Kardinal: Wir müssen zur Problemlösung viel stärker auf Frauen setzen
John Ribat wurde 2016 von Papst Franziskus zum ersten Kardinal Papua-Neuguineas ernannt, im September nun konnte der 67-Jährige das Kirchenoberhaupt in seinem Heimatland begrüßen. Im Interview mit katholisch.de blickt Ribat, der derzeit im Rahmen des Monats der Weltmission in Deutschland zu Gast ist, auf den Besuch des Papstes und dessen politische Folgen zurück. Außerdem äußert sich der Erzbischof der Hauptstadt Port Moresby zu den dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf Papua-Neuguinea, die schwierige Lage der Frauen dort und seine Erwartungen an die Weltsynode im Vatikan.
Frage: Kardinal Ribat, Anfang September war Papst Franziskus in Papua-Neuguinea zu Gast. Wie blicken Sie heute auf den Besuch zurück?
Ribat: Der Papst hat uns mit seinem Besuch enorm gestärkt und uns neue Perspektiven eröffnet. Unser Land ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert, aber Franziskus hat uns Hoffnung gebracht. Er hat uns mit seinem Besuch gezeigt, dass er für uns da ist, uns liebt und wie ein gütiger Vater ein Auge auf uns hat. Dass er die weite Reise trotz seiner angeschlagenen Gesundheit auf sich genommen hat, ist ihm gar nicht hoch genug anzurechnen.
Frage: Der Besuch des Papstes hat Papua-Neuguinea und der katholischen Kirche im Land weltweite Aufmerksamkeit gebracht. Spüren Sie davon jetzt, ein paar Wochen später, noch etwas?
Ribat: Definitiv. Dass Franziskus als Oberhaupt der katholischen Kirche und Nachfolger des Apostels Petrus unser Land und unsere kleine Ortskirche besucht und uns Segen und Liebe gebracht hat, wird noch lange nachwirken – unter unseren Gläubigen, aber auch im ganzen Land. Der Besuch des Papstes hat die Probleme, vor denen unser Land steht – etwa den Klimawandel und die patriarchalisch geprägten Strukturen unserer Gesellschaft – noch einmal neu in den Fokus gerückt.
„Der Klimawandel ist bei uns schon in vollem Gange. Vor allem die Inselbewohner und die Menschen in den Küstenregionen leiden unter seinen Auswirkungen.“
Frage: Sie sprechen es an: Bei seinem Besuch hat Franziskus sich dezidiert politisch geäußert und etwa Frieden und Gerechtigkeit angemahnt, mehr Rechte für Frauen gefordert sowie zur Bewahrung der Schöpfung aufgerufen. Haben seine Appelle politisch irgendetwas bewirkt?
Ribat: Dazu kann ich Ihnen eine interessante Beobachtung schildern: Im kommenden Jahr feiert Papua-Neuguinea den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit, das ist ein ganz wichtiges Datum für unser Land. Kurz nachdem Franziskus abgereist war, hat unser Premierminister James Marape spontan erklärt, dass der Besuch des Papstes bereits der Auftakt der Unabhängigkeits-Feierlichkeiten gewesen sei. Er hat den Besuch dadurch politisch und gesellschaftlich enorm aufgewertet – und das, obwohl er selbst Mitglied der Siebenten-Tags-Adventisten ist, die uns Katholiken kritisch gegenüberstehen. Das ist ein gutes Zeichen! Trotzdem werden wir natürlich abwarten müssen, welche politischen Folgen der Papstbesuch noch haben wird. Aber nach der überraschenden Positionierung des Premierministers bin ich hoffnungsvoll, dass die Appelle des Papstes für mehr Klimaschutz und mehr Frauenrechte auch in der Politik Gehör finden werden. Zumal auch die Medien – anders als noch vor dem Besuch – inzwischen sehr positiv über Franziskus‘ Visite berichten.
Frage: Sie halten sich aktuell wegen des Monats der Weltmission in Deutschland auf, in dessen Mittelpunkt in diesem Jahr Papua-Neuguinea, Vanuatu und die Salomonen stehen – und damit Inselstaaten, die besonders vom Klimawandel bedroht sind. Können Sie einmal beschreiben, welche Auswirkungen der Klimawandel schon heute auf Papua-Neuguinea hat?
Ribat: Der Klimawandel ist bei uns schon in vollem Gange. Vor allem die Inselbewohner und die Menschen in den Küstenregionen leiden unter seinen Auswirkungen. Durch den steigenden Meeresspiegel sind viele Inseln bereits heute unbewohnbar geworden. Außerdem sorgen immer häufiger auftretende Überflutungen für Ernteausfälle und kleiner werdende Anbauflächen; dies könnte in Zukunft schlimme Hungersnöte zur Folge haben. Hinzu kommen gravierende soziale und kulturelle Probleme: Die Menschen, die ihre Heimat auf den Inseln und an den Küsten wegen des Klimawandels verlassen müssen, ziehen vor allem in die großen Städte. Das wiederum sorgt dort für viele soziale Konflikte und steigende Armut.
Frage: Als Industrieland ist Deutschland mitverantwortlich für den Klimawandel. Was erwarten Sie vor diesem Hintergrund von der deutschen Politik und auch der Kirche in Deutschland?
Ribat: Im Gegensatz zu Papua-Neuguinea ist Deutschland international ein mächtiges Land, das in allen wichtigen Organisationen Mitglied ist und dort auch gehört wird. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland seinen Einfluss noch stärker nutzt, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen und alle Kräfte für den Kampf gegen den Klimawandel zu mobilisieren. Die katholische Kirche in Deutschland tut diesbezüglich schon sehr viel – vor allem über ihre Hilfswerke wie missio Aachen. Dafür sind wir sehr dankbar.
Frage: Sie haben während Ihres Besuchs in Deutschland zahlreiche politische Gespräche in Berlin geführt. Welchen Eindruck haben Sie dabei gewonnen? Ist man in der deutschen Politik sensibilisiert für die Probleme Papua-Neuguineas?
Ribat: Ich denke schon. Die Politiker und Referenten, mit denen wir uns im Bundestag und im Auswärtigen Amt getroffen haben, waren jedenfalls sehr offen und haben sich mit großer Ernsthaftigkeit über unsere Probleme informiert. Man hat uns überall Unterstützung für unseren Kampf gegen den Klimawandel zugesagt – auch dafür bin ich dankbar.
Frage: Ein weiterer Schwerpunkt des Monats der Weltmission sind die Frauen, die in vielen Staaten des Pazifiks das Zusammenleben in Familie, Gesellschaft und Kirche gestalten, gleichzeitig aber von der Teilhabe an Entscheidungen oft ausgeschlossen sind und vielfach Gewalt erleiden. Wie beurteilen Sie die Situation der Frauen in Ihrem Land?
Ribat: Die Situation der Frauen in Papua-Neuguinea ist sehr schwierig. Die Gesellschaft ist nach wie vor stark patriarchalisch geprägt und Männer haben fast überall das letzte Wort. Dies zu ändern ist eine enorme Herausforderung, solange viele Männer Frauen immer noch als Menschen zweiter Klasse betrachten. Das zeigt sich beispielhaft an unserem Parlament: Obwohl die Politik schon vor Jahren das Ziel ausgegeben hat, den Frauenanteil unter den Abgeordneten zu erhöhen, wurden bei der letzten Wahl neben 116 Männern nur zwei Frauen in das Parlament gewählt. Umso mehr müssen wir uns weiter dafür einsetzen, die Situation der Frauen endlich zu verbessern, denn in der Tat sind sie es, die die Gesellschaft ganz maßgeblich zusammenhalten. Für mich ist klar: Wenn wir unsere Probleme lösen wollen, müssen wir viel stärker auf die Frauen setzen. Sie sind in der Lage, Gesellschaften voranzubringen – viel mehr als die meisten Männer. Unserem Land geht es auch deshalb so schlecht, weil wir Frauen mit all ihren Ideen und ihrer Tatkraft kleinhalten. Das muss sich ändern!
Frage: Kann die Kirche dazu etwas beitragen?
Ribat: Wir können die Probleme ansprechen und für Veränderungen auf politischer Ebene werben. Am Ende braucht es aber vor allem eine Änderung in den Köpfen der Männer. Sie müssen ihr tradiertes patriarchalisches Denken überwinden und Frauen als gleichberechtigte Menschen akzeptieren.
„Ich weiß, dass die Frage nach der Weihe von Frauen zu Priesterinnen in Deutschland und anderen Ländern des Westens eine große Bedeutung hat. Unsere Ortskirche und auch unsere Gläubigen haben jedoch andere, drängendere Probleme zu lösen.“
Frage: Auch bei der derzeit im Vatikan tagenden Weltsynode spielt die "Frauenfrage" eine wichtige Rolle. Wie ist Ihre Meinung: Sollte die katholische Kirche Frauen zu Priesterinnen weihen?
Ribat: Ich weiß, dass die Frage nach der Weihe von Frauen zu Priesterinnen in Deutschland und anderen Ländern des Westens eine große Bedeutung hat. Unsere Ortskirche und auch unsere Gläubigen haben jedoch andere, drängendere Probleme zu lösen. Insofern bitte ich um Verständnis, dass ich mich in dieser Frage nicht festlegen möchte.
Frage: Haben Sie die bisherigen Beratungen der Synode verfolgt?
Ribat: Ich hatte dazu bisher kaum Zeit. Ich werde das später mit unserem Vertreter besprechen.
Frage: Gehen Sie denn davon aus, dass die Synode konkrete Reformen beschließen wird? Wenn ja, womit rechnen Sie?
Ribat: Das ist für mich aktuell noch schwer einzuschätzen. Aus meiner Sicht wäre aber schon viel erreicht, wenn die Synode Veränderungen im Denken anstoßen würde. Die besten Reformen nützen schließlich nichts, wenn die Menschen im Kopf nicht bereit dafür sind.