Chefin von Theologinnen-Netzwerk: Am Ende muss sich auch Rom bewegen
1998 haben sich katholische Theologinnen zu einem Verein zusammengeschlossen: "AGENDA" hat sich zum Ziel gesetzt, die wissenschaftliche Arbeit von Theologinnen sichtbar zu machen, ihre Situation in Kirche und Gesellschaft zu verbessern und ihre Interessen zu vertreten. Fünf Jahre lang stand die Bochumer Dogmatikerin Gunda Werner an der Spitze des Vereins. In ihre Amtszeit hat sie mit AGENDA Studien zur Präsenz von Frauen in Fachzeitschriften und auf Konferenzen und zu den Erfahrungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit dem "Nihil obstat", der kirchlichen Unbedenklichkeitserklärung für Theologielehrende, veröffentlicht und damit Debatten geprägt. Nun tritt sie ab. Nach fünf Jahren gibt sie den Vorsitz des Vereins ab, am Mittwochabend wird ihre Nachfolgerin gewählt. Im Interview mit katholisch.de spricht Werner über Erfolge und Strategien – und warum man heute nicht mehr an den Theologinnen vorbei kommt.
Frage: Frau Professorin Werner, seit 2019 waren Sie die Vorsitzende von AGENDA. Was ist Ihre Bilanz nach fünf Jahren?
Werner: Es ist möglich, mit viel Hartnäckigkeit und viel Energie in der katholischen Öffentlichkeit, und manchmal auch darüber hinaus, Themen zu setzen. Je prominenter die Themen aufgegriffen werden, desto eher wird es auch außerhalb von Kirche wahrgenommen und kommen journalistische Anfragen. Wichtig in den fünf Jahren waren verschiedene Studien, eine stärkere Repräsentation in kirchlich-wissenschaftlichen Gremien, mehr Öffentlichkeit. Wichtig wird werden, über die Frauenthemen- und verbände sich zu vernetzen: So haben wir uns z.B. in diesem Jahr stärker vernetzt mit anderen katholischen Vereinen und Verbänden, um gemeinsam strategisch an einer diskriminierungsfreien Kirche zu arbeiten: die großen Frauenverbände sind dabei, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, "Out in Church", wo ich weiterhin im Vorstand bin, weitere Verbände und wir als AGENDA natürlich. Mit diesem Netzwerk können wir laut werden und Druck machen, um gemeinsame Anliegen voranzubringen.
Zur Person
Gunda Werner ist seit 2018 Professorin für Dogmatik, zuerst in Graz, seit 2022 in Bochum. Dort hat sie den Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte inne. Seit 2019 ist sie Vorsitzende des Forums katholischer Theologinnen AGENDA. Nach fünf Jahren gibt sie den Vorsitz ab.
Frage: Ein Beispiel ist Ihre Studie zur Präsenz von Frauen in theologischen Zeitschriften und auf Konferenzen. Was hat die bewirkt?
Werner: Damit konnten wir zeigen, dass es nicht nur ein Gefühl ist, dass Frauen unterrepräsentiert sind, sondern dass sich das mit Zahlen belegen lässt. Wir haben wochenlang Zeitschriften ausgewertet. Intern haben wir das "Frauenzählen" genannt. Das war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt: Seit wir diese Studie veröffentlicht haben, kommt man nicht mehr darum herum, aktiv Frauen anzufragen. Wir haben zudem die Argumente, dass Frauen ja immer absagen, in einem Beitrag auf feinschwarz entkräftet, es ist eine eigene Ausgabe einer Open-access-Zeitschrift zu dem Thema erschienen. Wichtig war mir auch die Studie zum Nihil-obstat-Verfahren. Dafür habe ich meine ganze Amtszeit über gekämpft.
Frage: Mit wem mussten Sie kämpfen? War das intern umstritten?
Werner: Intern überhaupt nicht, da war immer klar, dass es so eine Studie braucht. Wir wissen alle von Berufungsverfahren, in denen das "Nihil obstat" für Frauen zum Problem wird. Viele davon sind irgendwann auch auf meinem Schreibtisch gelandet, weil sich Frauen an mich wenden und um Unterstützung bitten. Kämpfen musste ich bei den Playern, um die es am Ende geht oder die an hochschulpolitischen Prozessen beteiligt sind: in den Kontexten von Bischofskonferenz und Fakultätentag haben wir immer wieder debattiert, ob und wie eine solche Studie überhaupt durchführbar ist.
Frage: Aber am Ende konnten Sie die relevanten Player doch überzeugen?
Werner: Wir als AGENDA haben irgendwann gesagt: Ja, wir machen das jetzt einfach, wir hatten die Unterstützung durch das Zentrum für angewandte Pastoralforschung in Bochum, und ansonsten haben wir nur den E-Mail-Verteiler vom Fakultätentag bekommen, um alle Professor*innen zu erreichen und natürlich unsere eigenen Verteiler. Auch das gehört zu den Lernerfahrungen: überzeugen und wenn es nicht geht, es mit anderen Verbündeten tun (und Gegenwind aushalten, wenn es erfolgreich ist).
Frage: Für das "Nihil obstat" sind Bischöfe und das Bildungsdikasterium im Vatikan zuständig. Wie wurde da die Studie aufgenommen?
Werner: Aus dem Bildungsdikasterium habe ich noch nichts gehört. Von der zuständigen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz gibt es dazu auch keine offizielle Rückmeldung und keinen offiziellen Kontakt. Beim Katholischen Fakultätentag (KTF) 2024 wurde die Studie von Miriam Zimmer (zap) und mir vorgestellt und sehr engagiert debattiert, und da war auch Weihbischof Hegge dabei, der stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftskommission der DBK. Hier gab es dann auch eine Stellungnahme des KTF.
Frage: Am Nihil-obstat-Verfahren hat sich seither nichts geändert. Hatte die Studie auch praktische Auswirkungen? Müssen Sie immer noch dem wissenschaftlichen Nachwuchs davon abraten, kontroverse Themen zu bearbeiten?
Werner: Ich persönlich berate immer noch in diese Richtung. Eine Debatte hier in Deutschland ist nur der erste Schritt und ändert noch nichts an der individuellen Situation. Wenn zu mir junge Theolog*innen kommen und um Rat bitten, dann empfehle ich weiterhin, sich den Fragen, die in Rom unter Ideologieverdacht stehen – also zum Beispiel alles, was mit Gender zu tun hat – mindestens vorsichtig und fragend zu nähern. Die Debatte wird aber immer lauter geführt. Selbst der Deutsche Wissenschaftsrat hat das Thema im Rahmen Gutachten des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung der Genderforschung an den Universitäten aufgenommen und darauf hingewiesen, dass der Umgang der Kirche mit ihren Unbedenklichkeitserklärungen für Professor*innen eine Behinderung für die Forschung darstellt. Da würde ich schon erwarten, dass sich zumindest unter den deutschen Bischöfen der Konsens entwickelt, dass man etwas tun muss. Aber selbst für diesen unwahrscheinlichen Fall würde es nicht ausreichen, wenn sich die deutschen Bischöfe darauf einigen würden, kein Nihil obstat aufgrund persönlicher Lebensumstände oder aufgrund von Forschungsthemen oder Geschlecht mehr zu verweigern: Am Ende muss sich auch Rom bewegen.
Frage: Eine Gelegenheit dafür wäre die anstehende Anwendung des neuen katholischen Hochschulrechts auf die deutsche akademische Situation. Dazu wird gerade ein Akkomodationsdekret ausgehandelt. Stichwort "Frauenzählen": Wie viele Frauen verhandeln daran mit?
Werner: Das weiß ich nicht. Ich kenne keine Frau, die mitverhandelt.
Frage: AGENDA wurde also auch nicht gefragt?
Werner: Nein.
Frage: Wie werden Sie generell wahrgenommen? Sind Frauenthemen für die Entscheider in der Kirche unwichtiges Gedöns? Sind Sie einsame Ruferinnen in der Wüste?
Werner: Da hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich einiges verändert. AGENDA ist mittlerweile eine bekannte Größe. Beim Konsultationsprozess zur Zukunft der Theologie, der gerade seitens der DBK-Kommission stattfindet, werden wir selbstverständlich beteiligt. Gerade entsteht eine qualitative Studie zum theologischen Nachwuchs. Auch da arbeiten wir mit. Die Entscheidung hierfür geht auch auf die Präsentation unserer Studie zur Präsenz von Frauen, die ich in der Wissenschaftskommission vorgestellt habe, zurück. Da konnte ich schon ein Problembewusstsein dafür erzeugen, etwa dafür, dass überproportional viele Frauen in der katholischen Theologie ihre Promotion abbrechen, mehr als in anderen Fächern – dabei bekommen auch Germanistinnen Kinder und bringen ihre Promotion trotzdem zu Ende, wie die Kasseler Professorin Ilse Müllner einmal sehr treffend feststellte.
Frage: Wie sieht es mit Ihrem Nachwuchs als Verein aus? Welche Bedeutung hat AGENDA für junge Theologinnen?
Werner: AGENDA wurde 1998 gegründet, weil Frauen in der Theologie nicht diese Seilschaften und Netzwerke hatten, auf die Männer zurückgreifen konnten. Dieser Netzwerkgedanke trägt AGENDA seit nunmehr 26 Jahren. 2019 hat sich die Junge AGENDA gegründet, wo sich mittlerweile über 100 junge Theologinnen vernetzen. Unsere Mitgliederzahlen steigen, weil es offensichtlich ist, dass es gute Netzwerke braucht, dass wir uns gegenseitig unterstützen müssen. Die stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit hat uns dabei geholfen.
„Als es nur Männer auf Lehrstühlen gab, hat auch niemand gefragt, wie das jetzt mit der Qualität sei, wenn das Geschlecht "Mann" anscheinend Berufungsvoraussetzung ist.“
Frage: Werden Frauennetzwerke als Bedrohung des Status quo wahrgenommen?
Werner: Ich höre ständig das Argument, dass angeblich die am stärksten diskriminierte Gruppe in der Theologie männliche Laien sind: Priester haben die Priesterquote, Frauen die Frauenquote, nur für die männlichen Laien gibt es nichts, und um Qualität gehe es gar nicht mehr. Das kann man aber ganz einfach mit einem Blick auf die Zahlen widerlegen. Es ist ja nicht so, dass unter den Laien nur noch Frauen auf Lehrstühle berufen würden, im Gegenteil, in vielen Fächern sind sie immer noch die Ausnahme. Als es nur Männer auf Lehrstühlen gab, hat auch niemand gefragt, wie das jetzt mit der Qualität sei, wenn das Geschlecht "Mann" anscheinend Berufungsvoraussetzung ist. Dies sind die bekannten Marginalisierungsstrategien, die in der Wissenschaft hinlänglich erforscht sind. Es wird wahrgenommen, dass wir gut vernetzt sind, dass wir uns zu Wort melden. 2019 war die Devise des Vorstands: Wir werden nicht mehr schweigen. Das haben wir die Jahre hindurch ebenso durchgetragen, wie es die Vorstände vor uns getan haben.
Frage: Auch die Frauenbewegung wandelt sich. Oft gibt es Konflikte zwischen Frauen aus der zweiten Welle des Feminismus, denen es um die Beseitigung von Diskriminierung spezifisch von Frauen geht, und der dritten Welle, die Diskriminierung auch unter dem Blickwinkel der Diversität in den Blick nimmt. Wie wird das in der AGENDA diskutiert, wo unterschiedliche Generationen von Frauen aufeinandertreffen?
Werner: Da entwickelt sich gerade einiges. Bei der Nihil-obstat-Studie haben wir zum ersten Mal in diesem Kontext das Geschlecht der Teilnehmenden so abgefragt, dass auch die geschlechtliche Identität angegeben werden konnte: Man konnte also "divers" ankreuzen – und das haben tatsächlich auch einige Professor*innen getan. Ohne diese Möglichkeit hätten wir schlicht nicht erfahren, welche Diversität es unter Professor*innen jetzt schon gibt. Themen aus der dritten Welle des Feminismus werden, denke ich, in Zukunft auch eine wichtige Rolle spielen: Können wir weiterhin eine Satzung haben, in der nur steht, dass "Frauen" Mitglied werden können? Wird das der realen Vielfalt gerecht? Das wird eine kontroverse Debatte und sie zu führen ist an der Zeit.
Frage: Nach fünf Jahren geben Sie den Vorsitz ab. Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin mit?
Werner: Hartnäckig bleiben, Netzwerke bilden und gemeinsame Themen suchen ist das Wichtigste. Es braucht Humor und Rückhalt, um Projekte voranzubringen und nicht zu verbittern, weil in der Kirche sich alles nur so langsam verändert.