Ramona Gillis und Jan Jäger lebten in Klausur mit Ordensleuten

Freiwillig für ein Jahr ins Kloster – Wenn junge Menschen aussteigen

Veröffentlicht am 17.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ramona Gillis und Jan Jäger wollten beide aus ihrem Alltag aussteigen, um Kraft zu tanken. Und das aus ganz unterschiedlichen, teils sogar traurigen Beweggründen. Die Idee, für eine längere Zeit in einem Kloster zu leben, kam bei beiden jedoch gerade rechtzeitig.

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Ramona Gillis hatte als Kind eigentlich gute Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Die heute 41-Jährige ministrierte in ihrer Kirchengemeinde, war bei Ausflügen dabei und ihre Eltern engagierten sich bei Kolping in Ebersburg. Nach der Schule machte Gillis eine Ausbildung zur Konditorin, später wurde sie Chemisch-Technische Assistentin. Danach arbeitete sie als Laborantin in einer Molkerei und war für die Herstellung von Babynahrung zuständig. Doch die Schichtarbeit im Betrieb wird ihr zu anstrengend. "Wir haben rund um die Uhr produziert", blickt Gillis zurück. Damals dachte sie über eine Auszeit nach. Gemeinsam mit ihrer Frau, mit der sie seit 2009 zusammenlebt, kam sie auf die Idee, für eine gewisse Zeit in ein Kloster zu gehen, um dort mit der Gemeinschaft mitzuleben. Doch Gillis war unsicher, ob sie als queere Christin in einem Kloster überhaupt willkommen ist. "Ich hatte früher in meiner Heimatgemeinde negative Erfahrung gemacht, weil ich lesbisch war", berichtet sie. "Und dann habe ich mich nicht mehr wirklich in die Kirche getraut". Auch weil ihr Heimatpfarrer nicht so positiv zu dem Thema eingestellt war.

Doch Schwester Joanna Jimin Lee von den Missionarinnen Christi aus München nahm ihr die Zweifel. Die Ordensfrau koordiniert die Bewerbungen für ein Freiwilliges Ordensjahr im Auftrag der Deutschen Ordensoberenkonferenz. Sie empfiehlt Gillis das Kloster der Franziskanerinnen in Vierzehnheiligen. Dort gab es eine Schwester, die während des kirchlichen Reformprozesses des Synodalen Weges bewusst mit einer Regenbogenmaske auftrat und sich für queere Menschen in der Kirche einsetzte. "Ich dachte, das Kloster ist bestimmt aufgeschlossen und die nehmen mich", berichtet Gillis. Genau so war es auch. Die 41-Jährige fühlte sich bei den Schwestern von Anfang an wohl und akzeptiert. Weil sie im Kloster per Vertrag angestellt wurde, kündigte sie ihre frühere Arbeitsstelle in der Molkerei und zog in das Kloster ein. Vorerst für ein halbes Jahr, später verlängerte sie auf ein ganzes Jahr. Dort im Kloster half Gillis im Garten mit und konnte so viel draußen sein, anders als bei ihrer früheren Arbeitsstelle. Das genoss sie. Nach dem Mittagsgebet übernahm sie Aufgaben in der Klosterküche, spülte Geschirr, putzte Fenster und die Gänge. Das handwerkliche Arbeiten tat ihr gut. "Die Schwestern waren für alles, was ich für sie tat, so dankbar", meint Gillis. Weil das Kloster Vierzehnheiligen mehr als zwei Stunden von ihrem Heimatort entfernt liegt, fährt sie  nur selten nach Hause. "Die Trennung von meiner Frau war anfangs schwer", blickt sie zurück,. Dass Ramona Gillis eines Tages selbst ins Kloster eintreten und Ordensfrau werden würde, war von vornherein ausgeschlossen. "Ich bin ja verheiratet", sagt die Ordensjahrteilnehmerin.

Bild: ©Kloster der Franziskanerinnen von Vierzehnheiligen

Schwester Dorothea Köhler (rechts) begleitete Ramona Gillis (links) während ihres freiwilligen Klosteraufenthalts in Vierzehnheiligen.

Vor allem die spirituellen Angebote im Kloster sowie das tägliche Stundengebet mit der Gemeinschaft der Schwestern genoss Gillis sehr, sie taten ihr gut. "Wenn ich abends mal nicht zur Vesper konnte, fehlte mir etwas", sagt die Ordensjahrteilnehmerin. Doch im Kloster erlebte sie auch schwere Momente. Einmal, als sie an Corona erkrankte, verbrachte sie einige Tage allein auf ihrem Zimmer. Diese stille Zeit nutzte Ramona Gillis zum Nachdenken und Beten. Die feste Tagesstruktur im Kloster half der 41-Jährigen, sich wieder neu für ihren Alltag zu orientieren. Die Ordensfrauen in Vierzehnheiligen förderten zudem ihre Begabungen. So spielte Gillis während der Gottesdienste in der Klosterkirche auf dem Klavier oder mit dem Saxofon. Sie habe im Kloster viel Selbstvertrauen für ihr Leben gewonnen, erklärt Gillis. Und sogar eine neue Arbeitsstelle gefunden. Ab Herbst wird sie in einem anderen Betrieb arbeiten, ohne Schichtdienst. Darauf freut sie sich schon. "Das Ordensjahr war wie ein Neustart für mich", fasst Gillis zusammen. Nach ihrem Abschied möchte sie weiterhin in Kontakt mit den 36 Schwestern von Vierzehnheiligen bleiben. Manche der älteren Ordensfrauen seien ihr richtig ans Herz gewachsen. Weil ihr Glaube während der Zeit im Kloster gewachsen sei, will sich Ramona Gillis wieder mehr in ihrer Kirchengemeinde einbringen und regelmäßiger die Gottesdienste besuchen. "Gott nimmt mich an, so wie ich bin", betont die Ordensjahrteilnehmerin. Das haben ihr die Schwestern von Vierzehnheiligen mehrfach bestätigt.

Teilnehmende des Ordensjahrs sollen nicht als billige Arbeitskraft ausgenutzt werden

Dass der Aufenthalt von Gillis auch ein Gewinn für die Franziskanerinnen von Vierzehnheiligen war, davon ist Schwester Dorothea Köhler überzeugt. Die Ordensfrau arbeitet in einer Vater-Mutter-Kind-Einrichtung des Klosters und hat Ramona Gillis das Jahr über begleitet. Die 41-Jährige habe eine Lebendigkeit in die Gemeinschaft gebracht, die uns allen gutgetan hat, sagt die Franziskanerin. Nur sei das Freiwillige Ordensjahr kein Urlaub für die Teilnehmer, erklärt sie, weil sie in der Gemeinschaft mitleben und an den regelmäßigen Essens- und Gebetszeiten der Schwestern teilnehmen. Das sei herausfordernd und mit gegenseitiger Verantwortung verbunden

In Vierzehnheiligen gab es früher schon einmal ein ähnliches Modell, das das Mitleben von Interessierten in der Gemeinschaft ermöglichte. Eine Teilnehmerin dieses "Klosters auf Zeit" gehöre bis heute zur Klostergemeinschaft, freut sich Schwester Dorothea. Doch das sei selten, es gehe nicht darum, neue Mitglieder durch solch ein Angebot anzuwerben. Rund zehn Teilnehmende begleitet und vermittelt die Deutsche Ordensoberenkonferenz (DOK) jedes Jahr an unterschiedliche Klöster. Doch nicht jeder Bewerber werde angenommen, man habe auch Kriterien für die Auswahl, so die Franziskanerin. Das Kloster soll kein Schutz- oder Schonraum sein, denn die Bewerber müssten psychisch belastbar sein. Wer mag, kann im Kloster geistliche Begleitung in Anspruch nehmen. Dort werden Lebensfragen aufgegriffen. Andere möchten sich beruflich neu orientieren oder ihre spirituelle Ressourcen erneuern. Weil sich die Ordensjahrteilnehmer konkret in die Klostergemeinschaft einbringen, sollten sie nicht als billige Arbeitskraft ausgenutzt werden, betont Schwester Dorothea. Daher werde ihre Mithilfe und Arbeit im Kloster bezahlt, nur die Kosten für Unterhalt und Verpflegung übernehmen die Teilnehmer selbst. Schwester Dorothea ist von der Idee des Freiwilligen Ordensjahres begeistert, denn diese Öffnung für Menschen von außerhalb sei eine wichtige Vernetzung, um mit Anderen das Leben zu teilen und wichtig, um als klösterliche Gemeinschaft eine Zukunft zu haben, meint die Ordensfrau.   

Bild: ©Bruder Elias König/Abtei St. Ottilien

Benediktinerbruder Lazarus Bartl (links) begleitet Jan Jäger (rechts) während seines Aufenthalts in der Erzbabtei Sankt Ottilien.

Jan Jäger hat ein Freiwilliges Ordensjahr in der Erzabtei Sankt Ottilien gemacht. Der 25-jährige frühere Student ist überzeugt, dass er dort in der Benediktinergemeinschaft eines Tages fehlen würde. Schon Ende Juli ist sein Ordensjahr dort zu Ende gegangen. "Im Kloster habe ich überall ein bisschen Feuerwehr gespielt", berichtet Jäger. Auch er war per Arbeitsvertrag im Kloster angestellt und half zum Beispiel in der Geflügelwirtschaft aus, reinigte die Hühnerställe, unterstützte die Arbeit im Hofladen, war in der Klosterwäscherei tätig und verteilte die Warenlieferungen im Klosterdorf. Nebenher übernahm der 25-Jährige Fahrdienste für die klostereigene Krankenstation und brachte ältere Ordensbrüder zum Arzt oder ins Krankenhaus. Noch 66 Brüder leben in der Erzabtei Sankt Ottilien. Der älteste davon ist Bruder Almarich. Obwohl er schon 93 Jahre alt ist, ist er gut zu Fuß unterwegs, berichtet Jäger.

Von Anfang an hat sich der frühere Student der Klostergemeinschaft zugehörig gefühlt. Bevor er nach Sankt Ottilien kam, durchlebte er eine schwere Zeit. Nacheinander wurden Angehörige seiner Familie pflegebedürftig oder starben. Das nahm den 25-Jährigen so sehr mit, dass er Hilfe in Anspruch nahm und eine Therapie begann. Die Zeit im Kloster wurde für ihn wie ein Anker für sein Leben. Obwohl er früher mit Kirche und Glauben wenig zu tun hatte. "Ich bin ungetauft", erzählt Jäger. Seine Eltern wollten ihm die Entscheidung selbst überlassen, ob er eines Tages katholisch werden möchte oder nicht. Zum Leidwesen seiner Uroma, erinnert sich Jäger, der im Ruhrgebiet aufwuchs. Schon in der Schulzeit begann er sich für das Christentum und das Leben von Mönchen zu interessieren. Nach dem Abitur macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Jugendheim und betreute nachmittags die Schüler der dortigen Ganztagesschule. Später begann Jäger, Geschichte und Katholische Theologie zu studieren. Die abendländische Entwicklung des Klosterwesens interessierte ihn damals schon. Doch Jäger brach sein Studium ab. Es wurde ihm alles zu viel, nachdem sein Ziehvater, seine beiden Großmütter und sein Großvater kurz nacheinander verstarben.

Ich war neugierig auf das Leben im Kloster

Dann beschloss Jan Jäger, sich eine Auszeit in einem Kloster zu nehmen. Ein Studienfreund erzählte ihm vom Freiwilligen Ordensjahr. "Ich wollte das Kloster nicht als Therapieersatz, sondern als Kraftort entdecken", unterstreicht Jäger. Als Schwester Joana von der Deutschen Ordensoberenkonferenz ihm die Benediktinergemeinschaft von Sankt Ottilien empfiehlt, spürt er gleich, dass das wie ein Neustart für ihn werden könnte. Von Anfang an fühlt er sich in der Klostergemeinschaft wohl, ein Bruder dort begleitet ihn die ganze Zeit über. Sogar den früheren Alt-Abt Notker Wolf hatte Jäger noch persönlich kennen gelernt. "Ich war neugierig auf das Leben im Kloster, wollte wissen, welche Menschen sich auf so ein Leben in Klausur einlassen", sagt der 25-Jährige. Gleichzeitig erlebt er dort, wie drei junge Männer, die sich erst ernsthaft für ein Leben im Kloster interessierten, dieses nach einiger Zeit wieder verlassen. Es werde nicht jeder in die Gemeinschaft aufgenommen, meint Jäger.

Dass er ungetauft ist, störte im Kloster niemanden, war aber gelegentlich Thema in Gesprächen mit den Brüdern dort, berichtet Jäger. Bestimmt hätten sich der eine oder andere darüber gefreut, wenn er sich im Kloster hätte taufen lassen. "Doch mein Glaube braucht noch Zeit", bemerkt Jäger nachdenklich. Zur regelmäßigen Teilnahme am Chorgebet der Brüdergemeinschaft fühlte er sich zwar verpflichtet, gleichzeitig gab ihm das regelmäßige Gebet Struktur für den Alltag. Sogar Gesangsunterricht hat der frühere Student im Kloster erhalten, obwohl er zuvor nie gesungen hatte. Jetzt mag er es gerne. Auch nach seinem Freiwilligen Ordensjahr möchte Jan Jäger weiterhin mit den Brüdern von Sankt Ottilien verbunden bleiben und digital an den Gebetszeiten der Gemeinschaft teilnehmen. Jan Jäger freut sich darüber, dass er im Kloster viele tragende Antworten auf Lebens- und Sinnfragen erhalten hat. Auch sein Glaube habe davon profitiert. Nun geht es für den 25-Jährigen erneut zum Studium nach Köln. Denn jetzt hat er einen klaren Berufswunsch: Er möchte Bibliothekar werden. Zwar war während seines Aufenthalts in Sankt Ottilien die Zeit zu knapp, um einmal in der Klosterbibliothek oder im Archiv mitzuhelfen, doch jetzt kann er sich einen festen Arbeitsplatz dort gut vorstellen. Oder in einer anderen Bibliothek. So genau weiß der baldige Student das noch nicht. Jetzt ist er dankbar, endlich wieder konkrete Ziele für seine Zukunft zu haben. 

Von Madeleine Spendier