Kardinal Woelki zehn Jahre in Köln: Dauerringen um Glaubwürdigkeit
An diesem Freitag begeht Kardinal Rainer Maria Woelki den zehnten Jahrestag seines Amtsantritts als Erzbischof von Köln – und zwar still. Mit seinem damaligen Wechsel von der Bundeshauptstadt Berlin in die rheinische Metropole waren große Hoffnungen auf einen Neuaufbruch verbunden, doch bei vielen hat sich längst Ernüchterung breitgemacht. Nicht nur wegen der Missbrauchsaufarbeitung.
Zwar forderte Papst Franziskus vor zweieinhalb Jahren ein Rücktrittsgesuch von Woelki. Er wirkt aber – unterbrochen von einer mehrmonatigen Auszeit – weiter an der Spitze der mit 1,68 Millionen Mitglieder (noch) mitgliederstärksten deutschen Diözese. Und provoziert weiterhin manchen Widerspruch. Entscheidend für seine Zukunft in Köln dürfte sein, wie die seit Monaten laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts des Meineids und falscher eidesstattlicher Versicherungen ausgehen. Ergebnisse werden – vielleicht – zum Jahresende vorgelegt.
Flüchtlingsboot als Altar
2014 kehrte Woelki nach drei Jahren an der Spitze des Hauptstadtbistums Berlin wieder in seine Heimat Köln zurück. Viele hofften auf einen Kirchenmann, der nach einem Vierteljahrhundert unter dem konservativen Kardinal Joachim Meisner neue Impulse setzen könnte. In Berlin war Woelki mit eigenen Akzenten aufgefallen, zog dort in den Arbeiter- und Migrantenbezirk Wedding, traf sich mit Vertretern von Lesben und Schwulen und berief Frauen in Leitungspositionen.
Auch in Köln erregte der Kardinal zunächst mit originellen Aktionen Aufmerksamkeit. Etwa als er die Glocken läuten ließ für ertrunkene Bootsflüchtlinge. Oder als er an Fronleichnam die Messe an einem zum Altar umgebauten Flüchtlingsboot feierte. Deutliche Protestzeichen, die ihm auch viel Kritik aus dem rechten Lager einbrachten. Eine örtliche Boulevard-Zeitung titelte gar: "Der kölsche Franziskus".
Doch längst ist dieses Image zerplatzt, auch wenn er mit dem Einsatz für die Menschen an den Rändern sicher weiter auf der Linie des Papstes liegt. Immer stärker tritt in den Vordergrund, dass Woelki kirchenpolitisch die Linie seines Vorgängers und Mentors Meisner teilt. Forderungen nach der Priesterweihe für Frauen weist der 68-Jährige ebenso zurück wie viele andere Anliegen des Reformprozesses Synodaler Weg, etwa die Forderung, Laien in kirchliche Entscheidungsprozesse stärker einzubinden. Eine Minderheitenposition in der Deutschen Bischofskonferenz, die Woelki aber durchaus machtbewusst vertritt – in seiner Rolle als Kardinal auch im Vatikan und im weltkirchlichen Kontext.
Zum Buhmann für viele wurde der Erzbischof vor allem durch sein Handeln bei der Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs, auch wenn er sich hier selbst als vielfach missverstandener Vorreiter versteht. In der Kirche eher seltene Misstrauensbekundungen wie Offene Briefe und Rote Karten häuften sich, als Woelki 2020 ein erstes Gutachten zur Missbrauchsaufarbeitung nicht veröffentlichen ließ. Mit seiner Begründung, die Untersuchung habe "methodische Mängel", konnte der Kardinal wenig überzeugen. Stattdessen hieß es, er wolle Erkenntnisse zurückhalten und Führungskräfte schützen.
Zwei Sonderermittler
Das zweite Gutachten, das acht hohen Amtsträgern mindestens 75 Pflichtverletzungen zwischen 1975 und 2018 vorwirft, konnte nicht für Beruhigung sorgen. Wobei Woelki selbst nicht belastet wird. Von der massiven Vertrauenskrise machte sich dann 2021 der Papst sogar selbst ein Bild – mittels zweier nach Köln entsandter Sonderermittler. Zwar habe der Kardinal nichts vertuscht, aber doch "große Fehler" vor allem in der Kommunikation gemacht, so das Fazit von Franziskus.
Das von ihm anschließend eingeforderte Rücktrittsgesuch hat der Papst bis heute nicht beantwortet. Derweil stellt Woelki – scheinbar unbeirrt von allen Wirren – Weichen, die auf Widerspruch stoßen. Unter anderem will er sein oberstes Beratungsgremium, den Diözesanpastoralrat, umbauen. Das Gremium aus Haupt- und Ehrenamtlichen hatte heftig über den Kurs Woelkis debattiert. Nun sollen ihm nur noch 51 statt 75 Mitglieder angehören und 18 per Los bestimmte Laien dort mitmischen. Vor allem die gewählte Vertretung der katholischen Laien fühlt sich düpiert, weil sie statt zehn nur noch zwei Delegierte entsenden kann. Während Woelki die Position der Laien gestärkt sieht, meinen andere, er wolle seine Kritiker zurückdrängen.
Streitpunkt ist auch die Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Die umstrittene Teilfinanzierung aus Kirchensteuermitteln hat der Erzbischof inzwischen durchgesetzt. Der Konflikt mit dem Land Nordrhein-Westfalen schwelt weiter: Dieses pocht unter Berufung auf einen Vertrag zwischen Staat und Kirche darauf, dass angehende Priester an der Uni Bonn ausgebildet werden.
Derweil scheint die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen allmählich zu einem Ende zu kommen. Die in Einrichtungen des Erzbistums sichergestellten rund 800.000 E-Mails seien nun gesichtet, hieß es. Diese müssten jetzt noch bewertet und eventuell weitere Zeuginnen und Zeugen vernommen werden.
Hätte der Kardinal mehr wissen können?
In der Sache geht es darum, ab wann Woelki nähere Kenntnisse über zwei Missbrauchsfälle hatte und ob er darüber unter Eid die Unwahrheit gesagt hat. Unter anderem bestreitet der Erzbischof die Darstellung der "Bild"-Zeitung, bei der Beförderung eines Priesters im Jahr 2017 eine Polizeiwarnung vor einem Einsatz des Geistlichen in der Jugendarbeit sowie ein Gesprächsprotokoll mit Vorwürfen eines Mannes gekannt zu haben. Er habe nur von einem nicht strafbaren sexuellen Kontakt des Priesters mit einem 16-jährigen Prostituierten im Jahr 2001 sowie von "weiteren Gerüchten" gehört.
Doch unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen fragen sich viele im Umfeld, ob Woelkis juristisches Ringen um Wahrheit seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen kann – und ob der Kardinal mehr hätte wissen können oder gar müssen.