Verbände und Hilfswerke sehen Demokratie und Stabilität in Gefahr

Krise der Ampelkoalition: Kirche reagiert mit Frust und Sorgen

Veröffentlicht am 06.11.2024 um 15:37 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Seit Wochen herrscht in der Berliner Ampelkoalition dicke Luft, längst schließen viele Beobachter sogar ein vorzeitiges Scheitern der zerstrittenen Regierung aus SPD, Grünen und FDP nicht mehr aus. Dies sorgt auch in der katholischen Kirche für Frustration und große Sorgen – etwa um die Demokratie.

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Die aktuelle Krise der Berliner Ampelkoalition und die ungeklärte Frage nach dem weiteren Fortbestand des Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP wird auch in der katholischen Kirche mit zunehmender Frustration und Sorge beobachtet. Mehrere kirchliche Verbände, die mit eigenen Verbindungsbüros zur Bundespolitik in Berlin vertreten sind, äußerten am Mittwoch auf Anfrage von katholisch.de ihren Ärger über den desolaten Zustand der Bundesregierung und ihre Befürchtung vor einer daraus folgenden nachhaltigen Beschädigung der Demokratie in Deutschland.

"Öffentliche Auseinandersetzungen und eine mangelnde Einigkeit in der Regierungsarbeit verzögern dringend notwendige Entscheidungen und Reformen", erklärte der Familienbund der Katholiken. Der andauernde Streit der drei Parteien trage nicht zur Vertrauensbildung in die Regierung und ihre Vorhaben bei, sondern spiele vielmehr undemokratischen Bewegungen in die Hände. "Der Familienbund sieht im öffentlichen Streit eine Belastung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie und in die politische Stabilität." Dieser Zustand könne dazu führen, dass sich viele Menschen von politischen Prozessen abwendeten oder sich stärker an populistischen Bewegungen orientierten. Ein vorzeitiges Scheitern der Koalition würde nach Ansicht des Verbandes zudem politische Instabilität bringen und wichtige Reformen weiter verzögern. Man appelliere daher an die Regierungsparteien, "aufeinander zuzugehen und konstruktive Lösungen zu suchen."

Familienbund: Konflikte erschweren Erfüllung des Koalitionsvertrags

Angesprochen auf ein mögliches vorzeitiges Scheitern der Koalition und eine daraus folgende Neuwahl des Bundestags wollte sich der Verband nicht festlegen. Man erkenne jedoch, dass der anhaltende Konflikt innerhalb der Regierung die Erfüllung des Koalitionsvertrags erschwere und werde die weiteren Entwicklungen als Verband aufmerksam verfolgen, um "frühzeitig auf mögliche politische Veränderungen reagieren zu können".

Bild: ©KNA/Gordon Welters (Archivbild)

Es sehe derzeit so aus, als würden in der Ampelkoalition nur noch die Pläne der jeweils anderen Partner blockiert – und damit das ganze Land, kritisierte Caritas-Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa.

Nach Ansicht des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) müssen die Bürger erwarten können, dass in einer Koalitionsregierung vertrauensvoll zusammengearbeitet wird und Probleme gelöst werden. "Wer dazu nicht in der Lage ist und ständig in der Öffentlichkeit Streit ausficht, nimmt seinen Regierungsauftrag nicht wahr und schadet der Demokratie und der Wirtschaft", sagte der BKU-Bundesvorsitzende Martin Nebeling. Man stelle sich als Verband ernsthaft die Frage, ob die Regierung überhaupt noch im Amt sei oder sich mehr mit sich selbst und den jeweiligen Partnern beschäftige. "Hier muss dringend etwas geschehen, sei es durch eine Neuwahl oder dadurch, dass die Koalitionsparteien endlich in einen Arbeitsmodus gelangen, der sich der Zukunft Deutschlands widmet", mahnte Nebeling.

Der BKU-Bundesvorsitzende äußerte ebenfalls die Befürchtung, dass der schlechte Zustand der Koalition in Berlin und der permanente öffentliche Streit Konsequenzen für die Demokratie und das politische System Deutschlands haben könnten. Der Ausgang der jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland und auch der Europawahl "ist ein deutlicher Fingerzeig, dass eine immer größer werdende Zahl der Wählerinnen und Wähler offenbar das Vertrauen in das Funktionieren von Staat und Politik verliert. Dies macht uns sehr große Sorgen, und hier müssen die demokratischen Parteien dringend liefern", so Nebeling.

Welskop-Deffaa: Ampelkoalition hat sich an ihrem eigenen Anspruch verhoben

Nach Ansicht der Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, hat sich die Ampelkoalition an ihrem eigenen Anspruch verhoben: "Zu wenig ist die Sorge um eine Klimasozialpolitik geeint, zu weit liegen Vorstellungen von Generationengerechtigkeit auseinander. Das ist bitter, denn grundsätzlich trug der Koalitionsvertrag das Versprechen, die sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedürfnisse nach der Corona-Erschöpfung zukunftsmutig miteinander anpacken zu wollen." Jetzt sehe es jedoch so aus, als würden nur noch die Pläne der jeweils anderen Partner blockiert – und damit das ganze Land.

Die Folgen des schlechten Zustands der Regierung für die Demokratie sind laut Welskop-Deffaa evident, und auch die Folgen für den Sozialstaat würden viel zu wenig diskutiert. "Wenn zum Beispiel die Verordnung über die Rechengrößen seit zwei Monaten blockiert wird, macht die Ampel die Säule des Sozialstaats zum Spielball ihres internen Machtpokers und zerstört das Vertrauen in Sozialversicherungen", beklagte die Caritas-Präsidentin. Deshalb wünsche sich ihr Verband, dass weder durch eine Fortsetzung der Blockaden in der Regierung noch durch das Fehlen eines Haushalts für 2025 die "populistischen Rattenfänger" weiter Zulauf erhielten.

Bild: ©picture alliance/dpa | Paul Zinken (Archivbild)

Angesichts des andauernden Streits in der Ampelkoalition rechnen immer mehr Beobachter inzwischen mit einem vorzeitigen Scheitern der Regierung.

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) erklärte mit Blick auf die Streitereien in der Ampel, dass man intensive Debatten um die besten Positionen aus den Jugendverbänden  durchaus kenne. "Dabei ist es uns aber wichtig, das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und uns regelmäßig unserer Grundlagen zu vergewissern, um gemeinsam nach vorne zu gehen", sagte Pressesprecher Christian Toussaint. Dies wünsche sich der BDKJ auch von der Bundesregierung, die bei den vielen aktuellen Krisen keine leichte Aufgabe habe und dennoch gemeinsam die Weichen für eine gute Zukunft stellen müsse.

Als Herausforderung für die Demokratie bezeichnete Toussaint es, "dass immer häufiger der Eindruck entsteht, in der politischen Debatte stehe nicht das Finden der besten Lösungen für alle im Vordergrund, sondern Streit und das Profilieren der eigenen Positionen". Dies gilt aus Sicht des BDKJ nicht nur für Politiker aus der Regierung, sondern auch für die Opposition. "Gerade junge Menschen wünschen sich eine Politik, die die großen Herausforderungen unserer Zeit angeht und positive Visionen für die Zukunft entwickelt." Dass dies mit Blick auf den 2021 ausgehandelten Koalitionsvertrag schon ausreichend geschehen ist, sieht der Verband nicht. Man habe zu Beginn der Koalition mehrere Projekte der drei Partner als positiv bewertet, die bisher leider noch nicht angegangen worden seien.

Misereor kritisiert "enttäuschende Signale" der Ampel

Das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor beklagte, dass in der Koalition immer wieder Projekte in Frage gestellt würden, die im Koalitionsvertrag beschlossen worden seien. "Deutschlands internationale Glaubwürdigkeit hängt auch an Vereinbarungen wie zum Beispiel der Klimafinanzierung, der Umsetzung des Lieferkettengesetzes und den Investitionen in internationale Kooperation", sagte der Leiter des Berliner Misereor-Büros, Jonas Wipfler. Dies betreffe etwa die zivile Konfliktbearbeitung, die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe. "Und gerade in diesen Bereichen sind die Signale der Ampel enttäuschend."

Man beobachte zudem mit Sorge, dass internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe vor dem Hintergrund immer neuer Ampelquerelen und innerdeutscher Debatten geschwächt würden. "Vor allem die Pläne der Ampelregierung, die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe so stark wie keinen anderen Etat zu kürzen, wird auf Kosten von Millionen Menschen in bitterer Armut gehen und zu weiteren Konflikten und Krisen und weniger Sicherheit und Frieden führen", mahnte Wipfler. Nach der Wahl von Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA stehe fest, dass Deutschland in den nächsten Jahren mehr in multilaterale Initiativen und humanitäres Engagement investieren müsse, um Grundlagen für menschenwürdige Lebensbedingungen weltweit und gesellschaftliche Befriedung herzustellen und nicht weniger. "Alles andere schafft neue Unsicherheiten und ist kurzsichtig."

Von Steffen Zimmermann