Anselm Grün: Trotz aller Probleme auf das neue Jahr freuen
Das neue Jahr steht vor der Tür, und viele fürchten Schlimmes – mit Blick auf Kriege, Anschläge und andere bedrohliche Entwicklungen. Warum der bekannte Ordensmann und Bestseller-Autor Anselm Grün keinen Anlass zur Verzweiflung sieht, verrät er im Interview.
Frage: Pater Anselm, zum Jahresende klagen viele Menschen über Kriege und Krisen. Andere sorgen sich wegen der Machtübergabe in den USA oder der Neuwahl in Deutschland. Dazu kommen die Klimakrise und noch vieles mehr. Kann man sich trotzdem auf 2025 freuen?
Grün: Natürlich kann man sich trotzdem freuen. Das eine ist die Großwetterlage: Dass man nicht die Augen davor verschließt, ist wichtig. Aber wir dürfen zugleich die Hoffnung haben, dass die Erde nicht nur in der Hand der Mächtigen ist, sondern vor allem in der Hand Gottes.
Und dann gibt es ja auch Grund für persönliche Vorfreude. Ich freue mich zum Beispiel auf meinen 80. Geburtstag. Dass Gott mir ein weiteres Jahr schenkt und ich gesund in dieses Jahr gehen. Und es gibt auch die Freude auf Begegnungen mit Menschen, auf Feste und Feiern. Das ist keine Flucht vor der Realität, sondern es ist mitten in der Realität trotzdem zu spüren, dass es noch eine andere Wirklichkeit gibt als das, was wir in den Medien ständig lesen.
Frage: Aber wenn jemand wirklich Angst hat, muss ich das doch ernstnehmen, oder?
Grün: Klar, viele Ängste sind berechtigt, aber ich darf mich nicht auf die Angst fixieren, nicht in der Ohnmacht bleiben, nicht in der passiven Rolle, sondern überlegen: Was kann ich denn tun? Wichtig ist: Ich muss selbst aktiv werden. Wenn ich in der Ohnmacht bleibe, werde ich hart oder psychisch krank. Wir können nicht die ganze Welt verändern, aber wir können dort, wo wir leben, ein Stück Welt verbessern.
Frage: In einer Umfrage hieß es jetzt, Menschen freuten sich hauptsächlich auf Reisen, Geburtstage oder andere Feiern. Klingt ein bisschen nach Weltflucht und Rückzug ins Private.
Grün: Es kann eine Flucht werden, wenn man nur noch das Private sieht. Aber es ist genauso schädlich, wenn wir nur fixiert sind auf die Schreckensnachrichten. Dann lähmen wir uns selbst. Es ist berechtigt, dass wir uns diese kleinen Freuden gönnen und uns darauf freuen. Ob das ein Urlaub ist oder Begegnungen mit Menschen, Geburtstage, Feiern... Das ist völlig berechtigt und gar kein Grund für ein schlechtes Gewissen.
Frage: Sie beraten viele Menschen, auch in Führungsseminaren. Was geben Sie den Teilnehmenden dort mit auf den Weg für solche Zeiten?
Grün: Die Menschen dort sind ja längst nicht alle christlich, aber ich stelle ihnen trotzdem Rituale vor. Zum Beispiel, sich eine "heilige Zeit" einzurichten, in der ich selbst lebe, anstatt gelebt zu werden. In der die Zeit nur mir gehört – und da hat keiner reinzureden. Das brauchen wir einfach. Wenn wir das Gefühl haben, unsere Zeit wird total von außen bestimmt, dann geht es uns schlecht. Und eine solche Zeit, die nur mir gehört – da reichen ein paar Minuten am Tag – kann jeder einrichten, ob Hausmeister oder Managerin, jung oder alt, krank oder gesund. Dann haben wir eine Zeit, in der wir spüren: Ich lebe – und ich lasse mir meine Zeit nicht fremdbestimmen – auch nicht von Putin oder Trump.
Frage: Der Jahreswechsel wird von vielen zum Anlass genommen für Rück- und Vorschau, für gute Vorsätze und vieles mehr. Dabei ist er doch eigentlich nur ein beliebiges Datum im Kalender. Brauchen wir solche Fixpunkte?
Grün: Der Jahreswechsel ist sicher ein guter Anlass. Viele begehen den mit Lärm, und wenn das ein äußeres Signal dafür ist, dass man der inneren Wahrheit ausweichen will, ist das kein guter Jahreswechsel. Ich empfehle einen Moment der Stille, ganz für mich, um mich zu besinnen und dankbar zu sein: Was war im letzten Jahr? Und was erwartet mich im neuen Jahr? Worauf kann ich mich freuen und worauf hoffe ich? Wir brauchen solche Zeiten, wo wir Abschied nehmen und neu anfangen.
Ich warne nur vor zu vielen guten Vorsätzen auf einmal. Sie kennen sicher den Spruch: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Viel besser ist es, einen kleinen Punkt ins Auge zu fassen und sich zu überlegen, worauf möchte ich wertlegen im neuen Jahr? Und wo hoffe ich, dass in mir etwas wachsen kann.