Erzbischof Bentz zu Irakreise: Rechte von Christen einfordern

Der Irak erholt sich nur langsam von Krieg, Hussein-Regime und IS-Terror. Die Gräben, insbesondere zwischen den vielen verschiedenen Religionsgemeinschaften, sind weiterhin tief. Christen wie Jesiden schätzten die neu gewonnene Freiheit, brauchten aber weiterhin Unterstützung, betont der Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz. Im Interview spricht er über seine jüngste Irakreise und erklärt, wie die Hilfe vor Ort gestaltet wird.
Frage: Herr Erzbischof Bentz, Sie sind soeben aus dem Irak zurückgekehrt. Was war Ihr eindrücklichstes Erlebnis oder Ihr stärkster Eindruck von dieser Reise?
Bentz: Das ist nicht leicht zu sagen. Nachhaltig beschäftigt mich die Erfahrung morgens inmitten der zerstörten Häuser, Kirchen und Moscheen von Mossul zu stehen. Und am selben Tag abends nur wenige Kilometer von den Ruinen entfernt die lebendige Tradition und Volksfrömmigkeit von über 1.000 Menschen in einer Lichterprozession durch die christliche Stadt Qarakosh zu erleben. Darin bündelt sich für mich Trauma und Hoffnung zugleich. Und dann war da der Besuch im Heiligtum der Jesiden in Lalish und das Gespräch mit einem alten Familienoberhaupt der Jesiden über dessen Schicksal, der dort in einem Flüchtlingscamp seit über zehn Jahren mit seinen Angehörigen lebt. Er hat sechs Kinder, von denen vier schon gestorben sind. Die zwei Kinder haben wieder Kinder, die ihm, dem alten Mann, Hoffnung geben.
Frage: Wo steht der Irak politisch und wirtschaftlich knapp acht Jahre nach dem Ende des IS beziehungsweise mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Regimes von Saddam Hussein?
Bentz: Auf der einen Seite lernt der Irak Demokratie und gleichzeitig ist das ein mühevoller Weg. Mit der jetzigen Regierung gibt es spürbare Aufbrüche. Allerdings droht der mafiahafte Zugriff zahlreicher untereinander konkurrierender Milizen jegliche Verbesserung im Keim zu ersticken. Das Land könnte aufgrund seiner Ölvorkommen prosperieren. Die Neuordnung des Nahen Ostens nach der Schwächung von Hamas, Hisbollah und dem Sturz des Assad-Regimes bietet für den Irak Chancen. Gleichzeitig tun sich neue Risiken auf, weil der Iran seinen Einfluss jetzt auf den Irak erst recht ausweiten könnte. Die Situation bleibt deshalb für den Irak brandgefährlich.
Frage: Wie würden Sie die aktuelle Lage der Christen im Irak beschreiben? Worunter leidet das irakische Christentum am meisten? Droht ihm womöglich das Ende seiner Geschichte?
Bentz: Die Christen sind dankbar für die wiedergewonnene Freiheit und ein Grundmaß an Sicherheit. Zugleich habe ich erlebt, wie neue Ängste aufgrund der Entwicklung in Syrien am Horizont aufscheinen. Trotz dieser gewissen Stabilisierung nehme ich auch wahr, dass junge Menschen nur schwer eine Zukunftsperspektive für sich in ihrem Heimatland entwickeln können. Zwar kehren die Christen innerhalb des Landes in ihre angestammten Gebiete zurück. Wer aber einmal das Land Richtung Europa oder USA verlassen hat, kehrt nicht zurück. Die sogenannte Diaspora außerhalb des Iraks wird für die Kirche hier vor Ort ein immer essenzielleres Thema. Das spiegelt sich auch in den extrem geringen Berufungszahlen wieder.
Frage: Gibt es auch Hoffnungszeichen? Welche wären das?
Bentz: Wenn man auf die großen politischen Linien schaut, spürt man viel Ohnmacht. Aber ich habe viele kleine, Mut machende Initiativen erlebt, die das Gegenteil dieser Ohnmacht sind und die man nicht unterschätzen sollte. Ich denke dabei an Projekte der Bundesregierung genauso wie an Initiativen der Kirchen. So war ich zum Beispiel bei einem ökumenischen Treffen mit jungen Leuten. Für sie ist die Erfahrung von Gemeinschaft und gegenseitiger Stärkung auch über die je eigene Kirche hinaus ganz entscheidend. Das weitet die Perspektive der eigenen Wahrnehmung und stärkt das Selbstbewusstsein.
Frage: Was bedeutet das?
Bentz: Man muss sich vorstellen, dass die jungen Leute in ihren kleinen Gemeinschaften vor Ort durch solche Begegnungen erleben, doch keine Exoten zu sein. Solche Treffen stärken das Selbstvertrauen als christliche Minderheit. In den sozialen Projekten der Caritas Irak wird deutlich, dass Christen nicht nur für sich leben wollen, sondern einen Beitrag zur Entwicklung der ganzen Gesellschaft leisten können.

Ein Mann hält in einem Propaganda-Foto des "Islamischen Staats" eine Flagge der Terrormiliz.
Frage: Wie bringt sich die Amtskirche, also die Bischöfe, dabei ein?
Bentz: Die Sorge der Bischöfe vor Ort fokussiert sich auf die institutionelle Absicherung und auch auf die politischen Rahmenbedingungen. Dabei geht es darum, Christen in der Gesellschaft gleiche Rechte zu ermöglichen, die sie auf der Grundlage der Verfassung haben.
Frage: Gibt es denn umgekehrt Unterstützung vonseiten der Bagdader Regierung beziehungsweise der kurdischen Autoritäten für den Wiederaufbau christlichen Lebens?
Bentz: Natürlich haben die beiden Regierungen ihren Beitrag zum allmählichen Wiederaufbau geleistet. Aber es sind gerade die Kirchen – und hier möchte ich unsere kirchlichen Hilfswerke aus Deutschland nennen – die unglaublich viel geleistet haben und immer noch tun. Ohne dieses Engagement wäre das Christentum heute im Irak nicht dort, wo es nach der Verfolgung wieder stehen und leben kann.
Frage: Wie gut funktioniert die Ökumene unter den christlichen Konfessionen?
Bentz: Christen verstehen sich zunächst erst einmal als Christen und erst in zweiter Linie als Angehörige einer der vielen Kirchen im Irak. Auf der Ebene der Kirchenleitung funktioniert das Zusammenwirken dort besonders gut, wo die persönlichen Beziehungen stimmig sind. Gerade deshalb war es Papst Franziskus 2021 so wichtig, allen Christen zu begegnen und zu einem sichtbare Zeichen der Gemeinsamkeit zu ermutigen. Bei den sozialen und humanitären Projekten steht oft das ökumenische und über die Kirchen hinausgehende Engagement im Vordergrund.
Frage: Fast noch schlimmer als die Christen traf der Terror des IS die Jesiden. Welche Eindrücke nehmen Sie von deren Situation mit? Hat das Jesidentum noch eine Zukunft im Irak?
Bentz: Von den Begegnungen mit Jesiden im Flüchtlingscamp habe ich schon gesprochen. In den Begegnungen mit den religiösen Führern und politischen Verantwortlichen wurde uns sehr eindringlich vor Augen gehalten, dass Jesiden künftig nicht Tür an Tür mit ihren ehemaligen Peinigern leben können. Ganz eindringlich war der Appell an uns als Kirche, sich für dieses Schicksal und die Anerkennung des Leids dieser Minderheit stark zu machen. Deshalb ist es richtig, dass zuerst der Heilige Stuhl und dann auch die Bundesregierung diese Verbrechen als Genozid anerkannt haben. Bis die Jesiden wieder in ein normales Leben zurückkehren können, braucht es noch viel. Der plötzliche Entzug aller Unterstützung durch die neue Trump-Administration hat hier im Irak Entsetzen ausgelöst.
Frage: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, der Westen – auch die Kirche im Westen – unterstütze das Christentum im Nahen Osten zu wenig oder sehe dem Niedergang sogar gleichgültig zu?
Bentz: Der Vorwurf ist falsch und entspricht nicht dem, was ich hier erlebt habe. Im Irak habe ich sehr viel Dankbarkeit für das Engagement der Kirche im Westen für die Kirche im Nahen Osten und insbesondere im Irak erfahren.
Frage: Was sind die wichtigsten Punkte und Herausforderungen, die gemeistert werden müssten, damit der Irak als Ganzes und das Christentum im Besonderen eine stabile Zukunft hat?
Bentz: Die auf dem Papier gleichstehenden Rechte für Christen müssen umgesetzt und international eingefordert werden. Die an sich reichlichen Ressourcen des Irak dürfen nicht in den Einfluss der Milizen kommen, sondern müssen für die Entwicklung der ganzen Gesellschaft eingesetzt werden. Es braucht weiterhin viel Versöhnungsarbeit auf allen Ebenen. Die pastorale und soziale Arbeit der Kirche muss noch mehr konkrete Antwort auf die Lebensbedingungen der Menschen sein. Insofern ist unsere Unterstützungshilfe auch Friedens- und Versöhnungsarbeit.