Betroffene fordern Transparenz und Fairness bei Anerkennungsleistungen
Ehemalige Schüler eines katholischen Internats im nördlichen Bayerns kritisieren die ihnen zuerkannten Entschädigungen für sexuellen Missbrauch als zu niedrig. Diese stünden in keinem Verhältnis zu jüngeren Entscheidungen, heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Offenen Brief an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Die UKA verteidigte auf Anfrage ihr Verfahren.
Die Unterzeichner des Briefs beziehen sich auf den Fall eines anderen Betroffenen, der über vier Jahre von einem Kirchenmitarbeiter missbraucht worden sei und dafür von der UKA 300.000 Euro erhalten habe als Zahlung zur Anerkennung seines Leids.
In dem Schreiben sprechen die Opfer von Ungleichbehandlung. Es werde der Eindruck erweckt, das Gremium bevorzuge bestimmte Betroffene oder bestimmte Narrative. Auch fehle es an Transparenz, wie die jeweiligen Summen zustande kämen. Die Gruppe fordert, zu einer nachvollziehbaren und gerechten Gleichbehandlung aller Betroffenen zu kommen. Der Brief ging neben der UKA zeitgleich an die Deutsche Bischofskonferenz, die Deutsche Ordensobernkonferenz und den Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz.
Sprecher der UKA verteidigt aktuelles Verfahren
Zuständig für die Entscheidung über Anerkennungsleistungen ist die am 1. Januar 2021 eingesetzte UKA. Diese nimmt Anträge der Betroffenen über die jeweiligen Ansprechpersonen der Bistümer oder Ordensgemeinschaften entgegen, legt eine Leistungshöhe fest und weist die Auszahlung an Betroffene an. Ein Sprecher der UKA sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf Anfrage, man könne einzelne Fälle oder Leistungshöhen nicht kommentieren. Die Kommission sei an den Datenschutz gebunden und zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Entschieden werde streng nach der Verfahrensordnung als Einzelfallentscheidung auf der Basis dessen, was im individuellen Antrag vorgetragen werde, so der Sprecher weiter. Als Orientierungsrahmen für die zu ermittelnde Leistungshöhe, über die interdisziplinär beraten werde, dienten Entscheidungen der weltlichen Gerichtsbarkeit. Das in dem Brief erwähnte Verfahren stamme aus dem Sommer 2023. Es werde seitdem in die Beratungen bei vergleichbaren Fällen einbezogen. Jedem Betroffenen stehe es zudem offen, gegen eine UKA-Entscheidung einmalig Widerspruch einzulegen. Über diesen werde dann entsprechend der Verfahrensordnung entschieden.
Der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, sagte der KNA, in diesem konkreten Fall werde wieder einmal das auch von seinem Gremium seit langem kritisierte Grundproblem des Anerkennungssystem mehr als deutlich: Die fehlende Transparenz in den Entscheidungen der UKA. Die Verfahrensordnung, auf denen die Entscheidungen der Kommission beruhten, sei so weiterzuentwickeln, dass UKA-Entscheidungen transparent und damit nachvollziehbar würden. Hier sei die Bischofskonferenz gefordert, denn nur sie könne die entsprechenden Ordnungen anpassen.
Internat der Missionare von der Heiligen Familie
Bei den Betroffenen, die das Schreiben unterzeichnet haben, handelt es sich um ehemalige Schüler, die in den 1970er Jahren in einem Internat der Missionare von der Heiligen Familie im unterfränkischen Lebenhan bei Bad Neustadt an der Saale wohnten. "Beinahe Nacht für Nacht mussten wir über den Zeitraum von mehreren Schuljahren den Missbrauch durch den Priester erdulden oder im Schlafsaal am Nachbarbett beobachten, einer von uns wurde sogar noch nach Verlassen der Schule Opfer sexueller Gewalt", heißt es. 2008, nach dem Aufdecken der Taten, habe es eine mittels Kirchenrecht angeordnete Untersuchung gegeben. Daraufhin sei der Täter in kürzester Zeit laisiert worden, habe also alle Rechte und Pflichten als Priester verloren.
Die Vorsitzende der damaligen Untersuchungskommission war den Angaben zufolge die in Erfurt lehrende niederländische Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens. Sie soll 2012 über den betreffenden Täter gesagt haben, er sei "der schlimmste, den es im kirchlichen Raum in Deutschland je gegeben hat". An den bis dato bewilligten Zahlungen sei dies aber nicht zu erkennen, kritisieren die Opfer. Laut dem von der UKA veröffentlichten Bericht sind bis 2023 insgesamt 16 Anträge von Betroffenen des Ordens eingegangen, in der Mehrzahl aus dem unterfränkischen Internat. Den Opfern sei eine Gesamtsumme von 191.000 Euro zuerkannt worden.
Dieser Betrag wird auch auf der Internetseite der Missionare von der Heiligen Familie (Stand: April 2024) genannt. Das Geld sei vom Orden in Anerkennung des Leids bezahlt worden: "Dazu kommen noch Therapiekostenerstattungen in fünfstelliger Höhe und zusätzlich erhebliche Kosten für Beratung, Aufwandsentschädigung und Reisekosten." (KNA)
23. August 2024, 16.40 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Betroffenenbeirats (6. Absatz neu).