Anselm Grün: Ich bin kein Besserwisser
Seine Bücher erreichen ein Millionenpublikum: Anselm Grün feiert am 14. Januar seinen 80. Geburtstag. Im Interview verrät der Benediktiner, woran er gerade schreibt, wie er auf andere Religionen blickt und was er einer Hacker-Firma mit auf den Weg gegeben hat.
Frage: Pater Anselm, wenn Sie zu Veranstaltungen wie Katholikentagen kommen, bildet sich oft eine Menschentraube um Sie. Mögen Sie diesen Rummel?
Grün: Damit muss ich rechnen. Aber ich brauche diesen Rummel um mich nicht unbedingt. Das ist auch nicht immer nur angenehm.
Frage: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Grün: Ich bin 1964 in Münsterschwarzach eingetreten. Während der Studentenrevolution 1968 begannen auch wir Benediktiner, neue Wege zu suchen. Mit einigen Mitbrüdern entdeckte ich die Zen-Meditation sowie die Psychologie von C. G. Jung. 1976 organisierten wir eine Tagung, bei der wir die Erfahrungen der frühen Mönche mit Psychologen und Ordensleuten teilten – ein völlig neuer Ansatz. Daraus entstanden meine ersten Vorträge und Artikel. 1977/78 begann diese Arbeit, die sich ständig weiterentwickelte, als auch größere Verlage wie Herder meine Bücher wollten. Später ging es dann um viele existenzielle Fragen: Wie gehe ich um mit Angst, mit Depressionen, mit mir selber?
Frage: Welches Buch ist Ihnen besonders wichtig?
Grün: "Jesus als Therapeut". Ich wollte zeigen, wie die Bibel auf therapeutische Weise zu den Menschen spricht und welche Weisheit in ihr steckt. Doch bei jedem Buch habe ich das Gefühl, dass gerade dieses wichtig ist. Auch auf meine Arbeit über die Evangelien bin ich stolz. Dafür habe ich viele Kommentare studiert und versucht, ihre Inhalte theologisch korrekt in eine verständliche Sprache zu übersetzen.
Frage: Welche Projekte planen Sie?
Grün: Derzeit schreibe ich über Hoffnung. Das ist für mich schon länger ein wichtiges Thema. Auch Philosophen nehmen sich dessen an. Ich will nicht nur über Hoffnung in der Bibel schreiben, sondern auch darüber, was sie für mich heißt und wie ich sie spüre.
Frage: Wie erklären Sie sich, dass Ihre Bücher so gut ankommen?
Grün: Ich habe eine einfache, aber nicht banale Sprache, die die Leute verstehen. Ich polarisiere nicht und bin kein Besserwisser. Und ich schreibe keine Ratgeber, sondern darüber, wie ich mit Themen umgehe. Zudem versuche ich, an die Leser zu denken. Das Schreiben ist für mich eine Art weitergeführtes Gespräch. Es ist keine Arbeit, sondern hält mich wach.
Frage: Wenn man Sie als Redner einladen möchte, braucht man 1,5 Jahre Vorlaufzeit. Zu welchen Themen werden Sie am häufigsten angefragt und von welchen Gruppen?
Grün: Firmen und Banken interessieren sich für Führungsthemen oder den Umgang mit Werten in der Wirtschaft. Hospizvereine möchten, dass eher Fragen zu Sterben und Trauer angesprochen werden. Mit dem Ulmer Theater, das "Parzival" aufführte, habe ich über heilende Rituale gesprochen.
Frage: Gab es auch ungewöhnliche Termine?
Grün: Einmal war ich bei einer Hackerfirma, die Sicherheitslücken in Firmen aufdeckt, ohne Angriffe durchzuführen. Die jungen Leute interessierten sich sehr für Fragen wie: Wie schöpfe ich aus inneren Quellen, um Stress zu vermeiden? Was fördert ein gutes Miteinander, wie vermittle ich Hoffnung durch meine Arbeit? So erkennen sie oft, wie sinnvoll ihre Tätigkeit ist und wie sie Energie gibt, was den Spaß daran zurückbringt. Das Arbeitsministerium aus Berlin war zweimal da, auch vor Vertretern von Wirtschaftsministerium, Bundesnachrichtendienst und Bundespolizei habe ich gesprochen. Dabei stoße ich bei kirchlich geprägten Menschen sowie bei anderen auf Offenheit.
Frage: Manchmal wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie sich zu sehr "dem Zeitgeist" anbiedern.
Grün: Die Botschaft muss die Menschen erreichen und als Hilfe wahrgenommen werden. Ich schöpfe aus dem Christentum, bringe Bibeltexte mit und spreche über Werte wie Glaube, Hoffnung und Liebe. Dabei zeige ich, wie diese Werte etwa die Arbeit prägen können: Spreche ich in der Firma eine Sprache, die Vertrauen schafft, oder bin ich pessimistisch und verletzend?
„Zum Beispiel bin ich dafür, dass der Zölibat freigestellt wird, weil viele Priester ihren Beruf wegen einer Frau aufgeben und trotzdem weiterhin gute Priester wären. Auch für Frauenpriestertum bin ich.“
Frage: Muss man neben Werten und Spiritualität nicht auch konkreter über die Institution Kirche sprechen?
Grün: Seit 33 Jahren begleite ich Männer und Frauen, die in der Kirche arbeiten. Dabei geht es oft um ganz Konkretes. Nicht darum, Probleme zu verdrängen. Sondern darum, den Problemen nicht zu viel Macht zu geben. Ich habe schon meine Meinung. Zum Beispiel bin ich dafür, dass der Zölibat freigestellt wird, weil viele Priester ihren Beruf wegen einer Frau aufgeben und trotzdem weiterhin gute Priester wären. Auch für Frauenpriestertum bin ich. Aber das braucht auch Zeit.
Frage: Wie feiern Sie Ihren 80. Geburtstag?
Grün: Am Tag selber mit dem Konvent und der Verwaltung. Am 18. Januar gibt es ein Symposium mit verschiedenen Gesprächspartnern, lauter Menschen, mit denen ich zusammen Bücher geschrieben haben. Abends findet dann eine konzertante Lesung statt.
Frage: Zu den Leuten, mit denen Sie Büchern geschrieben haben, zählt auch der Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi. Wie wichtig ist für Sie der interreligiöse Dialog?
Grün: Der wird immer wichtiger. Mit Karimi habe ich mehrere Bücher geschrieben. Unsere Gespräche sind sehr bereichernd. Ein solcher Austausch baut Fronten ab. Radikale Ansichten, die im Namen von Religionen verbreitet werden – etwa von Islamisten oder in Amerika im Namen des Christentums – zeigen, wie wichtig Dialog ist. Es geht nicht um Vermischung, sondern um gegenseitige Achtung der Tradition. Muslime haben teilweise Schwierigkeiten mit dem Kreuz, doch als ich Karimi erklärt habe, was es für mich bedeutet, war er berührt und konnte es respektieren, ohne daran zu glauben.
Frage: Gibt es rückblickend etwas, das Sie im Leben anders gemacht hätten?
Grün: Ich bin dankbar für das ganze Leben. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht, aber daraus lernt man.