Schwester Elisabeth Muche über das Sonntagsevangelium

Macht Gott wirklich alles gut?

Veröffentlicht am 07.09.2024 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
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München ‐ Eine einzige Heilung und die Menschen feiern bereits den Beginn einer neuen Zeit der Gottesnähe? Diese Begeisterung irritiert Schwester Elisabeth Muche in einer Welt voller Leid – doch sie öffnet sich dem Sonntagsevangelium und lässt sich auf eine verwandelnde Begegnung mit Jesus ein.

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Es klingt verheißungsvoll, was die Leute am Ende des heutigen Sonntagsevangeliums über Jesus sagen. Da ist also einer, der alles gut macht. Der die Kriege beendet, Gerechtigkeit schafft, für Sicherheit sorgt und alle offenen Fragen klärt? Der die Welt wieder in Ordnung bringt? Immerhin ist es Jesus, der gleich zu Beginn des Evangeliums nach Markus mit dem Versprechen antritt: "Das Reich Gottes ist nahe." (Mk 1,15) Diese andere Wirklichkeit, in der alles gut ist.

"Er hat alles gut gemacht", rufen die Menschen. "Er macht, dass Taube hören und Stumme sprechen." Ach. Ist das alles? Kein Krieg ist beendet, keine Gefahr verbannt, kein Recht erkämpft. Und dennoch schreiben die Leute diesem Jesus die Macht zu, alles gut zu machen… Weil er zwei Ohren geöffnet und eine Zunge gelöst hat.

Um zu begreifen, woher die Wucht dieser Tat kommt, versetze ich mich in diesen Taubstummen hinein: Da ist ein Dröhnen auf den Ohren. Ein Lärm, der die Gedanken nach innen drückt. Ein Rauschen, das den Klang verschluckt und Inhalte verwäscht. Und da ist eine Zunge, die am Gaumen klebt, ihre Arbeit verweigert. Die feststeckt im Zweifel, was jetzt noch zu sagen ist. Gedanken und Gefühle verstummen an der Innenseite meiner Lippen. Mein Herz befindet sich im Belagerungszustand.

Einer nimmt mich beiseite, weg von der Menge, den Stimmen, von dem Lärm. Er berührt mich an Ohren und an Zunge. Laute werden wieder unterscheidbar, Töne, Worte, Aussagen dringen bis zu mir durch und ich höre hin. Es löst sich meine Zunge. Dinge bekommen einen Namen. Was mich bewegt, was ich eigentlich sagen wollte, was mir im Herzen brennt, das sage ich. Ich treffe auf Ohren, die hören, was ich sage, ohne schon längst zu wissen, was ich meine. Und auf Worte, die antworten ohne Agenda. Und irgendwo zwischen uns passiert etwas. Etwas Gutes.

Taube hören und Stumme sprechen. Das ist, glaubt man dem Markusevangelium, diese andere Wirklichkeit, in der alles gut ist. Das Reich Gottes ist da, wo Menschen sprechen und hören. Mit Gott und miteinander. Gott selbst macht es vor: Gott spricht – und Leben entsteht (Gen 1); Gott hört – und beendet die Sklaverei (Ex 2); Gott spricht das eine Wort in die Welt – und die Finsternis verliert ihre Macht (Joh 1).

Bei der Rückkehr in die Menge spüre ich noch die Berührungen an Ohren und Mund. Sie sind die Erinnerung, dass mitten im Lärm und im Gewirr der Stimmen Gott will, dass ich spreche und Gott will, dass ich höre. Gott öffnet und löst meine Zunge und nimmt mich in Verantwortung. Mein Sprechen und mein Hören gehören nicht mir allein. Sie sind Teil von Gottes Idee einer Wirklichkeit, in der letztendlich alles für alle gut ist. Unterwegs dahin darf ich mir sicher sein, dass Gottes Geist sich in jedes Gespräch einschaltet, in dem wir einander Ohren öffnen und Zungen lösen.

Evangelium nach Markus (Mk 7,31–37)

In jener Zeit verließ Jesus das Gebiet von Tyrus und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekápolis. Da brachten sie zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, er möge ihm die Hand auflegen.

Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Éffata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.

Jesus verbot ihnen, jemandem davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr verkündeten sie es. Sie staunten über alle Maßen und sagten: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.

Die Autorin

Schwester Elisabeth Muche gehört zur Kongregation der Helferinnen, ist in der Geistlichen Begleitung tätig und arbeitet als Psychotherapeutin in Ausbildung in München.

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