Standpunkt

Gegen Anonymität in der Großstadt und für mehr Miteinander

Veröffentlicht am 16.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Gudrun Lux – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Krieg" in einer Münchner Straße? Gudrun Lux berichtet von einem umstrittenen verkehrspolitischen Projekt in der bayerischen Landeshauptstadt – und warum sie glaubt, dass es mehr Raum für Miteinander in Großstädten braucht.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Letztes Jahr gab es bundesweit Aufmerksamkeit für ein Projekt in einer Münchner Straße. "Es herrscht sowas wie Krieg", sagte eine Anwohnerin der Kolumbusstraße im ZDF. Krieg! Während in der nur 1.400 Kilometer Luftlinie entfernten Münchner Partnerstadt Kyjiw tatsächlich Bomben einschlagen, spricht hier jemand ganz unironisch davon, dass "sowas wie Krieg" herrsche in der Münchner Au.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Federführung der Technischen Universität hatten einen zeitlich klar begrenzen Verkehrsversuch gestartet. Forschungsaufgabe: "Wie muss urbane Mobilität im Quartier gestaltet sein, um den wachsenden Herausforderungen, wie Klimaveränderungen und sozialer Gerechtigkeit in einer immer dichter bebauten Stadt begegnen zu können?" Ein Teil der Kolumbusstraße wurde zur Aufenthaltsfläche. Wo zuvor Autos parkten, wurde Rollrasen ausgebracht, ein riesiger Sandkasten aufgestellt, es gab schattige Pavillons und Sitzbänke. Rasch saßen junge Eltern mit ihren Kleinkindern im Sandkasten, Nachbarn lernten einander kennen auf einer der Bänke, die nun vor der Haustür standen.

Doch das führte zu "sowas wie Krieg". Einer, der gar nicht in der Straße wohnt, reichte Klage ein. Die Projektgegner erzürnte, dass 40 Parkplätze – wohlgemerkt für wenige Monate – entfielen, außerdem klagten sie über Lärmbelästigung, "schreiende und brüllende Kinder" würden "unter dem Deckmantel des Klimawandels" nur "einen Meter" vor ein Wohnzimmer gesetzt, beschwerte sich eine Frau in der ARD.

Vor wenigen Tagen nun legten die Forscher gemeinsam mit der Kommune die Ergebnisse vor: Die Mehrheit der Anwohnenden zieht eine positive Bilanz und wünscht sich weitere Initiativen, um den öffentlichen Raum neu zu verteilen. Der Handlungsbedarf ist groß, die Stadt wird immer heißer, doch darüber hinaus: Es wird Menschen nicht gerecht, in einer "anonymen Großstadt" zu leben, sie wollen mehr Raum für Miteinander.

Was wir brauchen? Mehr Mut zum Miteinander und mehr Vertrauen. Eine wohlwollende Streitkultur und auch eine positive Fehlerkultur: Wer Bedenken hat, braucht Raum, um diese zu äußern. In unzähligen Runden setzten sich die Wissenschaftler mit Kritikern zusammen, besserten während des laufenden Projekts vielfach nach. Was wir auch brauchen: Mehr Toleranz und mehr Liebe zu den anderen Menschen, gerade denen, die akut nerven. Mithin: christliche Nächstenliebe. Ja, Kinder sind mitunter laut. Manche halten das für Kinderlärm. Andere für Zukunftsmusik.

Von Gudrun Lux

Die Autorin

Gudrun Lux ist Stadträtin (Grüne) in München und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.