Ordensmann: Erschrocken über konservative Haltung mancher Priester
Früher betrachtete ich das Leben oft in Schwarz-Weiß. Doch im Laufe der Zeit habe ich erkannt, dass das Leben viel bunter und facettenreicher ist. Seit 17 Jahren bin ich nun in Deutschland. Im Jahr 2007 wurde ich aufgrund eines Vertrags zwischen meiner Heimatprovinz und der Deutschen Karmelitenprovinz nach Deutschland geschickt, um zu promovieren.
Im März 2007 flog ich von Kochi in Indien nach Frankfurt. Dort wurde ich abgeholt, und wir fuhren mit dem Auto über die Autobahn nach Würzburg. Alles war neu und vor allem sehr anders. Deutschland empfing mich regnerisch, dunkel, abweisend. Vom ersten Augenblick an vermisste ich das Licht und die gewohnte Helligkeit meiner Heimat. Erst in Deutschland habe ich gelernt, die Sonne wirklich zu schätzen. In meiner Heimat scheint sie jeden Tag hell und klar. Eine solch schwarze Dunkelheit, wie ich sie in Deutschland erlebte, kannte ich nicht. Diese Dunkelheit verwirrte und ängstigte mich, es war fast wie ein Schock.
Außerdem erlebte ich in Deutschland eine ganz andere Mentalität als in meiner Heimat. In Indien sind die Menschen sehr spontan und warmherzig. Sie grüßen einander, lächeln einander zu und sind hilfsbereit – auch und gerade Fremden gegenüber. Wir brauchen keinen Termin, um Freunde und Familie zu treffen oder Gäste aufzunehmen. Als Kind habe ich oft die aufgeschlossene, indische Gastfreundschaft erlebt, besonders die meiner Mutter. An der Universität in Würzburg war alles anders: Die Studenten liefen an mir vorbei, nickten mir nicht zu und nahmen keine Notiz von mir. Ich fühlte mich allein, unerwünscht, verlassen. Nach drei Monaten wollte ich zurück nach Indien.
Warum bin ich in Deutschland geblieben?
Warum bin ich dennoch in Deutschland geblieben? Dafür gibt es zwei Gründe: Ich hatte das große Glück, Studenten aus dem CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen) kennenzulernen. Diese netten, weltoffenen Studenten besuchten auch Vorlesungen der katholischen Theologie und luden mich zu vielen ihrer Veranstaltungen ein. So lernte ich, Deutschland mit anderen Augen zu betrachten und zu verstehen. Auch wenn nicht alle Menschen in Deutschland immer freundlich waren, so waren sie meistens doch sehr ehrlich und glaubwürdig. Die zweite Motivation, in Deutschland zu bleiben, war die Unterstützung meiner Familie und besonders die Aufmunterung durch meinen Bruderpriester, Pfarrer Rexon Chullickal, der seit November 2017 in Irland tätig ist. Meine Erfahrung in Deutschland ist nicht einseitig wie bei vielen ausländischen Priestern. Ich habe ein Stück von allem erfahren. Zuerst als promovierender Priester in einem deutschen Kloster in Unterfranken, später als Kaplan in einer Pfarrei im Rheinland und dann als Schulseelsorger und Religionslehrer in einer Schule im Rheinland.
Seit sechs Jahren bin ich Prior der Ordensgemeinschaft auf dem Michaelsberg in Siegburg. Der erste Deutsche, der auf mich einen bleibenden Eindruck machte, war mein Doktorvater, der Pastoraltheologe Professor Erich Garhammer. Er ermutigte und bestärkte mich, wenn ich am Anfang ein wenig unsicher und orientierungslos war. Die Gespräche mit ihm und seinem damaligen Assistenten Herrn Spielberg haben mein Denken und meine Perspektive über die Kirche stark beeinflusst. Natürlich hatte mein Philosophie- und Theologiestudium in Indien bereits meinen Horizont erweitert. In meiner Heimat war es mir aber leider nicht möglich, dieses Denken weiterzuentwickeln. Indien ist ein Land, das seine Einheit trotz der Vielfältigkeit bewahrt hat. Doch die Vielfalt des Denkens und der Meinungsunterschiede zu respektieren, das lernte ich erst in Deutschland. Was mir an der deutschen Universität besonders gut gefiel, waren die akademische Freiheit und die kritische Diskussionskultur. Das gab es zu meiner Zeit in meiner Heimat nicht.
Die mangelnde Kenntnis deutscher Kultur in Kombination mit meiner indischen Verhaltensweise und Spontanität brachte mich manchmal in unangenehme Situationen. Die Umstellung vom pastoral-orientierten indischen Kloster auf ein der Tradition verbundenes deutsches Kloster war nicht leicht. Die Art des klösterlichen Lebens in Deutschland war für mich völlig neu. Als Ordenspriester in Indien lebt man kein zurückgezogenes Leben, sondern ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Als Priester und Ordensmann in Indien bin ich immer für die Menschen da. Sie sind die Mitte allen pastoralen Handelns. In Indien bezieht sich mein Wirkungsbereich nicht nur auf Katholiken, sondern auch auf andere Christen und sogar auf Menschen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass die deutsche Kirche beziehungsweise die deutschen Klöster die Verbindung zur Lebenswirklichkeit der Menschen verloren haben und fast eine Ghetto-Mentalität leben. Meines Erachtens leben sie entweder ganz für sich oder sind mit einer bestimmten Gruppierung der Kirche verbunden. Wobei es natürlich auch viele Ausnahmen gibt. Ich halte die karmelitanische beziehungsweise teresianische Spiritualität für eine inklusive und allumfassende Spiritualität, nicht nur für Katholiken oder Christen, sondern auch für alle Gläubigen, sogar für Atheisten. Ich erkenne deutlich eine starke Spannung zwischen beiden Formen des klösterlichen Lebens. Auf der einen Seite in vielen deutschen Klöstern die stark regelunterworfene Form mit einem gewissen Abstand zum Mitmenschen, die viel Wert auf die Privatsphäre des Einzelnen legt. Auf der anderen Seite in Indien das genaue Gegenteil: die intensive Zuwendung zum Mitmenschen, meistens ohne Anspruch auf Privatsphäre. Dadurch wird das stark regelunterworfene Leben manchmal ein wenig außer Acht gelassen.
Überrascht von den weiblichen Mitarbeiterinnen, die den Pastor kritisierten
Zuerst war ich in einer Pfarrei in Heidingsfeld im Bistum Würzburg als mitarbeitender Priester tätig. In dieser Pfarreiengemeinschaft waren im Pastoralteam auch vier Frauen. Ich war sehr überrascht von den weiblichen Mitarbeiterinnen, die den Pastor direkt kritisierten. Es dauerte eine Weile, bis ich es verstand. Durch die Zusammenarbeit mit ihnen habe ich neue Einblicke in die deutsche Art der Seelsorge gewonnen. Auch in Indien engagieren sich viele Frauen für ihre Gemeinden. Aber was mir hier auffiel, war die Gleichberechtigung der Frauen und ihre Freiheit, ihre eigene Meinung zu äußern. In Indien beschränkt sich die Rolle der Frauen in der Kirche auf den Religionsunterricht und die Führung kleiner christlicher Gemeinschaften. Die Erfahrung, dass eine Frau in einer Pfarrei ihre Meinung zu einem pastoralen Thema deutlich und klar äußerte, war für mich neu.
In Indien ist es für eine Frau nicht immer leicht, dem Priester auf Augenhöhe zu begegnen. Begegnung auf Augenhöhe ist für mich jedoch ein notwendiger Bestandteil eines gesunden Priester- beziehungsweise Kirchenbildes. Die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Perspektiven, Geschlechtern und Ideologien prägt mich stark in Deutschland. Indien ist ein multireligiöses Land mit unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen. Für mich war es in der Schule selbstverständlich, mit einer Studentin oder einem Studenten einer anderen Religion zusammen zu spielen oder Freizeitaktivitäten zu unternehmen. Toleranz war immer ein großes Kennzeichen der indischen Kulturen, trotz der wachsenden nationalistischen Ideologie einiger Politiker. Doch diese Toleranz hat ein anderes Gesicht, wenn es um die eigene religiöse Überzeugung geht. Als Kaplan einer indischen Pfarrei verzichtete ich auf einen Familienbesuch, weil die katholische Frau mit einem Mann anderer Religion verheiratet war. Damals hielt ich dieses Paar für verdammt. Ich identifizierte Kirche und Pfarrei mit Christus und dachte, nur der Pfarrer habe die Schlüssel zum Heil.
„Ich hatte in Deutschland volksnahe Priester erwartet und war erschrocken über die konservative Haltung mancher. Der konservative, manchmal prachtvolle Auftritt und die unfreundlichen Gesichter mancher Priester überraschten mich.“
Die Zeit meiner Promotion in Würzburg, in der ich durch die Begleitung meines Doktorvaters Professor Garhammer lernte, mit Unterschiedlichkeiten gelassen umzugehen, war sehr wichtig für mich. Obwohl viele Priester und Ordensleute in der Mitte der indischen Gesellschaft verankert sind, vertreten sie trotz ihres caritativen Engagements oft eine triumphalistische, in sich verstrickte Kirche, in der Rituale überbetont werden. Das war auch mein Priesterbild. Ich hatte in Deutschland volksnahe Priester erwartet und war erschrocken über die konservative Haltung mancher Priester. Der konservative, manchmal prachtvolle Auftritt und die unfreundlichen Gesichter mancher Priester überraschten mich. Diese Haltung, die ich bei den von der Aufklärung geprägten deutschen Priestern nicht erwartet hatte, bewirkte einen großen Abstand zwischen den Priestern und den Gläubigen.
Dieser Abstand hat oft nur mit dem äußerlichen disziplinären Aspekt der Liturgie zu tun, nicht aber mit der persönlichen Gottesbeziehung des Einzelnen. Wie weit kann die Bürokratie der deutschen Pastoral menschenfeindlich wirken? Diese Frage stellte sich mir in meinem pastoralen Dienst immer wieder. Trotz aller genannten Probleme der deutschen Pastoral bewundere ich die Vielfalt der Angebote der deutschen Kirche. Man findet hier Angebote für alle Altersgruppen und Zielgruppen. Ich stelle fest, dass die deutsche Kirche gute Planungen und Organisationen hat. Auch die Ehrenamtlichen spielen eine wichtige Rolle. Der Umgang mit ihnen hat mir ein völlig neues Bild von den deutschen Gemeinden vermittelt. Meine Meinung ist: Auf der einen Seite gibt es viele vorbildliche Katholiken in Deutschland, die selbstlos für ihre Gemeinde leben und ein Leben nach dem Evangelium gestalten. Auf der anderen Seite findet man selbstgerechte Gläubige, unabhängig von ihrer Haltung. Es gibt nicht nur konservative Intoleranz, sondern auch liberale Intoleranz. Was den deutschen Gemeinden zu schaffen macht, ist die sinkende Anzahl der Menschen, die diese Angebote nutzen wollen.
"In Deutschland wird viel Wert auf die aktuellen Aussagen des Papstes gelegt"
In Indien ist die Situation umgekehrt: Wir haben die Gläubigen, aber es fehlen effiziente Planungen, Organisationen und tiefsinniges Nachdenken über den Glauben. Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich manche Themen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht ausreichend ernst genommen. In Indien sind Themen wie der Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften und die Option für die Armen wichtiger. In Deutschland sind andere Themen des Konzils, wie das Frauenpriestertum, der Zölibat der Priester und die Wiederaufnahme Geschiedener, aktueller und brennen den Gläubigen unter den Nägeln. Hier wird viel Wert auf die aktuellen Aussagen des Papstes zu diesen Themen gelegt, was in meiner Heimat selten der Fall ist.
Mein Umgang mit Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist vor allem durch meine Aufgabe als Schulseelsorger und Religionslehrer geprägt. In Indien ist Religion und die Suche nach Gott beständiger Teil des Lebens, nicht nur der Erwachsenen, sondern auch der Kinder und Jugendlichen. Grundfragen über Gott und Religion muss ich dort nicht erklären. Als Kaplan einer indischen Pfarrei habe ich mich intensiv mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt und konnte sie immer gut motivieren und in ihnen den Glaubensfunken entzünden. In Indien haben wir starke, gesunde, unterstützende Familien in der Gemeinde. In Deutschland ist die Situation anders. Oft habe ich Mitleid mit Kindern und Jugendlichen, die unter den Folgen von Scheidung und Trennung der Eltern leiden. In diesen und vielen anderen Familien wird kaum noch christliches Leben gelebt und vorgelebt. Kinder und Jugendliche sind die Zukunft der deutschen Gesellschaft und Kirche. Daher halte ich es für wichtig, dass Priester und Ordensleute in Deutschland eine gesunde Beziehung zu Kindern und Jugendlichen entwickeln und Begeisterung für den Glauben vermitteln. Dabei ist es wichtig, die gelebten Vorbilder des Evangeliums und das Leben der Heiligen aufzuzeigen.
In Indien stand ich als Priester oft unter dem Druck, vollkommen sein zu müssen. Ich glaube, dass dieser Vollkommenheitsanspruch vielen Priestern und der gesamten Kirche Schaden zugefügt hat. Diesen Anspruch verlangte ich auch von den Gläubigen. Die Erkenntnis, dass auch Priester nicht vollkommen sind, habe ich erst in Deutschland gewonnen. Wir kennen den Begriff "verwundeter Heiland". Ich glaube, dass nur derjenige die Wunden anderer heilen kann, der selbst verwundet ist. Wenn ich als Priester schwach und verwundet bin, dann bin ich stark und kann andere stärken und heilen. Das hilft mir, ein glaubwürdiges Leben trotz meiner Schwächen zu führen. Die tröstende Botschaft unseres Glaubens ist, dass Gott uns liebt, wie wir sind. Es gab und gibt also angenehme und unangenehme Phasen und Erfahrungen während meines Aufenthalts in Deutschland. Trotzdem sehe ich diese Zeit als eine Phase der gegenseitigen Befruchtung. Es gab und gibt Nehmen und Geben. In vielen Bereichen meines pastoralen und akademischen Lebens ist dieses Geben und Nehmen sehr wichtig und ergiebig. Zu einem guten Rezept für eine globale Seelsorge oder Pastoral der Weltkirche gehört sicher beides: die indische Herzlichkeit und Spontanität sowie die deutsche Fähigkeit zur guten Organisation, die deutsche kritische und nachdenkliche Glaubensdiskussion und die indische intensiv gelebte Glaubenspraxis.
Zur Person
Pater Dr. Rockson Chullickal wurde 1974 in Kaschmir in Indien geboren und gehört der Gemeinschaft der Unbeschuhten Karmeliten OCD an. Er gehört der indischen St. Pius X. Provinz Manjumal in Kerala an. Der Ordensmann ist seit 2018 Prior der Ordensgemeinschaft auf dem Michaelsberg in Siegburg und Pfarrvikar in der Pfarrei St. Johannes in Lohmar. Außerdem ist der Ordensmann Vorstandsvorsitzender des Verbandes ausländischer katholischer Orden in Deutschland und geistlicher Beirat der Teresianischen Karmel Gemeinschaft in Köln.
Hinweis
Der Gastbeitrag ist zuerst in der Ordenskorrespondenz der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) erschienen.