"Nihil obstat": Wir müssen weg von Intransparenz und Machtmissbrauch
Vor dem Theologielehrstuhl steht das Nihil obstat: Die Kirche will mit einer Unbedenklichkeitserklärung feststellen, ob ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin im persönlichen Leben wie in der Forschung die Lehre der Kirche lebt und vertritt. Das Verfahren, mit dem die Lehrerlaubnis erteilt wird, ist intransparent: Wo Probleme liegen, was man besser nicht erforscht und wer eigentlich alles mitentscheidet, ist unklar. Unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs herrscht ein Klima der Angst – lange war das nur als Gefühl und über Anekdoten greifbar. Erstmals hat eine Studie im Auftrag des Theologinnennetzwerks AGENDA nun auf der Grundlage von empirisch erhobenen Daten Probleme des Verfahrens offengelegt. Im Interview berichtet die Bochumer Dogmatikprofessorin Gunda Werner, die Vorsitzende von AGENDA, von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Nihil obstat – und welche Auswirkungen es in Forschung und Lehre hat.
Frage: Frau Professorin Werner, als Lehrstuhlinhaberin haben Sie selbst ein Nihil-obstat-Verfahren durchlaufen. Wie haben Sie das erlebt?
Werner: Ich gehöre zu denen, die sehr viel Glück gehabt haben. Mein eigenes Nihil-obstat-Verfahren habe ich als ausgesprochen unproblematisch erlebt: Ich habe es in sehr kurzer Zeit bekommen, innerhalb weniger Wochen. Der zuständige Bischof hatte es intensiv und transparent vorbereitet, die von ihm eingeholten Gutachten über mich durfte ich auch teilweise einsehen. Sobald das Nihil obstat dann da war, habe ich es zugeschickt bekommen. Aber natürlich stand für mich die Frage im Raum, ob ich es bekomme oder nicht. Die Unsicherheit ging so lange mit, bis ich es schwarz auf weiß in der Hand hatte.
Frage: Eine lange und erfolgreiche wissenschaftliche Qualifikationsphase, und dann hängt alles an einer einzigen Entscheidung.
Werner: Der Weg zur unbefristeten Professur ist an sich ja bereits lang. Da gibt es viele Punkte, die anstehen: Die Dissertation muss geschafft werden, die Habilitation, man muss eingeladen werden zum "Vorsingen" für eine Professur, man muss überzeugen und in die externe Begutachtung kommen, externe Gutachten müssen so sein, dass man in die nähere Auswahl kommt, die Berufungskommission muss überzeugt sein ...
Frage: Die offizielle Lesart ist, dass das Nihil obstat eine Qualifikation des Verfahrens ist: So soll die Kirchlichkeit der Theologie sichergestellt werden.
Werner: Mit dem Nihil obstat kommen außerakademische Kriterien in Spiel. Dies ist in der Debatte zur Studie, die auf dem Fakultätentag stattgefunden hat, sehr deutlich gemacht worden. Die Kirchlichkeit der Theologie ist nach den jetzt geltenden Normen zum Beispiel am vorbildlichen Leben, der Echtheit der Lehre oder auch der vollen Gemeinschaft mit dem authentischen Lehramt der Kirche zu erkennen. (II., 10.) Gerade die Debatten auf den und um den Synodalen Weg haben gezeigt, dass die Erkenntnis des Zweiten Vatikanischen Konzil, dass es eine Hierarchie der Wahrheiten (UR 11) gebe, durchaus hilfreich sein kann. Nicht alle Wahrheiten stehen auf derselben Hierarchiestufe. Das könnte man auch auf die Theologie und das Nihil-obstat-Verfahren anwenden, denn theologische Forschung weiß um manche Zeitbedingtheiten, auch von lehramtlichen Entscheidungen. Vielleicht könnte das vorbildliche Leben und die Verbundenheit mit dem Lehramt sich stärker an den frühkirchlichen Konzilien ausrichten, in denen es um die Gottesfrage und das Verstehen Gottes ging. Mit einer solchen Fokussierung auf die Kernbestände des christlichen Glaubens könnte man mit dem Nihil-obstat-Verfahren deutlich gelassener umgehen. In unserer Studie haben jene Befragten, die im Verfahren wegen der Inhalte ihrer Forschung Nachfragen gestellt und Beanstandungen ausgesprochen wurden, deutlich gemacht: Beanstandungen und Rückfragen gab es auch schon allein deshalb, weil man bestimmte Dinge erforscht hat, die als kritisch angesehen wurden. Da würde es der Theologie sehr guttun und einer "Kirchlichkeit" der Theologie keinen Abbruch tun, die Lehre des Zweiten Vatikanums zur Hierarchie der Wahrheiten ernster zu nehmen. Man könnte natürlich auch anders fragen: die Themen, die beanstandet werden, scheinen gegenwärtige Kernthemen zu treffen …
Frage: Praktisch scheint die Hierarchiepyramide der Wahrheiten umgedreht zu sein: Ganz oben steht alles, was mit Sexualität und Geschlecht zu tun hat und wie man damit im persönlichen Leben und in der Forschung umgeht.
Werner: In der Tat scheinen die Forschung zu Genderthemen, zur Rolle der Frau in der Kirche, zu Ökumene und interreligiösem Dialog und natürlich auch Ethik, insbesondere Sexualmoral zu Rückfragen zu führen. Benannt wurden aber auch bestimmte Zugänge zur Theologie oder auch Christologie oder Offenbarungstheologie. Hier würde es sich lohnen, weitere Forschungen anzuschließen. Allerdings gibt es auch einen großen Rücklauf zur Frage "Sonstiges". Hier haben 30,6 Prozent derer, die Beanstandungen oder Rückfragen erlebt haben, die kirchenpolitische Positionierung, aber auch akademische Angelegenheiten oder die Religiosität der Familie angegeben. Immerhin 16,3 Prozent geben die Lebensform als Grund der Rückfragen oder Beanstandungen an.
Zur Person
Gunda Werner ist seit 2018 Professorin für Dogmatik, zuerst in Graz, seit 2022 in Bochum. Seit 2019 ist sie Vorsitzende des Forums katholischer Theologinnen AGENDA.
Frage: Es fällt auf, dass die Rückfragen und Beanstandungen im Lauf der Zeit weniger wurden. Ein Höhepunkt ist der Zeitpunkt von 1990 bis 1999. Wie erklären Sie das?
Werner: Nur 57 Prozent der Befragten, deren Verfahren in diese Zeit fällt, hatten keine Beanstandungen und Rückfragen, 26 Prozent hatten Beanstandungen. Das war die Zeit von Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation. Es war auch die unmittelbare Zeit nach der Kölner Erklärung von 1989, dem Memorandum "Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität". 1990 erschien die Theologeninstruktion "Donum veritatis" über die kirchliche Berufung des Theologen, 1994 das Apostolische Schreiben "Ordinatio sacerdotalis" über die Priesterweihe, die Männern vorbehalten ist. In den 1990er Jahren wurden auch erstmals deutlich mehr Laien und damit auch Frauen berufen – oder auch nicht, weil ihnen das Nihil obstat verweigert wurde. Die prominentesten Fälle aus dieser Zeit sind die Liturgiewissenschaftlerin Teresa Berger, die Ethikerin Regina Ammicht Quinn, der systematische Theologie Eugen Drewermann. Inhaltlich hielten die Auseinandersetzungen über Befreiungstheologie an, hinzu kamen vermehrte Auseinandersetzungen über feministische Theologie, später auch über Genderfragen. Was heute in der katholischen Kirche als "Genderideologie" bekämpft wird, hat seinen Vorlauf in der UN-Konferenzen in Kairo und seinen Ursprung in der Frauen-UN-Konferenz in Beijing Mitte der 1990er, in denen es erst um Bevölkerungswachstum (Kairo) und dann um die Gleichberechtigung der Frau (Beijing) ging. Gerade Beijing hat eine vatikanische Reaktion ausgelöst, die bis heute wirkt. Alles in allem scheint es in den 1990er Jahren eine große Nervosität, einen hohen Kontrollwunsch als Reaktion auf den Kontrollverlust kirchlicher Deutungshoheit in theologischer Wissenschaft gegeben zu haben.
Frage: Die Studie zeigt, dass Frauen kritischer behandelt werden. Sind diese inhaltlichen Fragen da schon erschöpfend, um das zu erklären, oder gibt es noch weitere Gründe?
Werner: Dass Frauen mehr Rückfragen und Beanstandungen erhalten, war bisher immer nur ein Gefühl. Jetzt können wir das mit Zahlen belegen, dass es ein signifikanter Unterschied ist. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 70,4 Prozent der Frauen, aber 77,3 Prozent der Männer und 86,5 Prozent der Priester keine Beanstandungen oder Rückfragen bekommen haben. Frauen haben mit 14,8 Prozent die meisten Beanstandungen kommen, ebenso viele Rückfragen, Männer zum Beispiel nur 6,2 Prozent Beanstandungen und 16,2 Prozent Rückfragen, bei den Priestern waren es 10,8 Prozent Beanstandungen und 2,7 Prozent Rückfragen. Ich sehe zwei Gründe, und beide sind systemisch: Zum einen liegt es daran, dass die katholische Kirche von einer sehr spezifischen Anthropologie ausgeht, die es Frauen nicht unbedingt leichter macht als Männern, sich in einem öffentlichen Feld vorurteilsfrei zu bewegen. Zum anderen werden bestimmte Themen stärker mit Frauen verbunden und bisher auch von ihnen erforscht: Theologische Frauenforschung wird in der Regel auch von Frauen betrieben. In anderen Fächern gibt es diesen Überhang auch, aber in der Theologie forschen immer noch vor allem Frauen zu Geschlechterthemen. Beide Faktoren kommen zusammen und verstärken sich noch gegenseitig. Frauen forschen zu bestimmten Themen, weil sie selbst betroffen sind, und das trifft auf ein System, das strukturell frauenfeindlich ist. Frauen erforschen Themen, die für das System kritisch sind – und stehen damit unter Generalverdacht.
Frage: Wie gehen Sie als Hochschullehrerin damit um? Raten Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen auch von bestimmten Themen ab, wie es laut der Studie viele tun?
Werner: 41 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu oder eher zu, dass die Nachwuchswissenschaftler:innen raten, kritische Themen nicht zu bearbeiten, also Themen, bei denen man ahnt oder weiß, dass sie für das Nihil obstat schwierig werden könnten. In meiner eigenen Praxis mache ich das auch so. Das heißt nicht, dass "kritische" Forschung ganz unterbleibt. Aber man muss sehr genau überlegen, wie man die Ergebnisse so formuliert, dass es keine Schwierigkeiten geben könnte. Mir selbst wurde geraten, dass ich meine Habilitation lieber nicht über Judith Butler schreiben soll. Da war der Rat ganz klar: Judith Butler und Dogmatik, das geht nicht. Und dann habe ich das auch gelassen.
Frage: Was macht das mit Menschen, wenn wissenschaftliche Forschung so unter Beobachtung steht?
Werner: Die Studie kommt hier zu, wie ich finde, dramatischen Ergebnissen: Obwohl in den letzten Jahren die Beanstandungen und Rückfragen rückläufig sind, fühlen sich 75 Prozent der jüngeren Kohorten (1981 und jünger) und immerhin noch 50 Prozent der Kohorten 1976 bis 1980 durch das Nihil obstat in ihrer Wissenschaft und Privatleben negativ beeinflusst. Dies sollte wirklich zu bedenken geben. Hier scheint sich das Nihil-obstat-Verfahren tief in das kulturelle Gedächtnis festgesetzt zu haben.
Frage: Wie geht es dann weiter, wenn das Nihil obstat erteilt ist: Hat man dann die Schere im Kopf verinnerlicht, oder fallen die Scheuklappen ab und man forscht endlich frei?
Werner: Vor allem bleibt die Verantwortung für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Natürlich kann man selbst viel freier agieren, aber man hat immer die eigenen oder fremden Erfahrungen im Hinterkopf und will nicht, dass die eigene Forschung oder kirchenpolitische Positionierung negative Auswirkungen auf die Nachwuchswissenschaftler:innen im Blick auf ein mögliches Nihil obstat hat. Die Auswirkung des Nihil obstat zeigt die Studie eindrucksvoll.
Frage: Regina Elsner hat das jüngst sehr pointiert anhand ihres eigenen Verfahrens beschrieben und von "kirchlichem Machtmissbrauch" gesprochen. Sehen Sie das auch so?
Werner: Ich würde ihr zustimmen. Von denjenigen, die Beanstandungen oder Rückfragen erhalten haben, haben nur 26 Prozent die vollständigen Informationen darüber erhalten. Alle anderen waren darauf angewiesen, dass ihnen bruchstückhaft Informationen auf informellen oder anderen Wegen weitergegeben werden. Das alleine ist schon eine vermachtete Situation. Deutlich ist auch, wie Einwände gelöst werden: 78 Prozent der Fälle wurden als "sonstige Lösungen" kategorisiert. Das heißt: Es gibt kein standardisiertes, verlässliches Verfahren, um mit Bedenken umzugehen. Lösungen auf informellem Weg zu finden, heißt, man braucht die richtigen Kontakte, ist darauf angewiesen, dass jemand aus dem intransparenten Verfahren Informationen weitergibt. Dass jemand Interesse hat, sich einsetzt. Dies ist alles eine Situation, in der die Person abhängig wird, ohne dass es klare Verfahrensregeln gibt.
Frage: An zweiter Stelle nach den informellen Lösungen kommt die Publikation eines Artikels mit einer Korrektur der eigenen Position. Das klingt auch mehr nach Macht als nach Wissenschaft.
Frage: Ich möchte nicht in der Haut derer stecken, die das tun müssen. Man erklärt dann in einem Artikel, dass man das Beanstandete eigentlich nicht so gemeint hatte und man zum Beispiel lediglich auf Grundlage der Lehre der Kirche eine weiterführende Frage stellen wollte. Und wenn man dann diesen Widerruf geschrieben hat, stellt sich die Frage, ob man ihn noch rechtzeitig für das Verfahren irgendwo publizieren kann. Die Studie zeigt auch, dass es Menschen gab, die dies nicht tun wollten und damit keinen Weg auf eine Professur gehen konnten.
Frage: Wie kann man dieses Verfahren dann verbessern? Reicht Transparenz?
Werner: Transparenz braucht es auf jeden Fall, auf allen Ebenen. Die Verfahrensschritte müssten standardisiert werden, es muss klar sein, wie gerade der Verfahrensstand ist, welche Fristen es gibt, und was passiert, wenn eine Instanz die Fristen nicht einhält. Wer vor der Frage eines Nihil obstat steht, wurde schon mehrfach durchgeprüft: Schon für die Promotion braucht es die Zustimmung des Bischofs, für die Habilitation werden noch einmal alle formalen Voraussetzungen zur Erlangung des akademischen Grades, zur eigenen Kirchlichkeit und zur nötigen pastoralen Erfahrung geprüft. Das liegt alles in irgendwelchen Akten, auf die man zurückgreifen könnte, um dann das Nihil-obstat-Verfahren zu beschleunigen. Vermutlich wäre aber auch eine Offenheit mit einem Nihil-obstat-Problem ein Teil der Transparenz, um das Tabu zu brechen.
Frage: Und wie kommt man da hin?
Werner: Jetzt wird langsam die Kritik laut, die durch unsere Studie auch empirisch unterfüttert ist. Lange hieß es, man soll das bloß nicht thematisieren, bloß keinen Druck auf den Bischof ausüben, bloß keine Öffentlichkeit herstellen. Ich finde aber, es muss gerade über die Probleme des Verfahrens gesprochen werden. Probleme mit dem Nihil obstat zu haben, darf nicht etwas sein, über das man beschämt schweigt. Das treibt Menschen in die Vereinzelung. Es lässt das Gefühl entstehen, dass mit der Person etwas nicht stimmt. Ein systemisches Thema und Problem wird personalisiert. Die Freitextantworten in der Studie geben hierzu ein beredtes Zeugnis.
Frage: Wie geht es jetzt weiter mit der Studie? Einige offene Forschungsfragen wurden darin ja schon benannt.
Werner: AGENDA wird weiterhin auf die Probleme hinweisen, vor allem auf die besondere Belastung von Frauen durch das Verfahren. Wir kämpfen weiter für mehr Gleichberechtigung von Frauen in der Theologie. Ich hoffe, dass vor allem die Zeit der 1990er Jahre jetzt erforscht wird: Was hat dieses repressive Klima ausgelöst? Welche Folgen hatte das? Die Studie zeigt viele Ansätze, wo man noch vertieft qualitativ forschen könnte, und sie zeigt Probleme auf, die bei einer Reform des Verfahrens in den Blick genommen werden müssen. Deshalb hoffe ich, dass man über das Nihil obstat in Zukunft nicht mehr wird reden können, ohne diese Studie zu beachten.
Studie "Nihil Obstat: Verfahren und Auswirkungen"
Die Studie "Nihil Obstat: Verfahren und Auswirkungen" des Bochumer Zentrums für angewandte Pastoralforschung (zap) im Auftrag von AGENDA wurde Ende Januar vorgestellt. Für die Studie wurden Professorinnen und Professoren der katholischen Theologie nach ihren Erfahrungen mit der Erteilung des "Nihil obstat" befragt. Den Angaben zufolge haben sich 39 Prozent aller Theologieprofessoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz an der Umfrage beteiligt. Zwei Drittel der Verfahren seien ohne Beanstandungen und Rückfragen zu Ende gegangen. Zudem sei der Anteil der kirchlichen Einwände seit den 1990er Jahren stetig zurückgegangen. Die Studie stellt aber fest, dass das Verfahren diskriminiere, da mehr Frauen als Männer Rückfragen und Beanstandungen erhalten hätten. Besonders der wissenschaftliche Nachwuchs werde durch die Erfordernis einer kirchlichen Lehrerlaubnis beeinflusst.