Burger: "Wenn wir die Hoffnung aufgeben, verspielen wir alles"
In angstmachenden und kriegerischen Zeiten darf die christliche Friedenshoffnung nicht kleingeredet werden: Davon ist der Freiburger Erzbischof Stephan Burger überzeugt. Im Interview erinnert Burger an das Leid der Ukrainer, blickt voraus auf seine Auslandsreisen 2025 und verspricht, die Kirche tatsächlich im Dorf zu lassen.
Frage: Herr Erzbischof, mit dem Ukraine-Krieg ist der Krieg zurück in Europa. Die Bundeswehr will mit dem "Operationsplan Deutschland" den Kriegsfall vorbereiten. Warum protestieren die Kirchen mit ihrer Friedensbotschaft nicht gegen die Aufrüstung und Militarisierung?
Burger: Die Antwort auf den russischen Angriffskrieg muss eine militärische Unterstützung für die Ukraine beinhalten. Das Recht auf Selbstverteidigung ist auch aus christlichem Sinn geboten. Wir dürfen das Land nicht einfach einem von außen kommenden Aggressor und damit seinem Schicksal überlassen.
Ich wünsche mir aber gleichzeitig, dass wir zu Friedensverhandlungen kommen, um das Leid und Sterben zu beenden. Dass wir für eine langfristige Friedenssicherung auf militärische Abschreckung nicht verzichten können, steht für mich außer Frage.
Frage: Also eine weitere Aufrüstung?
Burger: Das macht mir große Sorgen, aber ich sehe derzeit keine andere Lösung.
Frage: Ist dann aber die christliche Friedenshoffnung an Weihnachten überhaupt noch glaubhaft? Auch im Blick auf die vielfach vergessenen Kriege – etwa im Sudan?
Burger: Wenn wir diese Grundhoffnung aufgeben würden, wäre alles verspielt. Uns Christen trägt diese Hoffnung – trotz allen Unrechts und Leids. Wir stehen in der Pflicht, für den Frieden zu arbeiten, auch wenn er noch so schwer zu erreichen ist. Auch das ist ein Teil der christlichen Weihnachtsbotschaft.
Frage: 2018 waren Sie im syrischen Aleppo, das jetzt erneut ins Zentrum des Bürgerkriegs gerückt ist. Wie werten Sie die neue Eskalation?
Burger: Das Leid und die Zerstörung waren schon damals unerträglich. Es ist ein Skandal, dass es uns als Weltgemeinschaft nicht gelungen ist, diesen Konflikt und das Elend der Syrer zu beenden.
Frage: Mit den kirchlichen Hilfsorganisationen Caritas international und Misereor werden Sie auch 2025 viel außerhalb des Südwestens unterwegs sein: beispielsweise in kirchlichen Entwicklungsprojekten in Sri Lanka, in der Ukraine und bei einem Besuch im Caritas-Hospital in Bethlehem. Was treibt Sie dabei an?
Burger: Ziel der kirchlichen Entwicklungsarbeit ist immer eine Begegnung auf Augenhöhe. Es braucht eine Wertschätzung für die Menschen und keine überheblichen Konzepte der reichen Europäer. Die kirchlichen Hilfsorganisationen wollen dazu beitragen, im Austausch mit den Betroffenen gemeinsame Schritte zu planen, um die konkrete Situation zu verbessern. Es macht mich betroffen – und relativiert gleichzeitig viele politische Debatten bei uns – wenn ich hautnah erlebe, wie Menschen täglich um ihre Existenz kämpfen müssen.
Frage: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gehört jetzt nur noch weniger als die Hälfte der Bürger einer christlichen Kirche an. Die Mehrheit fährt also offenbar gut damit, auch ohne Gott ethisch und werteorientiert zu leben. Wie würde eine Gesellschaft ohne Christen und Kirchen aussehen?
Burger: Eigentlich will ich mir dieses Szenario gar nicht ausmalen, wenn all das wegfallen würde, was Christen und Christinnen für das gesellschaftliche Miteinander auf Grundlage der Frohen Botschaft Jesu leisten: im Sozial-Caritativen, in der Bildung in der Kultur. Wie arm wäre unser Land! Wer will sich unseren Kulturraum ohne den Kirchturm als Zentrum von Dörfern und Gemeinden vorstellen? Wir Christen werden in den nächsten Jahren weniger, unsere finanziellen Spielräume werden enger. Dennoch ist unübersehbar, dass wir viel zu einem offenen, wertebasierten Miteinander beitragen.
Frage: Was heißt das konkret – zum Beispiel für die katholischen Schulen? Die sind teuer. Viele Bistümer in ganz Deutschland fangen jetzt an, auch traditionsreiche katholische Schulen zu schließen.
Burger: Schulschließungen stehen im Erzbistum Freiburg nicht zur Debatte. Wir tun alles dafür, um das unbedingt zu vermeiden. Und wir fühlen uns durch das große Ansehen der Schulen und die gute Nachfrage der Familien bestätigt. Die Schulen – wie übrigens auch die Kitas und Kindergärten – stehen auch künftig im Mittelpunkt unserer Aktivitäten.
Frage: Dennoch stimmen Sie im Zuge der aktuellen kirchlichen Strukturveränderungen die Gläubigen auf enorme Veränderungen ein. Bleibt die Kirche im Dorf, wenn Anfang 2026 die bisherigen Pfarreien und Kirchengemeinden in wenige, sehr große Pfarreien aufgehen?
Burger: Jeder und jedem kirchlich Engagierten ist bewusst, dass wir in großen Veränderungen stehen. Und ich bin dankbar, dass das die allermeisten als Chance für einen neuen Aufbruch annehmen. Es geht nicht darum, von oben herab Veränderungen durchzusetzen, sondern miteinander zu überlegen, wie wir als Kirche die Zukunft gestalten können. Deshalb sind auch die Personen in den Kirchengemeinden vor Ort am Zug, die neuen Räume der Pfarreien mit Leben zu füllen und eigene Schwerpunkte zu setzen. Insofern bleibt die Kirche und die Seelsorge im Dorf!