Warum es eine Bibel in "Leichter Sprache" gibt
"Einige Leute geben euch eine Ohrfeige. Ihr sollt nicht zurückschlagen. Ganz im Gegenteil: Ihr sollt friedlich bleiben. Gott ist gut, auch wenn die Leute böse sind." Das ist ein Beispiel aus der Bibel in Leichter Sprache. Hier erklärt Jesus seinen Freunden, wie sie sich gut zueinander verhalten sollen. Diesen Text hat Schwester Paulis Mels in eigenen Worten aus der Einheitsübersetzung neu übertragen. Die Thuiner Franziskanerin ist unter anderem ausgebildete Heilpädagogin und war bis vor kurzem Schulleiterin der katholischen Sankt-Franziskusschule in Dingelstädt im Landkreis Eichsfeld. Seit einigen Jahren ist die Ordensfrau auch zertifizierte Übersetzerin für Leichte Sprache. Das Übertragen von Texten in eine einfachere und verständliche Sprache musste sie auch erst lernen, gibt die 67-Jährige zu. Und zwar so, dass sie Menschen mit Lese- und Lernschwierigkeiten gut verstehen können.
Aus ihrer eigenen Schulzeit weiß die Ordensfrau noch, wie einmal ein Mitschüler von einem Lehrer streng bestraft wurde, weil er eine Bibelstelle nicht richtig wiedergeben konnte. "Das war schlimm", erinnert sich Schwester Paulis, die zur Kongregation der Franziskanerinnen vom heiligen Martyrer Georg zu Thuine gehört. Als sie später Pädagogin wurde, wollte sie es anders machen. An der Franziskusschule in Dingelstädt arbeitete sie viele Jahre lang mit Menschen mit Beeinträchtigungen zusammen. Zum Teil waren ihre Schüler schwerstbehindert. Das war auch sprachlich eine Herausforderung, meint Schwester Paulis. Sie musste manche Sätze immer wieder wiederholen und sich noch einfacher ausdrücken. Bei Bibelstunden, Gruppenstunden oder Gottesdiensten, die die Ordensfrau für ihre Schüler damals vorbereitete, setzte sie sich intensiv mit den Bibeltexten auseinander, um diese in eigenen Worten wieder geben zu können. "Dazu musste ich erst einmal selbst verstehen, worum es in der Geschichte eigentlich geht", erklärt Schwester Paulis. Es sei gar nicht so einfach, Bibelgleichnisse zum Beispiel so anschaulich nachzuerzählen, ohne dass sie zu platt rüberkommen und ihr Sinn erhalten bleibt, so die Thuiner Franziskanerin. Ihre "Bibelübertragungen" kamen bei ihren Schülern gut an, erinnert sie sich. "Ich wollte vor allem die Frohe Botschaft der Bibel verkünden und das weitersagen, was Jesus gesagt hat."
Als die Franziskanerin dann vor rund zehn Jahren an der Hochschule in Nürnberg ein Aufbaustudium machte und Erziehungswissenschaften studierte, lernte sie Claudio Ettl vom Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg kennen. Ettl ist dort an der Akademie des Erzbistums Bamberg als Stellvertretender Direktor tätig und zuständig für den Bereich Theologie. Damals arbeitete Schwester Paulis studienbegleitend im Bereich der Erwachsenenbildung an der Akademie mit und veranstaltete zum Beispiel Kurse zum Thema Demenz, Inklusion oder franziskanischer Spiritualität. Als der ausgebildeter Bibelwissenschaftler von ihren Bibelübertragungen erfährt, ist er begeistert. Dann hatten die beiden die Idee, die Sonntagsevangelien in Leichte Sprache zu übertragen, um sie einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Weil Claudio Ettl enge Kontakte zum Bibelwerk in Stuttgart hatte, stellten die beiden ihre Idee dort vor. Von Anfang an unterstützte der Theologe und Referent des Bibelwerks Dieter Bauer das Projekt. Heute ist die Bibel in Leichter Sprache ein größeres Gemeinschaftsprojekt, das vom Stuttgarter Bibelwerk gemeinsam mit der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus und den Thuiner Franziskanerinnen getragen wird. Darauf ist Schwester Paulis schon ein wenig stolz. Seit 2013 gibt es das "Evangelium in Leichter Sprache" online und seit 2016 sogar in Buchform. Knapp 200 Texte wurden seither in Leichte Sprache übertragen. Darunter sind alle vier Evangelien für die Sonn- und Feiertage nach den drei Lesejahren. Zusätzlich zu den Texten sind Bilder, Kommentare, Audio-Dateien und Videos in Gebärdensprache abrufbar. Das Bibelprojekt zog immer weitere Kreise, denn seit 2023 werden ausgewählte Texte aus dem Alten Testament übertragen.
Man könne das Schwere auch leicht sagen, ist die Ordensfrau überzeugt
Das Übertragen der Bibeltexte ist für Schwester Paulis Mels schon eine Herausforderung, gibt die Franziskanerin zu. Man müsse exegetisch aufpassen, was man aus dem Text herauslesen und was man weglassen könne. Beim neuen Projekt zum Alten Testament, bei dem ein erweitertes Team aus Ehrenamtlichen mitwirkt, gibt es ebenfalls feste Regeln – auch wenn jeder seinen eigenen Stil beim Übertragen der Bibeltexte habe, berichtet die Franziskanerin. Leichte Sprache bedeutet zum Beispiel, dass die Sätze kurz und leicht verständlich formuliert sind, Namen und Orte oft wiederholt und Fremdwörter vermieden werden. Vieles, was den Text kompliziert macht, könne weggelassen werden, so die zertifizierte Übersetzerin in Leichte Sprache. Auch der Verzicht auf negative Formulierungen und "grausame Beschreibungen" ist Teil des Konzepts von Leichter Sprache. Man könne das Schwere auch leicht sagen, ist die Ordensfrau überzeugt, die sich wie Claudio Ettl seit Jahren ehrenamtlich für das Bibelprojekt engagiert. Genauso wie die Prüfleser. Denn um das Siegel "Leichte Sprache" für die Bibelübertragungen zu erhalten, wurden mehrere Prüflesegruppen eingerichtet, die die ersten Textentwürfe erproben.
Diese Lesegruppen sind Bewohner oder Mitarbeitende in verschiedenen Einrichtungen der Behindertenhilfe wie zum Beispiel der Sankt-Christophorus-Werkstatt im emsländischen Lingen. Dort werden die Texte gemeinsam gelesen oder vorgelesen und die Reaktionen darauf gesammelt. Anhand der Rückmeldungen werden die Bibelübertragungen korrigiert, umformuliert und verbessert und dann nochmals exegetisch und theologisch überprüft. Diese überarbeitete Version wird dann von Claudio Ettl noch einmal mit Barbara Reiser, einer Mitarbeiterin des Caritas-Pirckheimer-Hauses mit Down-Syndrom, auf Verständlichkeit hin geprüft. Gleichzeitig entsteht zu jeder Geschichte eine bildliche Illustration. Dann werden die Texte noch mit einem ausführlichen Kommentar, in dem sprachliche Besonderheiten erklärt werden, von dem Theologen Ettl ergänzt.
Die Bibelausgaben in Leichter Sprache sind für Erwachsene mit Lese- und Lernschwierigkeiten gedacht und somit für den Unterricht, den Gottesdienst, die Katechese, die Pastoral und die Arbeit in inklusiven Einrichtungen oder Seniorenheimen geeignet. Es gebe viele positive Rückmeldungen auf die Texte, freut sich die Thuiner Franziskanerin. Auf Anfrage werden auch Gebete für Frauengebetstage, Katholiken- oder Kirchentage in Leichte Sprache vom Ehrenamtsteam übertragen. Doch es gebe auch Kritik an den Übertragungen der Bibelerzählungen, räumt Schwester Paulis ein. So würden Eltern oder Lehrer zurückmelden, dass es "kein richtiges Deutsch" wäre, "das wir in unseren Übertragungen verwenden oder manches zu monoton oder vereinfachend geschrieben" wäre. Jeder aus dem Team, der Bibeltexte in Leichte Sprache übertrage, beschäftige sich intensiv mit der theologischen Aussage dahinter und diskutiere mit anderen darüber, um die inhaltliche Qualität der Übertragungen zu garantieren, erklärt die Ordensfrau. Die Bibelübertragungen würden sich genau an den Lern- und Lesebedürfnissen von Menschen mit Beeinträchtigungen orientieren. Das sei schließlich die Zielgruppe der Texte.
Gerade arbeitet Schwester Paulis an Übertragungen von Prophetenbüchern aus dem Testament, gemeinsam mit einem größeren Team an ehrenamtlichen Mitarbeitenden sowie mit Lara Mayer vom Stuttgarter Bibelwerk. Die Thuiner Franziskanerin freut sich darüber, dass durch diese Übertragungen wieder ein weiterer Teil der Bibel Menschen mit Spachhandicaps vermittelt werden könnte.
Eine offizielle Genehmigung der Deutschen Bischofskonferenz für die Bibelübertragungen gibt es bis heute nicht. Das sei auch nicht nötigt, bemerkt Ettl, denn die Deutsche Bischofskonferenz würde das Bibelprojekt längst auf unterschiedliche Weise unterstützen. Zum Beispiel gibt es seit Februar 2024 das Hochgebet für die Feier der Messe in Leichter Sprache. Schwester Paulis und Claudio Ettl sind überzeugt: "Jesus sprach mit den Menschen auf Augenhöhe und mit dem Herzen. So tun wir es auch". Am liebsten würde die Thuiner Franziskanerin die gesamte Bibel in Leichte Sprache übersetzen. Das wird allerdings noch einige Zeit brauchen. Doch Monat für Monat kommen neue Texte hinzu. Für Claudio Ettl zeige dies, wie aktuell und wichtig das Projekt sei. Letztlich entscheiden die Leser und Benutzer der Bibel in Leichter Sprache darüber, ob es für sie ein Gewinn ist. Für Claudio Ettl und Schwester Paulis ist es das.