Caritas-Präsident Peter Neher zur Debatte über die Flüchtlingspolitik

"Die Stimmung kann kippen"

Veröffentlicht am 30.07.2015 um 00:01 Uhr – Von Peter Neher – Lesedauer: 
Gastbeitrag

Bonn ‐ Dass "falschen" Flüchtlingen aus den Balkanländern immer wieder "Asylmissbrauch" vorgeworfen wird, findet Caritas-Präsident Peter Neher gefährlich. In einem Gastbeitrag für katholisch.de fordert eine größere Wertschätzung für alle Flüchtlinge.

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Es stimmt: Menschen verlassen aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat. Das darf aber nicht dazu führen, dass sie in "gute" und "weniger gute" Flüchtlinge eingeteilt werden. Wir müssen allen Schutzsuchenden mit wertschätzender Haltung und vorurteilsfrei begegnen.

Dazu gehört, dass der Asylantrag jedes Einzelnen sorgfältig und möglichst zeitnah geprüft wird. So sind viele Roma und Sinti in den Balkanstaaten massiver Diskriminierung ausgesetzt. Wenn sich dies summiert, zählt das laut EU-Qualifikationsrichtlinie ähnlich wie Verfolgung – und kann damit ein ausreichender Grund sein, um den Flüchtlingsstatus zu erhalten.

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Peter Neher, setzt sich für eine schnellere Prüfung von Asylanträgen und eine größere Wertschätzung von Flüchtlingen ein.
Bild: ©picture alliance / dpa

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Peter Neher, setzt sich für eine schnellere Prüfung von Asylanträgen und eine größere Wertschätzung von Flüchtlingen ein.

Die europäischen Staaten bewerten unterschiedlich

In der Diskussion wird auch immer wieder darauf verwiesen, dass nur zwischen 0,2 und 0,3 Prozent der Flüchtlinge aus den Balkanländern Chancen auf einen längerfristigen Aufenthalt in Deutschland hätten. Auf den ersten Blick scheinen diese Zahlen zu bestätigen, dass Flüchtlinge aus den diesen Staaten keinen Schutzbedarf haben. Schaut man aber auf die Anerkennungsquote anderer EU-Länder, erweitert sich das Bild. So wird beispielsweise in der Schweiz, Italien oder Frankreich die Situation der Flüchtlinge anders bewertet. In der Schweiz und in Italien hatten im vergangenen Jahr Flüchtlinge aus Serbien eine Anerkennungsquote von 37 Prozent; in Frankreich wurden 20 Prozent aller Schutzsuchenden aus Bosnien-Herzegowina als solche anerkannt.

Es ist zu befürchten, dass diese unterschiedlichen Anerkennungsquoten auch dadurch entstehen, dass bereits jetzt die meisten Anträge von Flüchtlingen aus Balkanstaaten in Deutschland im Schnellverfahren mit Verweis auf die Herkunft als offensichtlich unbegründet bewertet werden. Bei der Prüfung des Asylantrags muss aber der jeweilige Einzelfall Grundlage für eine genaue Prüfung sein.

Neher: Asylanträge müssen schneller geprüft werden

Eine schnellere Prüfung der Asylanträge muss ein Ziel sein, das für alle Flüchtlinge gilt. Derzeit dauert es im Schnitt fast ein halbes Jahr, bis der Antragssteller erfährt, ob er in Deutschland bleiben darf. Bei dieser Durchschnittsdauer sind die über 200.000 Fälle, die seit längerer Zeit noch nicht entschieden sind, nicht mit in die Berechnung eingeflossen. Die Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist sicher ein richtiger Schritt, um die Verfahren zu beschleunigen. Doch auch das passiert nicht von heute auf morgen, denn qualifiziertes Personal steht nicht einfach zur Verfügung.

Begriffe wie "Asylmissbrauch" machen Ressentiments salonfähig

Zu einer wertschätzenden Haltung gegenüber den Menschen, die in unser Land kommen, gehört, dass wir die Debatte sachlich und fair führen. So sind in den Diskussionen um Flüchtlinge die schrillen Töne häufig besonders laut zu hören. Da ist dann die Rede von "Armuts- und Wirtschaftsflüchtlingen", die hierhergekommen sind, um "Asylmissbrauch" zu begehen. Damit entsteht schnell ein falsches Bild, in dem Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt und Ressentiments salonfähig werden.

Wer kann es denn einem Menschen verdenken, dass er seine Heimat verlässt, weil er dort in bitterer Armut und ohne Zukunftsperspektive leben muss? Dabei von Asylmissbrauch zu sprechen, ist schlicht falsch und diskreditierend. Stattdessen müssen wir darüber nachdenken, welche anderen Formen der Einwanderung es für Menschen aus Nicht-EU-Staaten geben kann, die auf der Suche nach Arbeit und einer besseren Zukunft für sich und ihre Familie sind. Darüber brauchen wir eine sachliche Debatte mit dem Blick auf durchdachte politische Lösungen – statt Stammtischparolen, die besser in der Mottenkiste aufgehoben sind.

Aufgabe der Politik ist es, für Bedingungen zu sorgen, unter denen Hilfe geleistet werden kann. Klar ist angesichts der anhaltenden Kriege und Krisen: Die Flüchtlingszahlen werden in absehbarer Zeit nicht zurückgehen. Deswegen muss der Bund in Fragen der Unterbringung enger mit den Ländern zusammenarbeiten. Auch die Kommunen brauchen mehr Unterstützung durch den Bund und die Länder. Wir brauchen eine deutlich höhere öffentliche Finanzierung, die alle relevanten Kosten in der Asyl-Arbeit berücksichtigt und eine professionelle Arbeit möglich macht.

Anschläge machen deutlich: Flüchtlinge in Deutschland sind bedroht

Die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist überwiegend positiv, und das ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger sehr groß. Die  Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, die Demonstrationen gegen Asylsuchende und die Hetze im Internet machen aber auch deutlich, dass Flüchtlinge in unserem Land bedroht werden und die Stimmung kippen kann. Umso wichtiger ist es, auf eine differenzierte Sprache zu achten und über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen aufzuklären, um Sozialneid entgegen zu wirken. Die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen wächst, wenn die Ängste der einheimischen Bevölkerung aufgegriffen werden, über Fakten informiert und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird.

Aus welchen Notsituationen heraus Menschen nach einer neuen Heimat suchen: Es ist ein Gebot der Menschenwürde und Nächstenliebe, ihnen in ihren in aller Regel existenziellen Nöten fair zu begegnen und die Anliegen menschenwürdig zu bearbeiten.

Von Peter Neher