Standpunkt

Wie mit religionsfeindlichen Provokationen umgehen?

Veröffentlicht am 16.01.2025 um 00:01 Uhr – Von Jan-Heiner Tück – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nackte Nonnen in der Oper oder Schüsse auf ein Madonnenbild: Persiflagen des Heiligen oder religionsfeindliche Provokationen gibt es immer wieder. Jan-Heiner Tück stellt die Frage: Aushalten – oder laut "Blasphemie!" rufen?

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Immer wieder wird das Heilige persifliert: Eine Schweizer Politikerin hat eine von Kugeln perforierte Madonna ins Netz gestellt, die Performance-Künstlerin Florentina Holzinger hat die Kopulation einer Nonne mit dem Gekreuzigten gezeigt. Soll man das tolerieren – oder als Blasphemie brandmarken?

Der Vorwurf der Gotteslästerung als Instrument der Disziplinierung von Kunst scheint mir anachronistisch zu sein. Wir leben in keinem christlichen Staat, sondern in einer pluralistischen Gesellschaft. Der Preis, mit dem sogenannten Blasphemieparagraphen zu operieren (StGB § 166), wäre hoch, er liefe auf eine Einschränkung der Kunst- und Pressefreiheit hinaus. Auch stünde die Frage im Raum, wer jeweils entscheiden soll, was als Blasphemie gelten soll. Kurz: Wer an den Errungenschaften des liberalen Rechtsstaats festhält, die ja auch die Religionsfreiheit garantiert, sollte die Zumutungen von Skandal-Kunst aushalten, auch wenn sie schmerzen.

Wird Gott selbst durch solche Provokationen angetastet? Nein. Es werden Glaubensüberzeugungen von Menschen verletzt, die das Heilige nicht zur Disposition stellen. Juden, Christen und Muslime – sie alle kennen religiöse Symbole oder Lehren, die sie für sakrosankt halten. Das sollten Anders- und Nichtgläubige respektieren.

Wer als gläubiger Mensch bereit ist, sich selbst mit den Augen anderer zu sehen, darf indes nicht ausblenden, welche Zumutungen die „ungläubigen Söhne und Töchter der Moderne“ (Jürgen Habermas) von manchen Frommen zu erdulden hatten und noch immer haben.

Provokation ist in der Kunst oft ein Mittel der Aufmerksamkeitssteigerung. Manchmal funktioniert es. Der Protest von Bischöfen hat Holzingers mediale Präsenz erhöht. Dabei ist die Skandalisierung nicht schon ein Gütesiegel von Kunst. Wer religiöse Symbole schändet, muss sich fragen lassen, ob es nicht auch eine besonnene Selbstbegrenzung der künstlerischen Freiheit gibt. So wie es umgekehrt für Gläubige klug sein kann, nicht auf jede Provokation empört zu reagieren.

Das Votum für Besonnenheit ist allerdings keine Lizenz zur Leisetreterei. Es kann Fälle geben, wo Einspruch geboten ist. Zur Dialektik des Protestes gehört es, dass er die Publizität des Kritisierten steigert. Das sollte bedenken, wer gegen die Persiflage religiöser Symbole Einspruch einlegt.

Von Jan-Heiner Tück

Der Autor

Jan-Heiner Tück ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem ist er Schriftleiter der Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.