Crimetime im Mittelalter: Warum so viele Bischöfe zu Mordopfern wurden
"Tastet meine Gesalbten nicht an, tut meinen Propheten nichts zuleide!", heißt es in Psalm 105,15. Diese Worte sollten Geistliche eigentlich schützen, doch blieben sie nicht mehr als eine fromme Ermahnung. Denn im mittelalterlichen Deutschland wurden außergewöhnlich viele Bischöfe ermordet. Der britische Mittelalterhistoriker Graham A. Loud hat 30 tote Bischöfe zwischen 900 und 1300 gezählt.
In seinem jüngst veröffentlichen Aufsatz in einer Fachzeitschrift geht er davon aus, dass diese Zahl aber nur die Spitze des Eisbergs gewesen sei. Schließlich hätte es auch noch gescheiterte Mordversuche sowie weitere Gewalttaten gegen Kleriker gegeben. Loud geht der Frage nach, warum ausgerechnet in dieer Zeit so viele Bischöfe ermordet wurden.
Einen Bischof oder einen anderen hochrangigen Kleriker zu töten, galt als das Schockierendste aller Verbrechen – vergleichbar mit dem Mord an den eigenen Eltern oder dem Herrscher, sagt der Historiker. Und ergänzt: Natürlich seien die kirchlichen Strafandrohungen von Klerikern zu ihrem eigenen Schutz gemacht worden; sie stellten ein Ideal dar, das keineswegs in der Praxis beachtet worden wäre.
Willkürliche Morde, Querelen nach Bischofswahlen
Warum wurden Bischöfe also ermordet? Einige wurden Opfer von willkürlicher Gewalt. Umstrittene Bischofswahlen, die in anderen Ländern zu langen juristischen Disputen führten, wurden im Heiligen Römischen Reich gelegentlich anders gelöst: Als eins von mehreren Beispielen führt der Historiker Loud Erzbischof Anno II. von Köln an. Er wollte 1066 seinen Neffen Kuno als Erzbischof von Trier gegen den örtlichen Widerstand durchdrücken. Damit schrieb er dessen Todesurteil, ohne es zu wissen. Denn noch bevor Kuno in sein Amt eingesetzt werden konnte, wurde er überfallen und brutal ermordet. Diese "Lösung" wurde aber nach Ansicht des Historikers ab Mitte des 13. Jahrhunderts bei umstrittenen Bischofswahlen immer seltener umgesetzt.
Gefährlich für das Wohlergehen der Bischöfe waren auch die unsicheren Loyalitäten der Städter. Spätestens im 13. Jahrhundert hatten verschiedene Bischöfe mit Aufständen in den Städten ihres Herrschaftsbereiches zu kämpfen. Aber schon vorher ging es gelegentlich übel aus, wie der Historiker feststellt.
Er berichtet von Burchard II. von Halberstadt, der im April 1088 ermordet wurde, als es zum Kampf zwischen seinen Rittern und den Bewohnern von Goslar kam. Oder von Arnold von Selenhofen. Der Erzbischof von Mainz wurde im Juni 1160 während eines dortigen Aufstands ermordet, als er Zuflucht in einem Kloster suchte, das die Aufständischen dann anzündeten.
Die Ermordung des Kölner Erzbischofs Engelbert von Berg am 7. November 1225 sandte wegen der besonderen Umstände Schockwellen durch das mittelalterliche Deutschland. Denn der Mörder, Friedrich von Isenberg, war ein Cousin des Erzbischofs; zudem waren die beiden Brüder des Mörders die Bischöfe von Osnabrück und Münster. Bei Letzteren vermutete man zumindest ein Mitwissen, meint der Historiker.
Der Mönch Cäsarius von Heisterbach schrieb im Auftrag von Heinrich von Müllenark – Engelberts Nachfolger als Erzbischof von Köln – eine fromme Biografie des ermordeten Engelbert. Für den Mittelalterforscher ist das Ausnahme; nur wenige der rund 30 ermordeten Bischöfe hätten eine solche Würdigung erhalten.
Opfer und Täter
Im übrigen sei auch keiner von ihnen heiliggesprochen worden – trotz ihres gewaltsamen Todes, der sie vielleicht als Märtyrer qualifiziert hätte. So wurde Engelbert von Berg zwar seit 1618 im Erzbistum Köln als Heiliger verehrt, ohne allerdings offiziell zur Ehre der Altäre erhoben worden zu sein.
Ein weiterer Grund, warum eine überraschend hohe Zahl an Bischöfen einen gewaltsamen Tod fand, sieht der Historiker in ihrer familiären Herkunft begründet. Weil die Bischöfe im damaligen Heiligen Römischen Reich aus den höchsten Gesellschaftsschichten stammten, waren sie häufig in Fehden verwickelt, die zu Mord und Totschlag führen konnten. Deshalb waren Bischöfe Opfer, aber mitunter auch Täter, so die Erkenntnis des britischen Historikers.
Für Morde an Bischöfen waren harte Strafen vorgesehen. Tatsächlich kamen die Täter meist glimpflich davon, stellt Loud fest. Nicht immer seien sie überhaupt bestraft worden. Eine Ausnahme war Friedrich von Isenberg, der Mörder des Erzbischofs Engelbert: Er wurde gerädert und seine Brüder ihres Amtes als Bischof enthoben.