Verein zur Schwangerenberatung wurde vor 25 Jahren gegründet

Rita Waschbüsch: Viele Bischöfe sind froh, dass es "Donum vitae" gibt

Veröffentlicht am 24.09.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ War "Donum vitae" für die deutschen Bischöfe lange ein rotes Tuch, hat sich das Verhältnis zuletzt entspannt. 25 Jahre nach der Gründung spricht die langjährige Vorsitzende Rita Waschbüsch mit katholisch.de über das Wirken des Vereins und die aktuelle Abtreibungsdebatte in Deutschland.

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Jahrelang hatte die katholische Kirche in Deutschland um die Frage gerungen, ob sie mit ihrer Schwangerenberatung im staatlichen System bleiben kann. Bis Papst Johannes Paul II. ein Machtwort sprach und den Ausstieg verfügte. Fortan gab es in kirchlichen Beratungsstellen keinen Beratungsschein mehr, der nach gesetzlicher Regelung in Deutschland zur Durchführung einer Abtreibung nötig ist. Daraufhin gründeten prominente Katholiken mit Unterstützung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 24. September 1999 den bürgerlichen Verein "Donum vitae". Das Ziel: Das kirchlich profilierte Beratungsangebot fortführen. Rita Waschbüsch (84), einst ZdK-Präsidentin, war Gründungsmitglied und erste Vorsitzende. Trotz schwieriger Startbedingungen und scharfer Abgrenzung durch die Bischöfe ließen sich Waschbüsch und ihre Mitstreiter nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Im Jahr 2023 hatte "Donum vitae" laut eigenen Angaben bundesweit 92.122 Beratungsgespräche, davon waren 19.638 sogenannte Konfliktgespräche. Obwohl Waschbüsch bereits vor einigen Jahren den Vorsitz abgegeben hat, ist sie ihm immer noch eng verbunden, beispielsweise als Mitglied im Stiftungsvorstand.

Frage: Frau Waschbüsch, würden Sie selbst als Lebensschützerin bezeichnen?

Waschbüsch: Natürlich sind wir bei "Donum vitae" Lebensschützer, wieso sollten wir uns also nicht so nennen? Wir sind sicher anders als die Gruppierungen, die in der Öffentlichkeit für gewöhnlich als Lebensschützer bezeichnet werden, auch wenn unser Anliegen ähnlich ist. Wir schützen Leben – und zwar zwei Leben: das psychische Leben der Mutter und das Leben des Kindes.

Frage: Wird man diesen beiden Aspekten bei der Beratung immer gleich gerecht?

Waschbüsch: Wir beraten nach dem geltenden Recht. Das sagt eindeutig: Die Beratung dient dem Lebensschutz; sie dient dazu, der Mutter auch in einer schwierigen Situation ein Annehmen des Kindes zu ermöglichen. Die Regelung ist ja entstanden, um den Lebensschutz im Sinne des Grundgesetzes zu sichern. Die Beratung soll eine doppelte Anwaltschaft sein, indem sie der Frau Rat, Hilfe und Begleitung sogar bis zum dritten Lebensjahr des Kindes anbietet. Aber gute Beratung muss auch akzeptieren, dass der Gesetzgeber die Entscheidung für oder gegen die Abtreibung den Frauen selbst überlässt.

Frage: "Donum vitae" argumentiert seit seiner Gründung vor 25 Jahren, dass man als christliche Stimme nur innerhalb des staatlichen Beratungssystems Frauen wirklich erreicht, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen. Hat sich das in der Praxis gezeigt?

Waschbüsch: Ich kenne die Zahlen etwa der Caritas und des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), die ja Hilfe, aber keine Konfliktberatung anbieten, nicht genau. Ich vermute nur, dass mittlerweile mehr Frauen über eine Abtreibung nachdenken als vor 20 Jahren, als der Lebensschutz in der Gesellschaft noch selbstverständlicher war. Sowohl die Caritas als auch der SkF machen gute Arbeit. Aber sie können eben nicht oder nur höchst selten Frauen erreichen, die ernsthaft einen Abbruch erwägen. Die kommen, weil die Beratungspflicht besteht, dann eben zu "Donum vitae" oder anderen Trägern des staatlichen Systems.

Frage: Welche Frauen kommen denn zur Beratung? Oder anders gefragt: Was erwarten sie genau von der Beratung bei "Donum vitae" im Vergleich zu nicht katholisch oder nicht christlich orientierten Trägern?

Waschbüsch: Zu uns kommen Frauen aus allen Schichten, religiöse oder nicht religiöse. Sie erwarten qualifizierte und zugewandte Beratung nach den gesetzlichen Vorgaben.

Schwangerenkonfliktberatung
Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Symbolbild)

Broschüren liegen auf einem Tisch im Büro einer Schwangerenberatungsstelle von "Donum vitae". Im Hintergrund findet eine Beratung statt. "Zu uns kommen Frauen aus allen Schichten, religiöse oder nicht religiöse. Sie erwarten qualifizierte und zugewandte Beratung nach den gesetzlichen Vorgaben", sagt Rita Waschbüsch.

Frage: Haben sie es auch geschafft, möglichst viele Frauen tatsächlich zu erreichen? Konkreter formuliert: Wie messen Sie den Erfolg der Beratung? Sie werden ja vermutlich nicht eruieren können, wie viele Abtreibungen Sie mit dem Beratungsangebot verhindert haben.

Waschbüsch: Grundsätzlich gilt: Wir vermitteln zum großen Teil Hilfen für Frauen, die nicht abtreiben wollen. 70 bis 80 Prozent sind allgemeine Beratung und Hilfe. Wir haben bei "Donum vitae", vermutlich wie auch bei den meisten anderen Trägern, circa 20 bis 30 Prozent Konfliktberatungen. Natürlich können wir nicht sagen, wie viele abtreiben oder nicht. Die Frauen haben einen Anspruch auf die Beratungsbestätigung, und die bekommen sie bei uns. Wir erleben aber manchmal auch, dass die eine oder andere später fragt, ob sie nochmal kommen kann, weil sie es sich doch anders überlegt hat und den Schein nicht nutzen will. Unsere Beraterinnen agieren in der Konfliktberatung nach bestem Wissen und Gewissen, damit die betroffenen Frauen das Hilfsangebot sehen, und versuchen, zur Erhaltung des Lebens des Kindes beizutragen. Ich bin mir auch sicher, dass die positive Atmosphäre, die die Frauen bei "Donum vitae" spüren, und der Versuch der Beraterinnen, auch die Not der Frauen zu verstehen, sich auswirken.

Frage: Die Abtreibungszahlen in Deutschland lagen zuletzt immer bei rund 100.000 pro Jahr. Was macht diese Zahl mit Ihnen?

Waschbüsch: Ich denke an die Not, die bei vielen Frauen erkennbar nach einem Abbruch vorhanden ist. Es ist ja nicht so, als würden Frauen durchgängig leichtsinnig ihr Kind abtreiben. Darum laden wir die Frauen ein, auch nach einem Abbruch wieder in die Beratung zu kommen. Viele nehmen dieses Angebot an.

Frage: Die aktuell gültige Regelung in Sachen Abtreibung in Deutschland ist ein hart errungener Kompromiss. Inwiefern hat dieser sich aus Ihrer Sicht bewährt?

Waschbüsch: Die Fronten waren hart und man hat versucht, zwei Rechtsansprüche, nämlich die Selbstbestimmung der Frau und das Lebensrecht des Kindes, zusammenzubringen. Insofern ist es sicher ein erfolgreicher Kompromiss geworden. Aber wie bei einem Kompromiss üblich, hat er natürlich auch Schwächen.

Frage: Die Zukunft der aktuellen Regelung und damit auch der Beratungspflicht ist offen: Gerade in der aktuellen Legislaturperiode gibt es deutliche Anstrengungen, den Paragrafen 218 zu kippen. Wie blicken Sie auf die aktuelle Debatte?

Waschbüsch: Die Arbeitsgruppe, die von der zuständigen Ministerin eingesetzt wurde, hat das Thema arg auf sexuelle Selbstbestimmung enggeführt. Man konnte schon vorausahnen, welches Ergebnis sich ergibt. Wenn in diesem Zusammenhang von der Selbstbestimmung der Frau die Rede ist: Da liegt ein Missverständnis vor, was Selbstbestimmung heißt. Es geht nicht nur um die Frau, so wichtig deren Selbstbestimmung auch ist – es geht eben um zwei Personen. Der Embryo ist nicht "Schwangerschaftsgewebe". Es muss um das ungeborene Kind und darum gehen, eine gute Situation für die Frau zu erreichen, damit sie zum Kind ja sagen kann.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Symbolbild)

Eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch erwartet Waschbüsch zumindest in dieser Legislaturperiode nicht mehr. "Wenn in diesem Zusammenhang von der Selbstbestimmung der Frau die Rede ist: Da liegt ein Missverständnis vor, was Selbstbestimmung heißt. Es geht nicht nur um die Frau, so wichtig deren Selbstbestimmung auch ist – es geht eben um zwei Personen", sagt Waschbüsch zu der Debatte.

Frage: Anders als SPD und Grüne hat die FDP inzwischen signalisiert, an der bestehenden Regelung festhalten zu wollen. Damit dürfte eine Reform und damit eine Entkriminalisierung von Abbrüchen vorerst vom Tisch sein. Wie sehen Sie das?

Waschbüsch: Zunächst zur Entkriminalisierung: Das Strafrecht in diesem Zusammenhang immer so hochzuhängen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Es hat seit Bestehen der Regelung meines Wissens einen einzigen Prozess in dieser Sache gegeben. Die Frauen werden ja nicht bestraft, wenn sie zur Beratung gehen. Bestraft wird der Arzt, wenn er einen Abbruch vornimmt, ohne dass eine Beratungsbestätigung vorliegt. Die Frauen kommen strafrechtlich nur in den Blick, wenn sie so etwas tun, was früher "Waschküchenabtreibung" hieß. Aber sowas kommt wahrscheinlich heute nicht mehr vor.

Was eine mögliche Reform angeht: Es ist ein schwieriges Feld gewesen, als die jetzige Gesetzeslage beschlossen wurde. Ich glaube nicht, dass die Politik leichtfertig wieder an diese Dinge rangeht, zumal sich die Bestimmungen bewährt haben. Diejenigen, die die Beratungspflicht streichen wollen, sind dieselben, die schon das Werbeverbot gemäß Paragraf 2019a gekippt haben, weil das angeblich alles gegen die Selbstbestimmung der Frau sei. Jetzt soll die Beratungsplicht verschwinden? Aber beides dient dem verfassungsmäßigen Auftrag des Schutzes der Frau und des Kindes. Ich gehe nicht davon aus, dass man in der jetzigen Legislaturperiode diese Frage ernsthaft nochmal im Parlament behandeln wird. Der Bundeskanzler, der es gerade nicht so leicht hat, müsste töricht sein, wenn er sich auch noch dieses Thema aufladen würde. Das würde für noch mehr Polarisierung sorgen.

Frage: Man hat in dieser Debatte den Eindruck, dass ausgerechnet die Bischöfe fast zu Verbündeten von "Donum vitae" werden. Manche haben bereits gesagt, dass man an diesem Kompromiss, der da errungen wurde, bitte nicht rütteln soll. Kommen die Bischöfe immer mehr Ihrer Position entgegen, je mehr Bastionen in dieser Debatte fallen?

Waschbüsch: Ich will nicht bewerten, ob sie uns näherkommen oder nicht. Ich weiß nur, dass viele Bischöfe heute froh sind, dass es "Donum vitae" gibt. Und ich weiß, dass wir die Positionen vertreten, die die beiden Kirchen immer im Lebensschutz vertreten haben. Wenn jetzt manche Stimmen aus der evangelischen Kirche sagen, auf den strafrechtlichen Aspekt könnten sie verzichten: Strafe ist nie der Mittelpunkt unserer Debatte gewesen. Es geht um die Anwaltschaft für Mutter und Kind, um einen Kompromiss, der schwierig genug umzusetzen ist. Dass die Bischöfe da unserer Position vielleicht näherkommen, hat auch damit zu tun, dass eben Caritas und SkF nur noch die allgemeine Hilfe und Beratung anbieten. Die sind wertvoll, das will ich nicht mindern. Ich bin ja froh, dass sie wenigstens das machen können.

Frage: Wie nehmen Sie denn grundsätzlich das Verhältnis zwischen "Donum vitae" und den Bischöfen inzwischen wahr?

Waschbüsch: Ich glaube, das entwickelt sich vernünftig, nachdem Kardinal Marx als Vorsitzender der Bischofskonferenz uns ja gelobt und betont hatte, wir würden auch Leben retten. Das war faktisch ein Schlussstrich unter die Abgrenzungs- oder Unvereinbarkeitserklärung, die die Bischofskonferenz 2006 auf Druck vom Kardinal Meisner beschlossen hatte.

 Eröffnungsgottesdienst der Herbstvollversammlung
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Symbolbild)

Mit Blick auf die deutschen Bischöfe spricht Rita Waschbüsch inzwischen von einem vernünftigen Verhältnis.

Frage: Halten Sie es auch für möglich, dass es irgendwann eine Komplettversöhnung gibt?

Waschbüsch: Versöhnung setzt ja heftigen Streit voraus. Den haben wir nicht mehr. Die Gründerinnen und Gründer kommen doch aus der katholischen Kirche. Wer sich bei uns engagiert, egal ob katholisch, evangelisch oder was auch immer, muss in den Grundsatzfragen des Lebensrechts mit der christlichen Lehre übereinstimmen, und darum sehe ich keine Front. Was ich mir wünschen würde: dass die Bischöfe diese Abgrenzung auch offiziell wieder zurücknehmen. Da gab es ja groteske Fälle von Ausgrenzungen für etliche Engagierte. Aber solche Dinge würden heute sicher nicht mehr passieren.

Frage: Hat Ihnen ein Bischof denn schon mal in einem persönlichen Gespräch unter vier Augen gesagt, dass er die Arbeit von "Donum vitae" für wertvoll hält?

Waschbüsch: Schauen Sie: Beim Katholikentag in Erfurt war eine Reihe von Bischöfen bei uns am Stand, das ist doch eine Aussage. Und in den vergangenen 20 Jahren habe ich mit dem ein oder anderen Bischof unter vier Augen gesprochen. Das waren mitunter harte, aber oft auch gute Gespräche. Die Bischöfe haben doch am meisten gelitten darunter, wie man sie in dieser Sache in Rom behandelt hat. Sie konnten nicht anders: Als Bischof ist das Wort des Papstes ja doch Befehl gewesen, obwohl Johannes Paul II. den geforderten Ausstieg aus der Konfliktberatung als Bitte formuliert hatte. Einige haben dann gemeint, sie müssten bei uns Laiengehorsam anmahnen. Das ist vorbei, das Verständnis für beide Seiten ist gewachsen. Auch wenn jetzt nicht jeder Bischof für "Donum vitae" gleich Reklame macht: Ich glaube, innerlich sind viele froh, dass wir als Christen in dieser Form überhaupt noch im staatlichen System wirken können.

Frage: Papst Franziskus spricht bei Abtreibung immer von "Auftragsmord". Wie legitim oder hilfreich ist denn so eine Aussage aus Ihrer Sicht?

Waschbüsch: Das Wort "Auftragsmord" würde ich so sicher nicht benutzen. Dass der Papst gegen Schwangerschaftsabbruch ist, weil es die Tötung eines ungeborenen kleinen Menschen ist, das ist doch klar, da teilen wir ja die Auffassung. Die harte Tonlage hat vielleicht auch damit zu tun, dass Abtreibungen in vielen Ländern der Welt gesetzlich anders gehandhabt werden als in Deutschland.

Frage: Sie haben vor einigen Jahren den Vorsitz abgegeben. Wie steht der Verein heute da?

Waschbüsch: Die Zahlen entwickeln sich weiter gut, und wir haben einen guten und aktiven Vorstand. Wir stehen natürlich wie andere Organisationen auch gelegentlich vor der Frage, wie wir uns weiter finanzieren. Aber im Großen und Ganzen läuft es gut. Wir haben auch mehrere Modellprojekte, zum Beispiel für die Beratung von Behinderten und schwer Erreichbaren wie Flüchtlingen. Wir sind auch in der Präventionsarbeit stark engagiert. Es gibt viele Angebote in verschiedenen Bundesländern, die gut gedeihen. Wir sehen die Entwicklung mit Freude.

Von Matthias Altmann