Jüsten nach Ampel-Aus: Übergang zu Neuwahlen besonnen gestalten
Der Leiter des Katholischen Büros, Karl Jüsten, hat die politisch Verantwortlichen zur Besonnenheit aufgerufen. Es gehe jetzt darum, den Übergang zu Neuwahlen zu gestalten und die politische Handlungsfähigkeit in einer schwierigen weltpolitischen Lage zu bewahren, sagte Jüsten der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Donnerstag in Berlin. Es gelte, sorgsam zu prüfen, welche Vorhaben keinen Aufschub duldeten und in den nächsten Wochen in einem geordneten Prozess durch den bestehenden Bundestag noch verabschiedet werden müssten. Hier stünden auch die Oppositionsfraktionen in der Verantwortung.
Er rief zum Zusammenhalt auf. Im Sinne des Gemeinwohls und des gesellschaftlichen Zusammenhalts sollten Polarisierungen nicht weiter zunehmen, so Jüsten. Notwendig seien die Bereitschaft zum Kompromiss sowie eine angemessene Sprache. Auch die Medien täten gut daran, die Politik in diesem Sinne die kommenden Wochen konstruktiv zu begleiten und so auch einen Beitrag zur Handlungsfähigkeit der politischen Akteure und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in der jetzigen Situation zu leisten.
"Immens hohe Herausforderungen"
Zugleich würdigte Jüsten die geleistete Arbeit der Bundesregierung. Sie habe mit dem seit bald drei Jahren andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und immer dringlicher werdenden Transformationsprozessen vor immens hohen Herausforderungen gestanden. Es seien in dieser Zeit einiges auf den Weg gebracht und wichtige Weichen gestellt worden, "etwa in der Friedens- und Sicherheitspolitik, in der Energiepolitik, bei der Bewältigung des Klimawandels, in der Arbeitsmarkt und Sozialpolitik".
Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, äußerte sich zum Bruch der Ampelkoalition. Es brauche jetzt gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität. Zudem sei die Kunst des politischen Kompromisses notwendig. "Dieses Vertrauen habe ich in die Politik", so Bätzing.
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx nahm ebenfalls Stellung zum Ende der Ampel-Regierung. Dass in politischen Krisen die Institutionen funktionierten, sei grundsätzlich eine gute Nachricht, sagte Marx am Donnerstag in München bei der Abschluss-Pressekonferenz zur Herbstvollversammlung der bayerischen Bischöfe. Es drohe kein Bürgerkrieg, vielmehr könne in geregelter Weise ein neuer Anfang gesetzt werden. "Ich glaube, wir unterschätzen in unserem Land, was das bedeutet, dass man funktionsfähige Institutionen hat, die auch mit schwierigen Situationen umgehen können."
Auf Nachfrage ging der Kardinal auf den Begriff "Vertrauen" ein. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Trennung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) unter anderem damit begründet, dass kein Vertrauen mehr vorhanden sei. Auch in der Finanzkrise sei das Hauptproblem der Verlust des Vertrauens gewesen, so Marx. Die Banken hätten sich damals nicht mehr getraut, auch die Politik habe den Banken nicht mehr getraut. Funktionierende Institutionen seien das eine, unabhängige Gerichte und Rechtsstaatlichkeit das andere. Aber das reiche nicht aus, wenn nicht ein Grundvertrauen in die Institutionen vorhanden sei.
Man könne viel über die Veränderung der politischen Kultur in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nachdenken, ergänzte Marx. Aber früher sei nicht alles besser gewesen, wenn man an die harten Auseinandersetzungen im Parlament in den 1950er- und 1960er-Jahren denke. Das politische Geschäft in der Demokratie sei immer ein Kampf bis an die Grenze dessen gewesen, wo man fragen könne, ob die rote Linie des Anstands überschritten werde.
Warnung in Sachen Sozialstaat
Zugleich verwies Marx darauf, dass die Bischöfe vor jedem Wahlkampf gemahnt hätten, einen fairen Wettbewerb mit Respekt vor dem anderen zu führen. Es gelte, ein Niveau zu halten. Doch wo die Grenze sei, lasse sich schwer sagen. Da könne man nur an jeden appellieren, darüber nachzudenken, ob er im Zweifelsfall von anderen genauso behandelt werden wolle wie er es selbst vorgegeben habe.
Mit Blick auf das soziale Gefüge sagte Marx, manche hätten Grundsätze vergessen und dächten, ein guter Sozialstaat sei nur das Ergebnis einer tollen Wirtschaft. "Das ist nicht die ganze Wahrheit." Eine gute Wirtschaft setze einen guten Sozialstaat voraus. Deshalb warne er davor, nur zu schauen, was der Sozialstaat koste. (tmg/mtr/KNA)
7.11., 16:32 Uhr: Ergänzt um Marx.