Machtasymmetrie sei die Rahmenbedingung der Zusammenarbeit

Leiterin für FSJ im Ausland: Wir wollen Kritik transparent ansprechen

Veröffentlicht am 31.12.2024 um 12:00 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 
Leiterin für FSJ im Ausland: Wir wollen Kritik transparent ansprechen
Bild: © privat

Osnabrück ‐ Aus postkolonialer Perspektive gibt es viel Kritik an Freiwilligendiensten im Globalen Süden. Im katholisch.de-Interview erklärt Regina Wildgruber vom Bistum Osnabrück, wie Auslandsfreiwilligendienste dennoch zukunftsfähig sein können.

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"Freiwillige inszenieren sich nur als Retter der Armen. Sie arbeiten ohne jegliche Qualifikation in Jobs, die sonst Fachkräfte übernehmen. Freiwilligendienste verstärken rassistische Vorurteile und sind ein Überbleibsel aus kolonialen Zeiten." Kritik wie diese wird immer wieder geäußert. Dennoch reisen jährlich ca. 3.500 Freiwillige über das staatliche "weltwärts"-Programm vom Globalen Norden in den Süden. Auch katholische Träger entsenden über dieses Programm Freiwillige für ein Jahr ins Ausland. Die Leiterin für Freiwillige Dienste im Ausland des Bistums Osnabrück, Regina Wildgruber, erklärt im Gespräch mit katholisch.de, warum sie dennoch nicht auf das Programm verzichten möchte.  

Frage: Frau Wildgruber, was ist die Rolle von Freiwilligen in einem Auslandsfreiwilligendienst wie ihn das Bistum Osnabrück anbietet? 

Wildgruber: Ein Freiwilligendienst ist nach unserem Verständnis ein Lerndienst. Die Freiwilligen sind keine Entwicklungshelfer, die in den Einsatzländern große Projekt vorantreiben. Für uns steht im Mittelpunkt, dass die Freiwilligen Erfahrungen im interkulturellen Dialog sammeln. Sie bringen Interesse und Zeit mit, aber keine beruflichen Kompetenzen. Die jungen Erwachsenen sollen sich so einbringen, wie sie es individuell können und wie es für unsere Partner und Partnerinnen vor Ort passt.  

Frage: Das Bistum Osnabrück entsendet Freiwillige etwa in Waisenhäuser und Schulen. Was sind denn Aufgaben, die junge Erwachsene dort erfüllen können? 

Wildgruber: Die Freiwilligen können alles machen, was jemand ohne Ausbildung machen kann. Im Waisenhaus unterstützen sie die Fachkräfte. Sie helfen beim Füttern, beim Wickeln oder beim Waschen. Wir bekommen von unseren Partnern aus den Einsatzstellen signalisiert, dass es wichtig ist, dass die Freiwilligen auch in diesen Institutionen da sind.  

„Die jungen Menschen erlernen in dem Jahr Kompetenzen, die wir gesellschaftlich und kirchlich brauchen.“

—  Zitat: Regina Wildgruber

Frage: Kritiker merken an, dass es für junge Kinder besonders schmerzhaft ist, sich nach einem Jahr von liebgewonnen Freiwilligen wieder zu lösen. 

Wildgruber: Dieser Punkt gilt genauso für Freiwilligendienste in Deutschland. In einem Jahr wachsen Beziehungen und es tut dann weh, wenn Freiwillige wieder gehen. Uns ist es aber wichtig, eine Einschätzung von unseren Partnern zu erhalten. Sie haben sich gewünscht, dass wir in diese Einrichtungen Freiwillige schicken und genau deswegen machen wir das auch. Kurzzeitfreiwillige von wenigen Wochen sehe ich in diesem Bereich aber auch kritisch.   

Frage: Welche Aufgaben können die Freiwilligen an Schulen übernehmen? 

Wildgruber: Das wird mit den Partnern vor Ort entwickelt. Sie unterstützen in der Regel das Lehrpersonal, unterrichten aber nicht selbst und nehmen keine Prüfungen ab. Wenn Freiwillige gerne vor einer Klasse stehen und ihnen das liegt, dann geht das auch. Dabei ist aber eine besondere Vorsicht gefragt. Es gibt Fälle, in denen die Freiwilligen von den Partnern in eine Rolle geschoben werden. Da muss man sehr gut aufpassen, dass keine Überforderung entsteht und keine unausgebildeten Freiwilligen unterrichten.  

Frage: Wie stellen Sie aus Deutschland sicher, dass beispielsweise Freiwillige in Uganda nicht überfordert sind?  

Wildgruber: Wir sind als Entsendeorganisation mit den Partnern vor Ort im Gespräch. Für die Zusammenarbeit brauchen wir eine gute und belastbare Beziehung. Alle zwei bis drei Jahre versuchen wir die Einsatzstellen zu besuchen, um eine gemeinsame Vorstellung der Freiwilligendienste zu erarbeiten. Dabei wollen wir kritisch sein und stetig auswerten, welche Aufgaben zu der Rolle der Freiwilligen passen und welche eben nicht. 

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Frage: Wie werden die Freiwilligen auf ihre Rolle im Globalen Süden vorbereitet? 

Wildgruber: Unsere Freiwilligendienste sind von einer massiven Machtasymmetrie geprägt. Das Thema Postkolonialität ist deswegen auf unseren Vorbereitungsseminaren nicht nur eine Randerscheinung. Wir ermutigen die Freiwilligen, kritisch auf ihren Dienst zu gucken. Es geht um die Fragen: Wie entsteht Rassismus? Was sind das für Strukturen, die hinter einem Freiwilligendienst stecken? Wir wollen die Kritikpunkte nicht verstecken oder verschweigen, sondern wir wollen transparent darüber sprechen. Immer die Kritik mitzudenken, ist eine gute Prophylaxe, um nicht in eine Haltung von White Saviorism hineinzukommen. 

Frage: Wo zeigen sich diese Machtasymmetrien im Freiwilligendienst? 

Wildgruber: Wir bewegen uns in einer wirtschaftlichen Situation, die ungleich ist und die von kolonialen Kontinuitäten geprägt ist. Einfach gesagt, wir haben viel mehr Geld als unsere Partner und Geld ist immer auch ein Machtfaktor. Unsere Freiwilligen bekommen ein Taschengeld und das ist teilweise erheblich höher als das, was jemand vor Ort durch einen Vollzeitjob erarbeitet.  

Frage: Wie funktioniert eine gleichberechtigte Zusammenarbeit, wenn es derart große Machtasymmetrien gibt? 

Wildgruber: Unsere Einsatzstellen sind fast alle aus einem partnerschaftlichen Kontext entstanden. Der gemeinsame Wunsch, Freiwillige zu begleiten, ist die Basis unserer Partnerschaft. Dennoch prägt die Machtasymmetrie die Rahmenbedingung der Zusammenarbeit. Solange die wirtschaftlichen Verhältnisse so sind, wie sie sind, wäre es eine Lüge von einem Verhältnis auf Augenhöhe zu sprechen. Man kann deswegen das ganze Projekt infrage stellen. Aber ich will auf keinen Fall darauf verzichten.  

„Aktuell sind Freiwilligendienste eine ziemliche Einbahnstraße vom Norden in den Süden.“

—  Zitat: Regina Wildgruber

Frage: Warum möchten Sie nicht auf die Freiwilligendienste verzichten?  

Wildgruber: Wir sehen, was das Jahr für Lernprozesse bei den Freiwilligen ausgelöst. Sie kehren sensibilisiert und politisiert zurück nach Deutschland. Das ist in der jetzigen Situation, in der globale Zusammenarbeit immer mehr angefragt wird, unendlich wichtig. Die jungen Menschen erlernen in dem Jahr Kompetenzen, die wir gesellschaftlich und kirchlich brauchen. Die Erfahrung, irgendwo fremd zu sein und zu verstehen, welche Herausforderungen Menschen in Ghana oder in Indien haben, tragen die Freiwilligen auch in ihr Umfeld in Deutschland.  

Frage: Und wie profitieren die Partner in den Einsatzländern von den Freiwilligen? 

Wildgruber: In vielen unserer Partnerländer herrscht eine Kultur, in der es etwas sehr Positives ist, Leute als Gäste zu empfangen. Es gibt eine Neugierde gegenüber den Freiwilligen, die teilweise vom anderen Ende der Welt kommen. Gäste zu haben, ist etwas Schönes und nichts, was in erster Linie anstrengend oder nervig ist. Für die Partner sind das einfach zwei Hände mehr, die etwas tun können. 

Frage: Ist das Modell trotz der Kritikpunkte zukunftsfähig? 

Wildgruber: Aktuell sind Freiwilligendienste eine ziemliche Einbahnstraße vom Norden in den Süden. Ich hoffe sehr, dass sich das noch weiter ändern wird. Wir haben bereits ein kleines Süd-Nord-Programm, über das gerade vier Freiwillige bei uns im Bistum sind. Es gibt schon Träger, die so viele Freiwillige entsenden, wie sie auch einladen zu kommen. Dabei zeigen sich wieder vorhandene Machtasymmetrien. Freiwilligenplätze sind bei uns viel teurer als in Ghana. Wir sind darauf angewiesen, dass wir weiter gut finanziert werden, nur so können wir das Programm weiter ausbauen. Ich weiß aber, dass wir das möchten und dass unsere Partner das möchten. Meine Hoffnung ist, dass wir irgendwann eine 50-50 Gruppenverteilung ermöglichen können.  

Von Beate Kampen