Interview mit der Autorin Ruth Mächler

Neues Buch: Warum das Lebenszeugnis alter Ordensleute so wertvoll ist

Veröffentlicht am 22.03.2025 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 7 MINUTEN

München ‐ Ruth Mächler untersuchte in einer Studie, wie es alten Ordensleuten geht. Die Lebenszeugnisse waren so eindrücklich, dass sie sie in ein Buch gepackt hat. Im katholisch.de-Interview erklärt die Soziologin und Theologin, warum es nicht unbedingt Geschichten über das Älterwerden sind.

  • Teilen:

Sind alte Ordensleute wirklich zufrieden und tief im Glauben verwurzelt? Dieser uns anderen Fragen ging eine Studie der Forschungsstelle Spiritual Care am Universitätsklinikum der Technischen Universität München nach. Dort forscht die Soziologin und Theologin Ruth Mächler zu existenziellen und spirituellen Bedürfnissen kranker Menschen. Für die Studie befragte sie 21 hochbetagte Jesuiten und Sacré-Coeur-Schwestern, um herauszufinden, wie es ihnen in ihrer letzten Lebensphase geht. Dabei hat sie weit mehr gefunden als Geschichten übers Altwerden. Den Schatz an Lebenszeugnissen, den sie durch ihre Studie erhalten hat, gibt sie in ihrem Buch "Freiheit und Vertrauen" weiter, das kürzlich erschienen ist. Im Interview mit katholisch.de erklärt Ruth Mächler, warum diese Lebenszeugnise gerade an jüngere Menschen weitergegeben werden sollten.

Frage: Frau Mächler, für die Studie, die dem Buch zugrunde liegt, haben Sie sich auf die Jesuiten und die Sacré-Coeur-Schwestern konzentriert. Wie kam es dazu?

Mächler: Der Anlass war, dass der Seniorenbeauftragte der Jesuiten gerne wissen wollte, wie es den Senioren im Orden geht. Ich habe mich dann bereiterklärt, mit alten Mitgliedern des Ordens zu sprechen und daraus eine Art Gutachten zu erstellen. Gleichzeitig habe ich vorgeschlagen, das Ganze etwas breiter aufzuziehen und die Befragung auch in einem Frauenorden zu machen, damit man eine Studie daraus machen kann. Die Sacré-Coeur-Schwestern wurden deswegen ausgewählt, weil der Orden von der Struktur und den Aufgaben her den Jesuiten sehr ähnlich ist.

Frage: Auf die Frage, wie es alten Ordensmitgliedern geht, haben Sie sich aber nicht beschränkt.

Mächler: Wenn man wissen will, was man tun kann, damit es älteren Ordensmitgliedern besser geht, sollte man nicht nur fragen, wie es ihnen heute geht. Denn das Befinden von Menschen im Alter hat ganz viel mit ihrer Lebensgeschichte zu tun, mit den Optionen, die sie hatten, mit Beziehungen, mit Aufgaben, die auf ein erfülltes Leben zurückschauen lassen – oder eben nicht. Darum habe ich die Ordensmitglieder nach ihrer Lebensgeschichte gefragt, und nicht nur danach, wie es ist, im Orden alt zu werden. Es geht in dem Buch auch weniger ums Altern, sondern darum, was im Leben trägt, wie man gute Entscheidungen trifft oder wie man sich mit Krisen auseinandersetzt. Die Lebensgeschichten alter Menschen sind gerade für junge Menschen wichtig.

Frage: Warum sind gerade die Lebenszeugnisse von Ordensleuten so wertvoll?

Mächler: Generell kann man aus dem Lebenszeugnis eines jeden Menschen Weisheit schöpfen. Bei Ordensleuten ist es vielleicht nochmal besonders interessant, weil es in mancherlei Hinsicht eine extreme Lebensform ist. Sie ist sehr radikal in der Hingabe, im Verzicht auf Partnerschaft und Familie, in der Flexibilität und in der Bereitschaft, das Leben hinzugeben.

Ruth Mächler
Bild: ©privat

Die Soziologin und Theologin Ruth Mächler beschäftigt sich an der Forschungsstelle Spiritual Care am Universitätsklinikum der Technischen Universität München mit existenziellen und spirituellen Bedürfnissen kranker Menschen.

Frage: Stimmt das Bild vom alten Ordensmann, der mit sich im Reinen ist?

Mächler: Pauschal stimmt es nicht. Man kann aber auch nach einem Leben mit viel Zweifeln und Hadern mit sich im Reinen sein, wenn man bewusst durch diese Krisen gegangen ist und das gut verarbeitet hat. Ich glaube, das widerspricht sich nicht. Dennoch ist natürlich auch im Orden nicht jeder völlig zufrieden und im Reinen mit sich.

Frage: Haben Sie dafür Beispiele?

Mächler: Im Buch zitiere ich beispielsweise eine Ordensfrau, die noch im hohen Alter viele, auch ganz grundsätzliche, Glaubensüberzeugungen infrage stellt. Sie hat Schwierigkeiten an die Auferstehung der Toten zu glauben, fragt sich, ob nach dem Tod nicht doch alles aus ist. Gleichzeitig wirkte sie in ihrer Auseinandersetzung mit diesen Dingen auf mich sehr lebendig und authentisch.

Frage: Inwiefern haben sich diese Ordensleute ein besseres Rüstzeug für Krisen angelegt? Haben Sie diese als resistenter erlebt in Ihren Gesprächen?

Mächler: Was Einzelne betrifft, hatte ich schon den Eindruck, dass sie Krisen sehr bewusst bewältigt haben. Es hat vielleicht auch mit den Strukturen der Orden zu tun. Und dass es spirituelle Begleitung gibt oder Exerzitien. Wenn es Zeit für Stille gibt, um in sich zu gehen, ist man mit sich selbst konfrontiert. Und da war ich von vielem sehr beindruckt, was ich gehört habe. Es gibt in dem Buch das Beispiel von dem Ordensmann, der sich ein Gebet zurechtgelegt hat für Zeiten, in denen es ihm schlechter geht. Er sagt zu Gott: "Lieber Gott, ich gehe mit, wohin du mich führst und ich bin zufrieden damit." In guten Zeiten für schlechte zu üben, ist ein sehr weiser Rat.

Frage: Ordensleute zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie trotz ihrer vermeintlich eingeengten Lebensumstände viel Freiheit verspüren und ausstrahlen. Haben sie auch unfreie Menschen erlebt?

Mächler: Ja. Das kommt im Buch nicht so zum Ausdruck, aber in dem Gutachten an die Orden schon eher. Es gibt bei manchen auch Verbitterung. Manche leben auch in einer Art Illusion: Nach außen gibt man sich fromm, aber innerlich zweifelt man und fühlt sich leer. Das habe ich aber nicht oft erlebt.

„Das sind Leute, die gewohnt sind, flexibel zu sein und dazuzulernen. Dadurch entsteht auch ein Selbstvertrauen, immer wieder neue Dinge auszuprobieren.“

—  Zitat: Ruth Mächler über Ordensleute, die im Alter häufig noch eine neue Aufgabe bekommen

Frage: Sie rekurrieren in dem Buch immer wieder darauf, wie die Gesellschaft für gewisse Bereiche von den Lebenszeugnissen profitieren könnte. Sie beschreiben zum Beispiel, dass Ordensleute auch im hohen Alter noch neue Aufgaben bekommen und dadurch nochmal aufblühen. Kann man daraus lernen, wie man ältere Menschen weiter einbinden kann?

Mächler: Auf jeden Fall. Auch das ist ein Beispiel dafür, warum es gut ist, nicht nur die gegenwärtige Situation von älteren Menschen anzuschauen, sondern das Leben vorher. Das sind Leute, die gewohnt sind, flexibel zu sein und dazuzulernen. Dadurch entsteht auch ein Selbstvertrauen, immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Wenn man das in seinem Leben laufend lebendig hält, wird man sich das auch im Alter zutrauen. Davon kann unsere Gesellschaft lernen. Ich erwähne in meinem Buch den 98-Jährigen, der immer noch in die Kinderklinik geht, um Geschenke für die Kinder zu verteilen. Das kann man nicht mit über 90 anfangen, aber wenn man laufend ehrenamtlich im Einsatz war, schafft man das vielleicht auch noch mit 98.

Frage: Die Gesellschaft tut sich mit dem Thema Sterben und Tod sehr schwer. Was kann sie vielleicht besonders vom Umgang dieser Ordensleute mit dem Tod lernen?

Mächler: Ein Kapitel in dem Buch heißt "Mit offenen Augen auf den Tod zugehen". Diese Menschen haben in der Regel eine sehr gut gepflegte Spiritualität und damit eine gelebte Verbindung mit Gott. Da gibt es natürlich auch Zweifel, aber selbst die Zweifelnden haben offene Augen und setzen sich irgendwie positiv mit dem Thema auseinander. Was man auch wissen muss: Sie leben größtenteils in kleinen Seniorengemeinschaften und erleben, wie ihre Mitbrüder oder Mitschwestern nach und nach sterben. Die werden in der Regel auch in den Räumlichkeiten aufgebahrt. Somit gibt es da einen ganz offenen Umgang mit dem Tod.

Frage: Was war denn das Spannendste, was Sie in den Gesprächen an Lebensdeutung erfahren haben? Oder anderes gefragt: Was ist für Sie die zentrale Erkenntnis?

Mächler: Unter den Befragten war eine Ordensfrau, die einen schweren Unfall hatte und seit Jahren von vielen Schmerzen geplagt ist. Sie sagte sinngemäß: Es war dennoch gut, ich bin mit Vollgas in mein Leben reingegangen und habe alles rausgeholt, was drin war. Weil sie alles gegeben hat, war es gut für sie. Das hat mich sehr beeindruckt. Auch mehrere andere haben mir gesagt, dass Hingabe ohne Rückhalt für sie wesentlich ist, um im Orden glücklich zu sein. Und daraus ziehe ich auch meine zentrale Erkenntnis: Wie immer man sich entscheidet – man soll sein Leben und seine Entscheidungen von ganzem Herzen und mit ganzer Kraft leben.

Frage: Inwieweit haben diese Erfahrungen Sie selbst verändert?

Mächler: Mir ist klar geworden, wie sehr das Leben davor das Leben im Alter prägt. Deshalb nehme ich mir vor, mutig zu bleiben, dazuzulernen, Neues auszuprobieren. Ich möchte mir die Haltung aneignen, dass ich immer noch eine Zukunft habe, in der ich etwas entwickeln kann. Aber auch Netzwerke und Freundschaften zu schätzen und zu pflegen, weil es im Alter nicht mehr so leicht ist, damit anzufangen. Die Ordensleute haben mir immer wieder von Menschen erzählt, die sie begleitet haben. Das ist natürlich in solchen Orden, die viel Erziehungsarbeit leisten, stärker als in anderen. Ich habe mir dann die Frage gestellt: Wem gebe ich etwas weiter vom dem, was ich gelernt habe? Ich hoffe, dass ich am Schluss auch auf mein Leben zurückschauen und sagen kann: Ich konnte anderen etwas Wertvolles weitergeben, etwas, das bleibt.

Von Matthias Altmann

Buchtipp

Ruth Mächler: Freiheit und Vertrauen. Von alten Ordensleuten für das Leben lernen, Verlagsgruppe Patmos 2025, 192 Seiten, ISBN: 978-3-8436-1545-7, 24 Euro.