Einladung zu einem ungetrösteten Leben

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Eine mütterliche Gestalt ist dieser alte Mann, der im Tempel das Jesuskind in seinen Armen wiegt. Zum ersten Mal sehen die beiden sich und sind einander längst innig vertraut. Jetzt erfüllt sich sein langes Sehnen und Hoffen. Heiteres, starkes, tröstendes Licht durchströmt ihn. Heil für alle Menschen leuchtet auf.
Das heutige Evangelium erzählt von zwei alten Menschen, Simeon und Hanna. Sie sind wärmend, mutig und wach. Mit ihnen ist der Tempel kein steifer Ort der Gesetzeserfüllung, sondern Treffpunkt der Generationen, Begegnung im Heiligen Geist, Ort des Segnens und der Zukunft. Die beiden haben kein leichtes Leben hinter sich. Altern und Gebrechlichkeit ist ihnen nicht erspart geblieben. Dennoch begrüßen sie mit Elan und voll Freude Jesus, machen ihn bekannt und verkünden sein Heil.
Das heutige Fest der Darstellung des Herrn ist ein Lichtfest, früher bildete es den Ausklang der Weihnachtszeit. Traditionellerweise werden heute Kerzen gesegnet und Kerzenprozessionen in den Kirchen gehalten. "Dein Licht kommt!" – das ist die große Zusage. Auch in der Natur steht dies im Raum: Die Tage werden länger, die Schneeglöckchen blühen – das Licht von Frühling und Sommer kündigt sich an und ist nicht mehr aufzuhalten.
Mit Lichtermeeren und Lichterketten zeigen Menschen in verschiedenen Städten, dass sie keinen Rechtsruck unterstützen. International, national und auch kirchlich stehen wir vor weitreichenden Entwicklungen, die nicht vorhersagbar und kaum steuerbar sind. Aber vielleicht kann der Ernst der Lage auch dazu führen, dass Menschen nüchtern und wach ihr Licht suchen und es teilen.
Mich erstaunt, worauf Simeon all die Jahre gewartet hat: auf den Trost Israels. "Tröst´ mir mein Gemüte" so lautet die Bitte auch eines bekannten Weihnachtsliedes. Trost ist eine tiefe, heilende Erfahrung. Simeon wird getröstet vom Messias des Herrn – der doch ein kleines, sterbliches Kind armer Eltern ist. Jesus ist das Zeichen Gottes – dem doch widersprochen werden wird. Seine Mutter wird gesegnet – aber ein Schwert wird ihr durch die Seele dringen. Was, um alles in der Welt, ist das für eine Tröstung?
Vielleicht ist es eine Einladung, ungetrösteter zu leben. Ungetröstet angesichts der Betroffenen von Gewaltanschlägen, ungetröstet angesichts der Menschen, die allein aufgrund ihres Aussehens oder Herkunft zunehmend unter Angst und Anfeindung leiden. Hass kann nicht trösten. Trösten kann Liebe. Wenn die Zeit gekommen ist. Jesus, unser Menschenbruder, war oft untröstlich.
Es bleibt die Verheißung des Trostes. Am Ende – oder auch früher – wird auch uns jemand in seine oder ihre mütterlichen Arme nehmen und darin wiegen. Durstig werden wir uns sattsaugen am Trost, bis Schmerz und Traurigkeit sich wandeln in Heilung und Frieden. "Unsere Knochen werden sprossen wie frisches Grün." (Jes 66,14) Die Liebe wird aufleuchten und wie Simeon werden wir wissen: Meine Augen haben das Heil gesehen, das Du vor allen Völkern bereitet hast.
Evangelium nach Lukas (Lk 2,22–40)
Als sich für die Eltern Jesu die Tage der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung erfüllt hatten, brachten sie das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn darzustellen, wie im Gesetz des Herrn geschrieben ist: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn heilig genannt werden.
Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.
Und siehe, in Jerusalem lebte ein Mann namens Símeon. Dieser Mann war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden,
er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe.
Er wurde vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten, um mit ihm zu tun, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Símeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten:
Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.
Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden. Und Símeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, – und deine Seele wird ein Schwert durchdringen. So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden.
Damals lebte auch Hanna, eine Prophetin, eine Tochter Pénuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt; nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten.
Zu derselben Stunde trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
Als seine Eltern alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, kehrten sie nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret zurück.
Das Kind wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade ruhte auf ihm.
Die Autorin
Anne Kurz ist Schwester der Gemeinschaft Verbum Dei. Sie ist Referentin für Liturgie im Bistum Hildesheim, Geistliche Begleiterin und Supervisorin in Ausbildung.
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