Wie schaffen es Ordensfrauen, so alt zu werden?
Im kalifornischen Silicon Valley stellen die Tech-Milliardäre viel Geld zur Verfügung, damit Wissenschaftler an der Unsterblichkeit forschen können. Sie sollen herausfinden, wie man wenigstens das Leben positiv verlängern – oder noch besser, wie man dem Tod von der Schippe springen – kann. Die Investitionen in die Langlebigkeit der Menschen haben sich in den vergangenen zehn Jahren nach Angaben von SwissLife vervielfacht: von 0,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 auf mehr als 5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022.
Verschiedene Start-ups wollen herausfinden, wie die Menschen in Zukunft ein längeres und selbstbestimmteres Leben führen können. Offensichtlich ist ihnen noch nicht aufgefallen, dass es eine sehr kleine Gruppe von Menschen gibt, die außerordentlich alt wird – nämlich Ordensschwestern. Vielleicht können die Tech-Milliardäre wie Jeff Bezos von ihnen etwas lernen?
Ordensfrauen setzen Altersrekorde
Ordensleute werden häufig sehr alt, die Frauen unter ihnen allerdings setzen Rekorde: Schon zum zweiten Mal ist der älteste Mensch der Welt eine Ordensschwester. Inah Canabarro Lucas wurde am 8. Juni 1908 in in Sao Francisco de Assis in Brasilien geboren. Erst mit 17 Jahren wurde sie getauft. Im Alter von 26 Jahren legte sie 1934 ihr Ewiges Gelübde für den Orden der Kongregation der Teresianischen Schwestern ab. Seit 1980 lebt sie im Provinzialhaus des Ordens in Porto Alegre.
Zu ihrem 110. Geburtstag 2018 erhielt sie ein Grußschreiben von Papst Franziskus samt einer Urkunde, die inzwischen im Haus des Ordens ausgestellt ist. Im Januar 2021 ließ sie sich gegen Covid-19 impfen. Dennoch steckte sie sich 2022 mit Corona an, überstand die Erkrankung jedoch als älteste bekannte Person der Welt.
Deutlich über 100 Jahre alt geworden
Vor ihr hielt zwischen April 2022 und Januar 2023 die französische Vinzentinerin Lucile Randon den Rekord als älteste Person. Sie starb mit 118 Jahren und 340 Tagen. Schwester Cecilia Gaudette (1902-2017), eine US-amerikanisch-italienische Ordensfrau, wurde 115 Jahre alt.
Im Bistum Essen ist gerade Schwester Anand im Alter von 103 Jahren gestorben. Geboren 1921 als Margaretha Hegemann in Bochum-Wattenscheid, war sie nicht nur die älteste Ordensschwester des Bistums, sondern auch eine Wegbegleiterin Mutter Teresas. In ihren langen Jahren als Ordensschwester engagierte sich Anand in Indien, Südamerika, Afrika und Europa. Die ausgebildete Ärztin kümmerte sich unter anderem um Arme in Peru und betrieb in Essen eine Suppenküche für Obdachlose.
Mediziner und Altersforscher sind interessiert
Die Liste ließe sich unschwer verlängern. Mediziner haben herausgefunden, dass Ordensfrauen in den USA ein bemerkenswert langes Leben führen und sich dabei guter Gesundheit erfreuen. Das lässt sich offensichtlich auch auf Gemeinschaften in anderen Ländern übertragen.
Die US-amerikanische Altersforscherin Anna Corwin hat 2021 ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht: "Das Alter annehmen. Wie katholische Nonnen zu Vorbildern des Wohlbefindens wurden". Sie stellte bei ihrem Forschungsprojekt fest, dass Ordensfrauen nicht nur erfolgreicher altern als Menschen auf der anderen Seite der Klostermauern; die meisten praktizieren demnach auch eine aktive Akzeptanz des Alterns.
Das Alter akzeptieren als Teil des Lebens
"In vielen amerikanischen Klöstern ist das Altern ein natürlicher Teil des Lebens und nicht etwas, das man fürchten oder vermeiden muss", so Corwin. "Draußen" sei man dagegen von genau dem Gegenteil überzeugt – das Alter und alle Zeichen des Alterns müssen bekämpft werden. Genau dafür geben die Tech-Milliardäre ihr Geld, denn das Alter mit seinen verschiedensten Herausforderungen als positiv zu akzeptieren, ist nicht das, was sie wollen.
Es gibt einige Faktoren, die zur Gesundheit von Ordensfrauen beitragen, hat die Wissenschaftlerin Corwin herausgefunden, zum Beispiel eine konsequente Ernährung oder eine höhere Bildung. Aber die Geschichte ihrer bemerkenswerten Gesundheit und ihres Wohlbefindens im Alter ist damit nicht allein erklärt, meint die Altersforscherin. "Wie sie beten, wie sie miteinander sprechen, wie sie soziale Unterstützung anbieten und erhalten und wie sie verstehen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, der älter wird: All diese kulturellen Praktiken prägen die Erfahrungen der Nonnen mit dem Altern, dem Schmerz und dem Ende des Lebens."
Von Ordensleuten lernen
Die Soziologin und Theologin Ruth Mächler hat sich in einem Forschungsprojekt mit der letzten Lebensphase hochbetagter Ordensleute beschäftigt, das an der Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit an der TU München angesiedelt ist. Das Projekt wurde vom Jesuitenorden und den Sacre-Coeur-Schwestern angeregt.
In biografischen Tiefeninterviews hat Mächler mit ihnen über ihr Leben gesprochen. Im März erscheint ihr Buch "Freiheit und Vertrauen", das darauf basiert. Es trägt den Untertitel: "Von alten Ordensleuten für das Leben lernen".