Die Zukunft der Beichte: Nicht tot, sondern anders
Auf den ersten Blick könnte sich Ernüchterung einstellen, erscheint doch hierzulande die Praxis des Bußsakramentes augenscheinlich tot. Dies jedenfalls konstatierte jüngst der Münchner Pastoraltheologe Andreas Wollbold. Zwar werden von Seiten der Deutschen Bischofskonferenz keine statistischen Zahlen im Blick auf das Bußsakrament erhoben wie vergleichsweise bei anderen Sakramenten (Taufen, Erstkommunionen, Firmungen, Trauungen, Weihespendungen), doch lässt der Blick auf ungenutzte Beichtstühle, die im wahrsten Sinne des Wortes ein Nischendasein in vielen Kirchen fristen, nichts Gutes ahnen.
Nicht besser scheint die Situation bei jenen zu sein, die zur Spendung des Sakramentes bevollmächtigt sind, wie auch bei allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pastoral im Blick auf den eigenen Empfang des Bußsakramentes. Legt man die vor wenigen Jahren durchgeführte Seelsorgestudie zugrunde (Baumann, Klaus/Büssing, Arndt et.al.: Zwischen Spirit und Stress, Würzburg 2017), so gehen von den befragten Priestern 54 Prozent lediglich einmal im Jahr beichten, von den Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten sind es sogar 91 Prozent.
Hohe Nachfrage, aber an anderen Orten
Jedoch ist die Situation des Bußsakramentes nicht nur messbar an der Quantität des Empfangs, sondern auch an der Qualität. Seit geraumer Zeit scheint sich eine neue Kultur für den Empfang des Bußsakramentes zu etablieren. Nicht nur dass die Feier dieses Sakramentes inzwischen einen anderen pastoralen Ort gefunden hat, der fest zum seelsorglichen Angebot gehört, wie bspw. in den liturgischen Formaten wie eines „Abend der Barmherzigkeit“ oder eines „Abend der Versöhnung“. Auch stimmen Berichte von Wallfahrtsorten über die weiterhin hohe Nachfrage nach dem Bußsakrament zuversichtlich. Die bei großen kirchlichen Events wie dem Weltjugendtag gepflegte Praxis eines großen Angebots zum Bußsakrament verdeutlicht die ungebrochene Nachfrage zu diesem Sakrament, nicht zuletzt unter jungen Menschen.
Auch die eigene Beichtpraxis der künftigen Priester in der Ausbildung wie auch das jungen Klerus zeigt – wie Umfragen unter Priesterkandidaten belegen – eine neue Sensibilität für die Relevanz des Bußsakramentes. Diese drückt sich nicht nur in einer höheren Beichtfrequenz aus, sondern wird auch daran ersichtlich, dass – wie Antworten belegen – Priester eine hohe Wirksamkeitserfahrung bei der Entgegennahme von Beichten machen. Sie erfahren die Feier dieses Sakramentes in hoher Weise als Stärkung ihrer priesterlichen Identität. Auffällig ist zudem das hohe Interesse an einer ganzheitlichen Seelsorge, welches die Priesterkandidaten zeigen. Von einem „Verschnitt von Populärpsychologie, Lieblingsspiritualität und frommer Vertröstung“ kann also – wie Andreas Wollbold behauptet – nicht die Rede sein.
Es braucht reife Priesterpersönlichkeiten
Blickt man in die Kirchengeschichte, waren es immer erfahrene geistliche Persönlichkeiten, die häufig und gern für das Bußsakrament und die oft damit verbundene geistliche Begleitung aufgesucht wurden. Dies gilt bereits für die Wüstenväter und zeigt sich bis in die Gegenwart. So zog etwa die hl. Teresa von Avila kluge, erfahrene und umfassend gebildete Priester den lediglich frommen Geistlichen vor. Um die Entwicklung umfassend gebildeter und menschlich reifer Priesterpersönlichkeiten zu fördern, denen nichts Menschliches fremd ist, gehört es in allen Diözesen seit Jahren zum Standard in der Priesterausbildung, die Seminaristen nicht nur in der adäquaten Ausübung sakramentaler Vollmacht oder fallbezogener kirchenrechtlicher Expertise zu unterrichten, sondern ihnen auch geistliches Erfahrungswissen zu eröffnen. Es geht um Gewissenbildungsprozesse, entwicklungspsychologische Erkenntnisse und die Einübung geistlicher Unterscheidung. In der Ausbildung wirken daher nicht nur Experten der Moraltheologie, des Kirchenrechtes oder der Pastoraltheologie mit, sondern auch eine Reihe von erfahrenen geistlichen Begleiterinnen und Begleitern.
Bisweilen steht jedoch der Vorwurf im Raum, dass die starke Gewichtung einer solchen „Professionalisierung“ in der Aus- und Fortbildung der Spender des Bußsakraments die Ausübung der gnadenhaften Vollmacht des Sakramentes in den Hintergrund drängt. Es stimmt: Das Bußsakrament als Feier der Vergebung von Schuld und Sünde, als Begegnung von Gott und Mensch im Gewissen, ist nicht einfach ein psychologisches oder therapeutisches Instrument. Es geht aber in der Feier des Sakramentes umgekehrt auch nicht einfach ohne entsprechende Kenntnis und Erfahrung in diesen Bereichen, will man dem Menschen in seiner Lebensrealität versuchen gerecht zu werden. Nicht zuletzt die Erfahrungen des geistlichen Missbrauchs – auch im Zusammenhang mit dem Bußsakrament – haben deutlich gemacht, wie notwendig eine sensible Vorbereitung auf diesen Dienst ist.
Neu über die Beichtvollmacht nachdenken
In jedem Fall muss in der Ausbildung das Thema der Unterscheidung des Bußsakramentes von anderen Formen geistlicher Begleitung oder therapeutischer Begleitung einen festen Platz haben. Diese unterschiedlichen Dienste folgen einer eigenen Logik und sind darum klar vom sakramentalen Dienst zu trennen. Umgekehrt können das Bußsakrament und geistliche und therapeutische Begleitung aufeinander bezogen sein. Ferner sollte über die Erteilung der Beichtvollmacht neu nachgedacht werden. In der gegenwärtigen Praxis erhalten die neugeweihten Priester sie zwar gesondert, aber doch in jedem Fall unmittelbar nach der Priesterweihe. Sie wird in der Regel durch den Bischof nur im Fall eines unsensiblen Umgangs mit dem Sakrament oder einer missbräuchlichen Handlung entzogen. Es wäre möglicherweise sinnvoller, die Beichtvollmacht dem Geistlichen erst dann zu erteilen, wenn er einen entsprechenden menschlichen und geistlichen Reifegrad erreicht und nachgewiesen hat.
Zudem wäre es klug zu erwägen, ob die Beichtväter sich im Lauf ihres priesterlichen Dienstes nicht regelmäßig einer Fortbildung unterziehen sollten, um die Beichtfakultät weiterhin zu behalten. Ein eigenes Beichtexamen zur Prüfung dieser Kompetenzen war bis in die Zeit vor dem II. Vatikanum in einigen Diözesen üblich. Zudem sollte die Frage nach der Einrichtung einer sogenannten „Beichtkonferenz“ erwogen werden, wie sie manchenorts üblich war: Die Möglichkeit für Beichtväter unter Wahrung des Beichtsiegels anonymisierte Einzelfälle erörtern zu können.
Solidarität unter Sündern
Aber auch im Blick auf die Empfänger des Sakramentes bedarf es einer Erneuerung. So möchte ich für eine sorgsame und erneuerte Bußkatechese in der Pastoral plädieren, die die vielfältigen Wege der Versöhnung aufzeigt und dabei das Bußsakrament als einen vorrangigen Ort personaler Gottesbegegnung stark macht. Die Begegnung mit einem Menschen, der als Priester die Vergebung Gottes zuspricht, aber selbst sündigt, ist zwar stets eine Provokation, kann aber auch ein starkes Moment tiefer Solidarität von Sündern untereinander sein, die beide der Gnade Gottes bedürfen. Zu einer solchen Katechese gehört auch, das ausgeprägte sittliche Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Nächsten und der eigenen Person wieder mehr für die göttliche Dimension zu öffnen. Nicht nur der Mensch wird durch Sünde betroffen und verletzt, auch Gott gegenüber steht der Mensch in Verantwortung für sein Handeln. Diese Perspektive des Glaubens gilt es wieder neu bewusst zu machen.
Das Bußsakrament kann aus meiner Perspektive dann als relevant erfahren werden, wenn erfahrene Seelsorger im wörtlichen Sinn wieder einen diskreten Raum eröffnen. Ein diskreter Erfahrungsraum entsteht nicht nur durch die Wahrung der absoluten Verschwiegenheit im Beichtgeheimnis, sondern gerade dann, wenn im Sinne der discretio (lat. Unterscheidung) im Gespräch Wege der Unterscheidung aufgezeigt werden: So kann es gelingen, aus schuldhafter Tragik und sündhaften Vergehen und im Wissen um die göttliche Vergebung wieder neu in das Leben zurückkehren. Auf diese Weise wird das Bußsakrament zu einer heilsamen Begegnung zwischen Gott und Mensch. Wird dieser Raum offengehalten, wird er auch von Menschen aufgesucht werden. Es braucht dazu nur etwas, was dem Seelsorger nicht selten fehlt: die Tugend der Geduld.