Mutiger Kämpfer gegen Missbrauch: Klaus Mertes wird 70 Jahre alt
Er ist immer noch ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um die Kirche und das Thema Bildung geht. Jahrelang unterrichtete Jesuitenpater Klaus Mertes Kinder und Jugendliche an Schulen der Jesuiten. Einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde er, als er 2010 den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche öffentlich machte. Nachdem ihm drei Schüler von ihrem Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg erzählt hatten, rief er als damaliger Leiter der Schule ehemalige Schüler auf, sich zu melden, wenn ihnen Ähnliches widerfahren war.
Damals war Mertes nicht bewusst, dass er damit eine Lawine lostreten würde – in Deutschland meldeten sich abertausende Menschen, die an kirchlichen und öffentlichen Einrichtungen, aber auch in Familien Opfer sexualisierter Gewalt geworden waren. Die Diskussion über Missbrauch beherrscht bis heute immer wieder die Schlagzeilen.
Mertes selbst besuchte als Diplomatensohn in den 1960er und Anfang der 70er Jahre selbst ein Jesuitengymnasium, das Aloisiuskolleg in Bonn. Bereits mit 23 Jahren trat er in den Jesuitenorden ein und begann ein Philosophie- und Theologiestudium. Anschließend empfing er Mitte der 80er Jahre die Priesterweihe. Nach einem Referendariat in Frankfurt am Main arbeitete er zunächst an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule als Lehrer.
Lob und Gegenwind
Nach einem Auslandsjahr in Nordirland kam er 1994 zum Canisius-Kolleg in Berlin. Sechs Jahre später wurde er Leiter des Gymnasiums und wechselte dann 2011 an das Kolleg Sankt Blasien im Südschwarzwald; seit einigen Jahren lebt er wieder in Berlin.
Für seinen Schritt, einen offensiven Umgang mit dem Thema Missbrauch zu wagen, erhielt Mertes in den vergangenen Jahren viel Lob – vor drei Jahren zeichnete ihn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit einem der drei Schüler, dem Aktivisten Matthias Katsch, mit dem Bundesverdienstkreuz aus. Aber er erfuhr auch Gegenwind: Mertes wurde als "Nestbeschmutzer" beschimpft; er habe damals auch versteckte Morddrohungen erhalten, sagte er in einem Interview.
All das hielt ihn nicht davon ab, sich weiter für Aufarbeitung zu engagieren. Dazu gehörte auch das Veröffentlichen von Beiträgen, in denen er die Sexualmoral sowie die kirchliche Einstellung zu Homosexualität kritisierte und als begünstigend für Missbrauchsfälle ausmachte.
"Bin nicht bitter geworden"
Auch im Nachhinein hat er sein Eintreten für eine Aufarbeitung nicht bereut: Es sei anstrengend, sich wieder und wieder mit dem Thema auseinanderzusetzen, sagte er vor einigen Jahren der "taz". Und: "Es ist ein steiniger Weg. Ich bin aber nicht bitter geworden, und dafür bin ich einfach dankbar. Das war auch immer mein Ziel."
Mertes bezieht auch zu anderen Themen klare Position: Schon früh trat er dafür ein, dass sich die katholische Kirche von der AfD distanzieren solle. Die AfD sei "eine Anti-System-Partei mit eindeutig völkischer Schlagseite", schrieb er im vergangenen Jahr in der Zeitschrift "Stimmen der Zeit". Die Partei habe den Punkt überschritten, sich zur bürgerlich-konservativen Partei entwickeln zu können; sie radikalisiere sich stattdessen immer weiter.
„Es ist ein steiniger Weg. Ich bin aber nicht bitter geworden, und dafür bin ich einfach dankbar. Das war auch immer mein Ziel.“
Und Mertes sorgt sich als ehemaliger Lehrer um die Zukunft katholischer Schulen: Zusammen mit dem SPD-Politiker und früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse setzt er sich für deren Erhalt ein; viele von ihnen wurden in den vergangenen Jahren geschlossen. Dabei hätten sie trotz des Missbrauchsskandals einen guten Ruf, so Mertes in einem gemeinsamen Beitrag. Allein, es fehle den Bistümern an Geld.
Alles in allem sei er mit seinem bisherigen Leben zufrieden, betonte er in dem "taz"-Interview. In entscheidenden Augenblicken großer Lebenskrisen sei er stets den richtigen Menschen begegnet, so Mertes: "Ich bin ein Glückskind."