgesetzt. Der erste Artikel der französischen Verfassung bezeichnet das Land als "laizistischen" Staat. Bis heute hat der Laizismus großen Rückhalt in der Bevölkerung; etwa drei Viertel der Menschen befürworten ihn und es gibt in mehreren Städten einen "Place de la laicité".

Bild: ©katholisch.de/cph

Frankreich ist laut Verfassung ein laizistischer Staat.

Das Gesetz von 1905 ist unter anderem bis heute so bedeutsam, weil es in seinen Regelungen zwei verschiedene Strömungen der Gesellschaft zusammenführte, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts gebildet hatten. Da waren auf der einen Seite die konservativen, katholischen Royalisten und auf der anderen die zum Teil antiklerikalen Progressiven. Beide haben auch architektonisch ihre Spuren hinterlassen. Nicht umsonst wurde zum 100. Jubiläum der Französischen Revolution der Pariser Eiffelturm gebaut, der alle Kirchtürme der Stadt überragt. Gleichzeitig wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts aber landauf, landab neue Kirchen gezielt als Landmarken errichtet. Diese Zweischneidigkeit zeigt sich auch heute in der Gesellschaft: Schätzungsweise mehr als die Hälfte der Menschen in Frankreich sind Katholiken. Allerdings sind weniger als fünf Prozent regelmäßige Kirchgänger und eine Mehrheit der Menschen glaubt nicht an Gott. Dieser ungläubigen Mehrheit stehen kleine traditionalistische Minderheiten gegenüber, so kommt etwa die Piusbruderschaft aus Frankreich und das Land galt nach dem Dekret "Summorum pontificum" als eines der Zentren der Feier der vorkonziliaren Messe.

So verbindend das Gesetz von 1905 war und ist, so zwiespältig wird es umgesetzt. Einerseits hat sich eine sehr strikte Lesart durchgesetzt, nach der religiöse Symbole in der Öffentlichkeit generell keinen Platz haben sollen. In der Schule und vor Gericht sind Kopftuch und Kreuz-Kette verboten und manche Streitfälle schaffen es immer wieder in die Medien; wie 2016 die gerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob an einem Strand ein Burkini getragen werden darf. Gleichzeitig gehören dem französischen Staat alle vor 1905 gebauten Kirchen im Land und er muss dafür sorgen, dass dort Gottesdienst gefeiert werden kann. Außerdem unterstützt er die Kirchen durchaus finanziell – nur fließen die Gelder dann nicht direkt an eine Religionsgemeinschaft, sondern beispielsweise an die von ihr betriebene Bücherei. Zudem gelten im 1905 noch zu Deutschland gehörenden Elsass-Lothringen und in den Überseegebieten andere Regeln als im Rest des Landes. Und trotz Laizität gibt es Militär- und Gefängnisseelsorger. Symbolhaft ist das Verhalten des ehemaligen Präsidenten Charles de Gaulle: Der gläubige Katholik besuchte in seiner Rolle als Staatschef zwar die Messe, ging aber als Zeichen der Laizität nicht zur Kommunion.

Muslime werden sichtbarer

Relevant ist die Frage nach der Umsetzung dieses Gesetz geworden, seitdem die Muslime im Land sichtbarer werden und Verschleierung, Minarette und Speisevorschriften in die öffentliche Diskussion gekommen sind. Zudem haben islamistische Terroranschläge in der Debatte ihre Spuren hinterlassen.

Die politische Rechte versucht, daraus Kapital zu schlagen: So ist die Vorsitzende des rechtsextremen "Rassemblement National", Marine Le Pen, nach Anschlägen oft schnell am Ort des Geschehens, um dort eine rigidere Einwanderungspolitik sowie einen härteren Umgang mit dem Islam zu fordern. In ein ähnliches Horn stößt auch der Rechtsextreme Éric Zemmour, der oft mit islamfeindlichen Kommentaren auffällt und auch schonmal wegen rassistischer Diskriminierung verurteilt wurde. Er ist unter anderem gegen die Öffnung der Ehe und fordert ein "katholisches Frankreich" nach dem Vorbild des polnischen Katholizismus. Laurence Trochu, die Präsidentin der rechten Organisation "Mouvement conservateur", bescheinigte ihm vergangenes Jahr: "Éric Zemmour hat den Mut, sich zu unserem vom Christentum geerbten Kulturmodell zu bekennen und es zu verteidigen."

Bild: ©katholisch.de/cph

Die Laizität hat Ausnahmen, so gilt sie etwa im 1905 noch zu Deutschland gehörenden Elsass-Lothringen nicht.

Deshalb auch die Betonung des Frankreichs der Kirchen und Satelliten durch Pécresse: Die Diskussion um die Rolle der Muslime und des Islams befeuert seit Jahren eine Identitätsdebatte in Frankreich, in der auch der Katholizismus als Wesensmerkmal herangezogen wird. Allerdings hat das nicht immer mit gelebter Religiosität zu tun. Die Sozialwissenschaftlerin Carol Ferrara hebt hervor, dass es nicht die regelmäßigen Kirchgänger sind, die rechtsextrem wählen, sondern eher jene Katholiken, die nur zu Weihnachten, Ostern oder Familienbeerdigungen in die Kirche gehen. Der regelmäßige Kirchgang führe eher in die politische Mitte. Sie folgert daraus, dass hier eher ein "Kulturkatholizismus" eine Rolle spielt als die Kirche selbst. Das Label "Katholisch" werde zur Abgrenzung gegenüber "Anderen", also vor allem Muslimen genutzt. Da spielt auch die Laizität hinein: Wenn gegen Muslime argumentiert wird, werden sie manchmal als Bedrohung der Staat-Religion-Trennung dargestellt.

Eher ein "Kulturkatholizismus"

In diesem Zusammenhang spielen Politiker unterschiedlicher Couleur auf den Katholizismus an: Zemmour und Pécresse fuhren jeweils im vergangenen Dezember nach Armenien, um den Schutz von Christen im Nahen Osten zu betonen – implizit bezogen sie auf diese Weise Stellung gegen den Islam. Der amtierende Präsident Emmanuel Macron, der bei dieser Wahl wieder antritt, lobte schon 2018 die gesellschaftliche Rolle der katholischen Kirche – und forderte 2017 bereits Veränderungen im Laizitäts-Grundsatz, denn er mache blind für den religiösen Teil der Wirklichkeit. Vor der französischen Bischofskonferenz sagte er: "Wir sind uns einig, dass das Verhältnis zwischen Kirche und Staat gestört ist. Wir müssen es reparieren. Dabei hilft nur der um die Wahrheit bemühte Dialog." Dabei ist das Verhältnis zwischen den Bischöfen und ihm keineswegs spannungsfrei, denn in Sachen Schwangerschaftsabbruch oder künstlicher Befruchtung gehen die Vorstellungen zum Teil weit auseinander. Dennoch erwähnt Macron gern, dass er mit Papst Franziskus per Du ist.

Die französischen Bischöfe sehen diese Mechanismen mit großer Skepsis: "Die systematische Verunglimpfung von Kulten führt nur dazu, dass unterdrückte, potenziell gewalttätige Religionen hervorgerufen werden", schreiben die Bischöfe in einem Memorandum zur Präsidentschaftswahl. "Religionen können immer von der Gewalt, die im menschlichen Herzen wohnt, instrumentalisiert werden, und die Grundbewegung der Religion kann nicht auf die Suche nach einer bestimmten Identität reduziert werden: Sie muss von der Suche nach Gott, dem Guten, dem Wahren und dem Schönen ausgelöst werden."

Im nicht nur gesellschaftlich, sondern auch juristisch sehr säkularen Frankreich spielt die Religion also eine Rolle in der Politik und auch bei der Wahl eines neuen Staatsoberhauptes. Doch droht die Religion zur reinen Fassade zu werden, hinter der sich ganz verschiedene Identitätskonstrukte verbergen, die nicht zuletzt auf Abgrenzung zu Muslimen setzen. Eine Rolle, die Religion noch nie gut bekommen hat.

Von Christoph Paul Hartmann