Kardinal Koch: Ziel der Ökumene ist Aufhebung von Ost-West-Teilung
Ein hochrangig besetztes internationales Symposium hat am Donnerstag und Freitag in Wien eine Neubewertung der kirchengeschichtlich bedeutsamen Ereignisse im Jahr 1054 in Konstantinopel versucht. Das Jahr wird heute als Zeitpunkt der Trennung zwischen den Kirchen in Ost und West angesehen. Die Rede vom "Schisma" von 1054 sei jedenfalls überholt, so der Tenor bereits zu Beginn des Symposiums.
Kurienkardinal Kurt Koch erklärte, um die Trennung der Kirche in Ost und West zu überwinden, müsse der erste Schritt darin bestehen, dass sich die katholische und die orthodoxe Kirche gegenseitig als Kirche anerkennen. Als zweiter Schritt folge dann die Wiederaufnahme der Kommuniongemeinschaft. Koch: "Erst mit der Wiederaufnahme der eucharistischen Gemeinschaft wird die ungeteilte Kirche in Ost und West wiederhergestellt sein, was doch das eigentliche Ziel aller ökumenischen Bemühungen ist."
1054 war Kardinal Humbert von Silva Candida im Auftrag von Papst Leo IX. nach Konstantinopel gereist, um ein militärisches Bündnis gegen die Normannen zu schließen. Das misslang. Unglückliche Umstände führten dann aber dazu, dass er den Patriarchen Michael Kerullarios exkommunizierte. Kurz darauf folgte die Gegenexkommunikation. Das wurde in der Kirchengeschichte bisher oftmals als offizielles Datum der katholisch-orthodoxen Kirchenspaltung aufgefasst.
Schritt aufeinander zu
Vor fast 60 Jahren gab es einen Schritt der getrennten Kirchen aufeinander zu: Am 7. Dezember 1965, einen Tag vor der Schlusssitzung des Zweiten Vatikanischen Konzils, haben Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch Athenagoras zur gleichen Zeit in der Basilika Sankt Peter in Rom und in der Kathedrale Sankt Georg im Phanar in Konstantinopel eine "Gemeinsame Erklärung" vortragen lassen, in der die gegenseitigen Exkommunikationen bedauert, "aus dem Gedächtnis und der Mitte der Kirche" getilgt und "dem Vergessen anheimgegeben" wurden.
Kardinal Kurt Koch bekräftigte, dass der "Eklat von 1054" kein Schisma und auch keine wechselseitige Exkommunikation (Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft) der lateinischen und griechischen Kirche mit sich gebracht habe. Erst viel später habe das Datum eine so große symbolische Bedeutung bekommen. Die Entfremdung zwischen Ost und West habe freilich schon viel früher als 1054 begonnen und sei auch danach weitergegangen.
Das große Verdienst der 'Gemeinsamen Erklärung' von 1965 bestehe darin, "dass die Exkommunikationsbullen von 1054 nicht mehr jenes Gewicht haben können, das sie über lange Zeit in der Geschichte ausgeübt und damit die Beziehungen zwischen Lateinern und Griechen vergiftet haben", so Koch.

Katholiken und Orthodoxe haben sich auseinanderentwickelt.
Koch erklärte, die Christenheit habe sich über Jahrhunderte hinweg auseinander gelebt. Dabei hätten unterschiedliche Spiritualitäten zu Missverständnissen geführt. Außerdem habe es politische Gründe gegeben, etwa die Gräuel der Kreuzzüge und die Existenz von zwei Kaisern in Ost und West seit der Kaiserkrönung von Karl dem Großen. Koch: "Da es keine Instanz mehr gegeben hat, die auf beiden Seiten anerkannt worden wäre, damit niemand mehr die Einladung zu einem Ökumenischen Konzil an die Bischöfe von beiden Seiten aussprechen konnte und in der Folge nach der Kaiserkrönung Karls kein von beiden Seiten anerkanntes Ökumenisches Konzil mehr stattgefunden hat, hat sich die Krönung als für die Einheit der Kirche sehr schädlich herausgestellt."
In der Spätauswirkung des Konzils von Trient (1545-63) habe die Kirchentrennung im 18. Jahrhundert dramatische Formen angenommen. Es sei unter den Lateinern die Überzeugung gewachsen, dass die Kirche Jesu Christi nur dort gegeben sein könne, wo der Nachfolger Petri die Gemeinschaft der Gläubigen leite, und dass deshalb die Sakramente, die außerhalb der pastoralen Zuständigkeit des Papstes gefeiert werden, nicht legitim sein könnten. Um dieser Überzeugung Nachdruck zu verschaffen, hatte die Römische Kongregation für die Glaubensverbreitung im Jahre 1729 ein Dekret erlassen, das die "communicatio in sacris" (gottesdienstliche Gemeinschaft) für künftige Zeiten strikt verbot. In der Folge hätten auch die griechischen Patriarchen den katholischen Sakramenten ihre Gnadenhaftigkeit abgesprochen.
Entfremdung in der Kirche
Der tiefere Grund für die gegenseitige Verurteilung bestehe darin, so Koch, "dass sich beide Seiten für die alleinige Kirche Jesu Christi gehalten haben und nicht mehr bereit gewesen sind, die andere Seite ebenfalls als Kirche Jesu Christi anzuerkennen." Da die seit Jahrhunderten zunehmende Entfremdung in der Kirche zwischen Ost und West im 18. Jahrhundert deshalb zur gegenseitigen Ablehnung geführt habe und keine Sakramentengemeinschaft mehr zugelassen worden sei, sei die Spaltung zu einer eigentlichen Konfessionsgrenze in dem Sinne eskaliert, "dass sich die Überzeugung verfestigt hat, dass es eine katholische und eine orthodoxe Kirche in einem reinen Nebeneinander gäbe", bedauerte Kardinal Koch.
Veranstalter der Tagung war die Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhistoriker Österreichs, in Kooperation mit dem Institut für Historische Theologie an der Universität Wien und der Stiftung Pro Oriente. (KNA)