Zollner: Kirche soll sich Erwartungen Missbrauchsbetroffener stellen
15 Jahre nach Beginn der Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland sieht der Präventionsexperte Hans Zollner von Missbrauch Betroffene nicht genug gehört und miteinbezogen. Der Jesuit (58) berichtete am Freitag im Interview mit dem Internetportal "kirche-und-leben.de" von einem Betroffenen, der nach kirchlichen Zahlungen in Anerkennung des erlittenen Leids in finanzieller Hinsicht mit der Aufarbeitung zufrieden sein könnte. Doch sei der Betroffene davon enttäuscht, dass sich die Verantwortlichen anschließend nicht mehr um ihn gekümmert hätten. Er habe sich weitergehende spirituelle Betreuung erhofft.
Zollner sagte wörtlich: "Die Kirche kann nicht einfach den Deckel drauf machen. Sie muss sich den jeweils unterschiedlichen Erwartungen der Betroffenen stellen und nach einem Weg suchen, der von diesen gewünscht und für sie gangbar ist."
Sichere Räume schaffen
Der Theologe, Psychologe und Psychotherapeut erklärte, Betroffene sollten in jeder Pfarrgemeinde Ansprechpersonen oder Gruppen finden können, die sie unterstützten. So müsse "Safeguarding" als ein Teil der Mission von Kirche wahrgenommen und umgesetzt werden. Dabei meint Safeguarding umfassende Maßnahmen zum Kinderschutz und zum Schutz vor Gewalt jeder Art.
Mit Blick auf weltkirchliche Entwicklungen konstatierte Zollner, ähnlich wie in Deutschland habe sich weltweit im Vergleich zu 2010 die Präventionsarbeit stark verbessert. In immer mehr Ländern gebe es Safeguarding-Maßnahmen. Er betonte, wichtig sei das Schaffen von sicheren Räumen, Beziehungen und Abläufen. Zollner ergänzte: "Bei dem entsprechenden Mentalitätswandel für solch ein umfassendes Safeguarding stehen wir vielerorts immer noch am Anfang."
Zollner ist Direktor des Instituts für Anthropologie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und Leiter des "Centre for Child Protection" (Institut zum Schutz Minderjähriger vor Missbrauch). Er war 2023 nach umfassender Kritik an deren Arbeitsweise aus der Päpstlichen Kinderschutzkommission ausgetreten. (KNA)