Schwester Anne Kurz über das Sonntagsevangelium

In Richtung Liebe gehen – heute und bis zum letzten Tag

Veröffentlicht am 02.11.2024 um 11:40 Uhr – Lesedauer: 
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Venne bei Münster ‐ Wir alle müssen gehen, das ist klar. Aber wie können wir mit unserer eigenen Vergänglichkeit umgehen? Schwester Anne Kurz erklärt, was wir vom verstorbenen Bischof Franz Kamphaus lernen können und wie uns die Liebe Gottes Trost schenken kann, auch wenn wir "Auf Wiedersehen" sagen müssen.

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"Ich werde erwartet." Der am vergangenen Montag verstorbene Bischof Franz Kamphaus hat mit diesen Worten auf seinen nahenden Tod geschaut. In meinen Ohren klingt mit: Ein Platz ist mir bereitet. Ich werde ankommen, wo ich gekannt und geliebt bin, an einem Ort der Wärme und des Zueinander-gehörens. Nicht nach Abbruch klingt es, sondern nach einem letzten Unterwegssein um für immer zu bleiben; nicht nach Verlust, sondern nach Finden. Es klingt nach dem Ziel, zu dem ein Pilger sein Leben lang suchend und liebend unterwegs war.

Der November ist geprägt vom Blick auf das Ende und den Tod. Die Bäume werden kahl, die Tage dunkler. Wir begehen den Allerseelentag, Volkstrauertag, Totensonntag, das Christkönigfest. In der grauen Jahreszeit kann bedrückende Stimmung um sich greifen. Im Wahrnehmen von Abschiedlichkeit läuft uns mancher Schauer durch die Glieder. Dass wir nichts und niemanden festhalten und uns bewahren können, verletzt und erschüttert unsere Fundamente. Niemand hat hier eine bleibende Stätte. Umso auffallender ist die Vision von Franz Kamphaus: "Ich werde erwartet". In seinem Vertrauen ist eine Dynamik der Liebe sichtbar, die – im wahrsten Sinne des Wortes – auch nach dem Tod "weitergeht": Sich aufmacht und geht – und erwartet wird.

Als dynamisch weitergehend wird die Liebe auch im heutigen Evangelium beschrieben. Sie geht aufs Ganze: Aus ganzem Herzen, ganzer Seele, mit aller Kraft. Das kann kein Gesetz bewirken, keine Forderung einklagen und keine willentliche Anstrengung erreichen. Das erste und wichtigste Gebot ist vielmehr Antwort auf einen Gott, der sich mir gegenüber als liebend erweist. Sie ist Weg mit einem Gott, durch den mein Herz stark und wird. Aus ganzem Herzen lieben können wir nur in einer gewissen Spontanität und Freiheit des Herzens, wenn ein fast erstauntes, aber deutliches: "Ich will Dich. Ich liebe Dich. Dein bin ich" entsteht. Das kann von starken Emotionen begleitet sein, oder auch "nur" eine Form von Intuition sein, ein Wink des Gewissens oder eine fast unscheinbare Änderung in die uns richtig erscheinende Richtung.

In Richtung der Liebe zu gehen, zu entscheiden und zu handeln setzt die Dynamik frei, die Jesus "Reich Gottes" nennt. Es ist eine Wirklichkeit, in der der Tod nicht das letzte Wort hat und eine letzte, entfesselte, schöpferische Freiheit möglich wird. Die Richtung der Liebe kann uns gefährden wie die Vielen, die es vor 35 Jahren in Europa gewagt haben, zu demonstrieren und den Fall des Eisernen Vorhangs vorzubereiten. Die Richtung der Liebe ist die Passion Jesu. Sie ist nicht blinde Leidenschaft, sondern das entschiedene Vertrauen, auch im Angesicht des Todes nach dem Antlitz Gottes zu suchen. Wenn er von mir ganz geliebt sein will, wird er sich auch dort zeigen.

"Ich werde erwartet" – Der Gott, der von mir geliebt sein will und den ich immer mehr lieben kann, wird sich zeigen und mein Herz wird ihn (er-)kennen. Nicht erst im Tod, sondern jeden Tag.

Evangelium nach Markus (Mk 12, 28b–34)

In jener Zeit ging ein Schriftgelehrter zu Jesus hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen

Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.

Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.

Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.

Die Autorin

Anne Kurz ist Schwester der Gemeinschaft Verbum Dei. Sie ist Referentin für Liturgie im Bistum Hildesheim, Geistliche Begleiterin und Supervisorin in Ausbildung.

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