Pietro Parolin: Die Nummer zwei des Vatikans wird 70
Er bevorzugt leise Töne statt schrille Akkorde – eine Vorliebe, die offenbar Anklang findet: Seit mehr als elf Jahren ist Pietro Parolin oberster Unterhändler des Papstes. Dass der Norditaliener das erforderliche Fingerspitzengefühl, ein feines Gehör und Ausdauer hat, zeigen seine Erfolge etwa in Vietnam, Israel oder China. An diesem Freitag wird der Virtuose auf der Klaviatur kirchlicher wie internationaler Diplomatie 70 Jahre alt.
G-20 in Rio de Janeiro, UN-Klimagipfel in Baku, Krieg in der Ukraine oder Staatskrise im Libanon: Immer wieder schickt Franziskus seinen Kardinalstaatssekretär an diplomatisch hochbrisante Orte. In der Ukraine, wo der Vatikan mit seinen Friedensbemühungen auf der Stelle zu treten scheint, sprach der Kardinal im Juni auch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Erprobt im diplomatischen Feuer
Die erneute Entsendung Parolins ins diplomatische Feuer zeigte einmal mehr, wie viel Franziskus seinem "verlängerten Arm" zutraut. Im persönlichen Umgang wirkt Parolin eher moderat, offen und freundlich. Der gewieft-diskrete Kommunikator neigt weder zu Arroganz noch zu hohlen Phrasen. Manchmal zeigt er ein herzliches Lächeln oder lässt im Gespräch ein leise seufzendes "Mamma mia" hören.
Geboren in Schiavon in der Provinz Vicenza, wurde Parolin dort 1980 nach dem Studium der Theologie und Philosophie zum Priester geweiht. Ab 1984 besuchte er die Päpstliche Diplomatenakademie, 1986 trat der Doktor des Kanonischen Rechts in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls.
Nach Stationen in Nigeria und Mexiko wurde er 1992 Nuntiaturrat in der Sektion des Staatssekretariates für die Beziehungen mit den Staaten. Hier war Parolin, der neben Italienisch auch Spanisch, Französisch und Englisch spricht, vor allem für Spanien, Andorra, Italien und San Marino zuständig.
Heikle Missionen
Im November 2002 wurde er stellvertretender Außenminister des Vatikans. In dieser Funktion erreichte er bei den heiklen Gesprächen mit dem kommunistischen Vietnam eine Einigung zur gegenseitigen Anerkennung von Bischofsernennungen. Ebenso vollendete er die nicht minder diffizilen diplomatischen Verhandlungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl.
2009 machte ihn Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Nuntius in Venezuela und weihte ihn im Petersdom zum Bischof. Kurz nach seiner Papstwahl 2013 ernannte ihn Franziskus zum Kardinalstaatssekretär und berief ihn im Juli 2014 in die Kardinalskommission, die ihn bei der Kurienreform unterstützen sollte.
Eine weitere diplomatische Herkulesaufgabe gelang Parolin 2018 mit dem Geheimabkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Bischofsernennungen mit China: Dessen dritte Verlängerung – diesmal ohne zeitliche Begrenzung – erfolgte im Herbst.
Als Kardinalstaatssekretär ist Parolin auch zuständig für die sogenannten allgemeinen Angelegenheiten und damit eine Art Generalvikar des Papstes zur Leitung der Weltkirche; ein Grund mehr, warum er nicht nur Beileids- oder Glückwunschtelegramme unterschreibt sowie bei den Audienzen des Papstes mit Regierungschefs und Präsidentinnen, sondern auch bei den Gesprächen mit den deutschen Bischöfen zum Reformprojekt Synodaler Weg dabei ist.
Kandidat für das Papstamt?
Schon länger wird Parolin als "Papabile" gehandelt. Der erfahrene Kirchenmann wäre noch jung genug, ist diplomatisch mit allen Wassern gewaschen, unter den Kardinälen bekannt und in vielen Themen zu Hause. Dass er nie Bischof einer Diözese war und kaum pastorale Erfahrung hat, sehen manche als Mangel. Andererseits hat Parolin wohl keine Leichen im Keller, was den Umgang mit Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch angeht. Zudem ging er aus dem Finanzskandal im Staatssekretariat und dem nachfolgenden vatikanischen Strafprozess ungeschoren hervor.
Einzig eine Prostata-Operation Ende 2020 ließ Zweifel an der erforderlichen Fitness aufkommen. Doch schon wenige Wochen später kehrte der Diplomat an den Schreibtisch zurück. Somit scheint der Weg frei für Gedankenspiele um Pietro Parolin auf dem Stuhl Petri.